Der Nordosten Frankreichs zählt zu Le Pens Hochburgen. Sie gibt der Wut und der Verzweiflung der Menschen eine Stimme.
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Lille. Ein wenig aufgekratzt wirken die beiden jungen Männer, die nach Lille gekommen sind, um eine politische Rede ihrer Favoritin für die Präsidentenwahl zu hören. Bevor es losgeht, holen sie sich schnell noch ein Bier. Seit längerem seien sie Mitglieder des Front National, sagen Nicolas Versaen und Charles, der seinen Nachnamen nicht öffentlich nennen will. "Nicht, dass ich Probleme mit meinem Chef bekomme", raunt der 28-Jährige seinem Kumpel zu. Zugleich versichert er, "voll und ganz" hinter Marine Le Pen zu stehen, die Frankreich wieder in Ordnung bringen werde. In seinem Beruf als Vertreter fahre er regelmäßig durch den Nordosten des Landes. "Überall herrscht Armut, es gibt keine Jobs. So geht es nicht weiter." Nicolas und Charles stammen aus Amiens - wie der sozialliberale Kandidat Emmanuel Macron, den sie nicht ausstehen können: "Er stinkt nach Geld. Das ist keine Ehre für unsere Stadt."
"Patriotische Wirtschaftspolitik"
In Amiens macht außerdem gerade das Unternehmen Whirlpool Negativschlagzeilen, weil es trotz guter Geschäftszahlen eine Fabrik mit 290 Mitarbeitern schließen und stattdessen eine neue in Polen aufmachen will. Le Pen droht, unter ihr als Präsidentin müsse Whirlpool bei der Einfuhr seiner Ware nach Frankreich künftig hohe Strafzölle zahlen - dann werde es sich die Standortverlagerung gut überlegen. "Patriotische" Wirtschaftspolitik verspricht sie, einen Kampf gegen die "wilde Globalisierung".
"Ich mache Frankreich wieder zu einem großen, souveränen Land und gebe euch euren Stolz zurück", ruft die 48-Jährige in den voll besetzten Saal, wo inzwischen auch Nicolas und Charles sitzen. Menschen schwenken die französische Flagge und Fahnen mit der Aufschrift "Marine Präsidentin". Viele tragen Anstecker, die blau-rot-weiß blinken. Regelmäßig wallen Sprechchöre hoch: "On va gagner", "Wir werden gewinnen", grölt das Publikum wie bei einem Fußballspiel. Überzeugungsarbeit muss Le Pen hier nicht mehr leisten.
Sie stand politisch immer links, sagt eine ältere Dame. Bis im November 2015 ihr Cousin bei den Terroranschlägen von Paris getötet wurde. "Er war Marokkaner, Sie sehen also, dass ich keine Rassistin bin", versichert sie schnell. Nur Le Pen könne islamistischen Terror effektiv bekämpfen.
"Wir haben jahrzehntelang die Kommunisten gewählt", sagt auch ein Ehepaar aus Lens, das eine "Marine"-Fahne in die Luft reckt. "Aber jetzt sind wir für den Front National. Extrem rechts, was soll das schon heißen? Das ist doch nur eine Schublade. Marine ist die sozialste aller Kandidaten." In der Tat verspricht die Rechtspopulistin viele Wohltaten - von Steuererleichterungen über niedrigere Strom- und Gaspreise bis zu einer Erhöhung niedriger Renten. Doch keiner fragt, wie sie das finanzieren will, ihr Programm bleibt hier sehr vage. Le Pen erklärt lediglich, Frankreich solle nicht mehr "Milliarden nach Brüssel überweisen": Per Referendum werde sie die Franzosen über einen EU-Austritt abstimmen lassen.
Auch fordert Le Pen die Rückkehr zum Franc, ungeachtet der großen Mehrheit an Ökonomen, die vor schweren finanziellen Folgen warnen. Und vor allem kritisiert sie die "enormen Kosten der massenhaften Immigration", die sie stoppen will. "Madame Merkel, wir wollen Ihre Flüchtlinge nicht!", ruft die 48-Jährige kämpferisch. Die Menschen brechen in Jubel aus, trampeln mit den Füßen auf den Boden und stimmen den Gesang an, für den die Anhänger des Front National berüchtigt sind: "On est chez nous", "Wir sind hier bei uns." Ausländer sind nicht willkommen - auch wenn Marine Le Pen anders als ihr Vater, Parteigründer Jean-Marie Le Pen, diese Botschaft verklausuliert. Sie denke an die Einwohner von Calais, die "überrannt" würden von Migranten auf dem Weg nach Großbritannien, ruft sie ins Publikum. Die Angesprochenen klatschen: Endlich eine, die ihre Nöte versteht.
"Die Europäische Union muss sterben"
Zwar stammt die Millionärstochter aus dem Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine, trotzdem hat die Rechtspopulistin hier ein Heimspiel. Aus dem wirtschaftlich schwachen Norden hat sie eine ihrer stärksten Hochburgen gemacht. Die ehemalige Bergbauregion leidet an den Folgen der Deindustrialisierung - und Sündenböcke sind schnell gefunden: die Politiker des "Systems", der Euro, die EU. "Die Europäische Union muss sterben", so Le Pen.
Eine tolle Rede sei das gewesen, finden zwei junge Männer, die ebenfalls ihre Namen für sich behalten: Der Presse trauen sie nicht. Zu selten berichte diese positiv über ihre Heldin. Dabei sei Le Pen weder extrem noch rassistisch, sondern stehe für Patriotismus, für Sicherheit, gegen Multikulti. Ein älterer Mann gesellt sich dazu: "Denkt ihr wirklich, mit Marine wird alles besser?" Ja natürlich, antworten die beiden, überrascht über eine abweichende Meinung: Sie glaubten sich hier unter ihresgleichen. Doch der Mann kommt von einer Gegendemo aus der Innenstadt. "Le Pen verspricht keine rosa Zukunft, sondern eine braune", warnt er. Und weiß doch, dass hier keiner seine Argumente hören will. Er winkt ab und geht.