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Im Herzen die Mauer

Von Klaus Stimeder

Politik

Präsident Trump erklärt in Fernsehrede die Lage an der Südgrenze zur Staatskrise – und gibt sich trotz Regierungskrise kompromisslos.


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Washington D.C. Am Ende zwang er sie wieder alle in die Knie, ausnahmslos. Dienstagabend um Punkt neun Uhr Ortzeit Washington sprach US-Präsident Donald Trump aus dem Fernseher zu seinem Volk, zur besten Sendezeit. Alle drei traditionell landesweit ausgestrahlten Sender (ABC, NBC, CBS) plus alle wichtigen Kabelkanäle (unter anderem CNN, Fox News, MSNBC) hatten sich zuvor unter teils lautstark, teils leise vorgetragenen Bedenken bereit erklärt, die von ihm verlangte Rede zur angeblich zunehmend unerträglichen Lage an der Südgrenze der Vereinigten Staaten live auszustrahlen.

Der Ex-Reality-TV-Star hielt sich kurz. Am Ende dauerte das Spektakel keine zehn Minuten. Rein inhaltlich ergab sich für die Zuschauer kaum Neues – und wäre da nicht die prekäre Situation, in der sich das Land und seine Regierung derzeit befinden, ließe sich Trumps Rede wohl eher als Wahlkampfgetöse abtun denn als Politik.

Langsam wird es wirklich ernst

Nämliche besteht im sogenannten "Government Shutdown", der die USA seit nunmehr fast drei Wochen im Griff hat und sich mittlerweile zum längsten der Geschichte auszuwachsen droht. Mit potentiell fatalen Folgen für rund 800.000 Menschen, die im Sold der Bundesregierung stehen und mittlerweile fürchten müssen, wegen des politischen Streits in der Hauptstadt ein komplettes Monatsgehalt zu verlieren; ganz zu schweigen von jenen zunehmend von der Regierungskrise betroffenen Menschen, für deren Schutz und Fürsorge sie zuständig sind. Von den für Flughäfen und Bahnhöfe zuständigen Sicherheitsbeamten der Transport Security Administration (TSA) über die Steuerbehörden bis hin zu den Sozialhilfe-Administratoren: Langsam aber sicher drohen bald so viele Räder still zu stehen, dass es wirklich ernst wird, wenn sich Trump und die Demokraten nicht bald auf einen Budgetkompromiss einigen.

Genau in diese Kerbe schlug Trump mit seiner Prime-Time-Rede und wie immer präsentierte er eine Mischung aus zweckdienlich zurecht gestutzten Zahlen, Halbwahrheiten und glatten Lügen. Sein deklariertes Ziel: die Erzwingung der Bereitstellung von fünf Milliarden Dollar für den Bau einer Mauer zu Mexiko. Nämlich sei nötig, weil sich an der Südgrenze angeblich eine "wachsende humanitäre und Sicherheitskrise" zusammenbraue; "täglich" würden die US-Zoll- und Grenzbeamten "tausenden illegalen Immigranten begegnen, die in unser Land wollen." Eine Situation, unter der laut Trump angeblich "alle amerikanischen Bürger leiden, weil sie öffentliche Ressourcen verschlingt und Löhne und Gehälter in den Keller treibt."

Was diesen faktisch nicht zu untermauernden Argumenten folgte, war die Präsentation von vom Department of Homeland Security (DHS), den Beamten der Immigration and Customs Enforcement (ICE) und Trumps politischen Beratern zusammengetragenem Zahlenwerk, das sich kaum ernsthaft auf seinen Wahrheitsgehalt prüfen lässt.

Zusammengetragenes Zahlenwerk

In den vergangenen zwei Jahren seien laut dem Präsidenten insgesamt 266.000 Ausländer mit angeblich kriminellem Hintergrund verhaftet worden – 100.000 wegen Körperverletzung Vorbestrafte, 30.000 Sex-Verbrecher, 4.000 Mörder. (Bis Anfang der Woche war gar noch von "4.000 Terroristen" die Rede gewesen, die man angeblich in den vergangenen zwei Jahren bei der Einreise erwischt habe. Weil sich dieser von Pressesprecherin Sarah Huckabee-Sanders in die Welt gesetzte Schwachsinn aber dann doch als zu offensichtlich erfunden erwiesen hatte – selbst Trump-Beraterin Kellyanne Conway ruderte in diesem Punkt nur Stunden vor Trumps Rede zurück – blieb ein Verweis darauf am Ende aus.)

Um seinem Punkt Nachdruck zu verleihen, lieferte Trump Beispiele von Polizisten und Bürgern, die von illegalen Einwanderern brutal ermordet wurden, was nach seiner Lesart zu einer "Krise des Herzens und der Seele" geführt habe. Darüber hinaus seien allein im letzten Monat "20.000 Minderjährige illegal in die Vereinigten Staaten gebracht worden, Opfer von teuflischen Menschenschleppern und rücksichtslosen Gangs." Wie immer, wenn Trump über Letztere spricht, fehlt dabei nie der Hinweis, dass Letztere auch für die seit Jahren im Land grassierende Heroin-Epidemie verantwortlich seien: "Jeden Tag verlieren Menschen das Wertvollste, was sie haben – ihr Leben – an jene, die unsere Grenze verletzen."

Angesichts all dieser angeblichen und tatsächlichen Furchtbarkeiten sei die Errichtung einer Barriere – die sich laut Trump angeblich "selbst finanzieren würde", und im übrigen angeblich "von Mexiko immer indirekt bezahlt würde, durch den großartigen neuen Handelsdeal, den wir gemacht haben" – unumgänglich.

Fortsetzung folgt

Auch wenn es nicht, wie im Wahlkampf versprochen, eine Betonmauer werde, "weil die Demokraten auf Stahl bestanden haben" (eine Lüge, die nur einem Donald Trump einfallen kann), gebe es laut dem 71-Jährigen ob der dramatischen Lage zum Bau einer physischen Mauer schlicht keine Alternative. Entsprechend sei es die Pflicht der Demokraten, die nunmehr die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben, "an den Verhandlungstisch zu kommen" und "die Grenze zu sichern."

Die ersten, unmittelbaren Reaktionen der Führer der Demokraten auf Trumps Rede reichten von sachlich-nüchtern (Chuck Schumer, Nancy Pelosi, die nach dem Ende der Oval-Office-Reality-Show ebenfalls live zu den Bürgern sprechen durften) bis enerviert (Bernie Sanders, der an die Schicksale hinter dem Regierungsstillstand erinnerte.) Die politische Prime-Time-Show ist fürs erste vorbei, Fortsetzung folgt.