In der ersten Etappe unserer Harzreise haben wir die reizvolle Landschaft durchstreift. Heute wollen wir einmal in den Berg einsteigen, oder "einfahren", wie das die Bergleute nennen.
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Schon vor 3000 Jahren, in der Bronzezeit, wurde im nördlichsten Gebirge Deutschlands nachweislich Erz abgebaut. Seit dem 9. Jahrhundert systematisch und in industriellem Maßstab. Nirgendwo sonst auf der Welt wurde wie hier über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren kontinuierlich Erz abgebaut. Die Lagerstätten enthielten neben Blei-, Zink- und Kupfererz vor allem Silber. Bis ins 19. Jahrhundert wurde hier fast die Hälfte des in ganz Deutschland geförderten Silbers gewonnen.
Mit einer Gesamtausbeute von etwa 27 Millionen Tonnen Erz war der Rammelsberg (bei Goslar) eine der ergiebigsten Lagerstätten weltweit. Heute ist das Bergwerk mit seinen 20.000 Quadratmetern eines der größten Museen der Welt. Ehemalige Knappen arbeiten dort als Museumsführer. Im Jahr 2007 schloss die letzte Grube im Harz.
Ein besonders sehenswertes historisches Bergwerk ist die "Grube Samson" in St. Andreasberg, weil dort die letzte funktionsfähige "Fahrkunst" der Welt zu sehen ist. "Fahren" nannten die Kumpel das Einsteigen in die tieferen Regionen mittels Leitern ("Fahrten"). Je größer die "Teufen" wurden - um das Jahr 1800 hatten sie schon mehr als einen halben Kilometer erreicht -, desto mühsamer und schweißtreibender war das Ab- und Aufsteigen und nahm oft Stunden in Anspruch. Rissfeste Seile in der Länge gab es nicht, und die Fördertonnen waren voll und holten neben dem Erz höchstens tote Bergleute ans Tageslicht.
Da erfand im Jahr 1833 der Oberbergmeister Georg Dörell aus dem Harzer Clausthal die sogenannte "Fahrkunst". Angetrieben durch ein riesiges Wasserrad, werden zwei hölzerne Pleuelstangen wie bei einer Dampflok hin- und herbewegt. Durch Übersetzung ziehen sie zwei lange Stangen im Rhythmus der Radumdrehungen nach oben und unten. Auf diesen Stangen sind Trittbretter montiert. Der Kumpel stellt sich auf das linke Trittbrett und lässt sich nach unten ziehen. Im Totpunkt des Wasserrades muss er schnell auf das rechte Trittbrett wechseln, das nun ebenfalls nach unten geht, während die linke Stange wieder hochgezogen wird. Durch den ständigen Wechsel von links nach rechts kann man also relativ bequem ein- oder ausfahren. Allerdings: Daneben treten durfte man - bei größter Finsternis - nicht.. .
Im "Samson" entdeckt man auch ein originelles Museum für den "Harzer Roller", einer eigenen Zucht von Kanarienvögel, die um 1850 ihre größte Blüte erlebte. Für viele Bergleute war der Verkauf der Vögel sowie der Vogelbauer ein willkommener Nebenerwerb. Dass die wertvollen Tiere als Sauerstoffanzeiger in die Grube mitgenommen wurden, ist allerdings nur Legende. Dafür verwendete man lieber gefangene Wildvögel.
Der Bergbau hat Gesicht und Landschaftsbild des Harzes geformt. So gehört eines der größten Wasserwirtschaftssysteme der Welt, das "Harzer Wasserregal", zum Unesco-Welterbe. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert angelegt, diente es der Wasserversorgung der Bergbaubetriebe. Noch heute werden 143 kleine Talsperren, 65 Stauteiche, 70 Kilometer Gräben und 20 Kilometer Wasserläufe betrieben und instand gehalten. Sie dienen der Erhaltung der alten Kulturlandschaft, dem Naturschutz und nicht zuletzt dem Tourismus. Sieben Städte verdanken ihre Existenz und Blüte allein dem Harzer Hüttenbau: Clausthal, Zellerfeld, Bad Grund, Sankt Andreasberg, Lautenthal, Altenau und Wildemann, jede für sich eine großartige Sehenswürdigkeit, geprägt von der typischen spröden Holzarchitektur solcher Bergbaustädte.
Markus Kauffmann, seit 25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.