NGO erzielen langsame, aber stetige Erfolge. | CSR-Standards können Weg zu nationalen Gesetzen ebnen.
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Wien/Genf. Vor fast 20 Jahren geschah in der brasilianischen Metropole Rio etwas Bemerkenswertes: Die Nationalstaaten zogen sich ein Stück zurück. Denn was bringen nationale Gesetze in einer immer globaler agierenden Wirtschaft? Am so genannten Erdgipfel (Earth Summit) 1992 überließen die Regierungen den Zivilgesellschaften und Konzernen das Feld.
„Man hat im Prinzip Unternehmen und Bürger in die Pflicht genommen, sich selbst darum zu kümmern, die Welt besser zu machen”, sagt der UN-Experte Anthony Miller zur „Wiener Zeitung”. Damals waren Absichtserklärungen wie die Agenda 21 zur nachhaltigen Entwicklung und die Vorarbeiten zur - sperrig genannten - Klimarahmenkonvention die unmittelbare Folge. Auch der eine oder andere weitere Gipfel hat seitdem stattgefunden, doch meistens ohne aktuell greifbare Ergebnisse.
„Jeder hat mitbekommen, dass sich Zivilgesellschaften engagieren. Doch die Fortschritte waren so langsam, dass sie oft unter dem Radar durchgeschlüpft sind”, erklärt Miller. Auf Staaten oder Unternehmen Druck auszuüben, sich freiwilligen Verpflichtungen zu unterwerfen, braucht seine Zeit - umso mehr, wenn es im globalen Kontext passieren soll.
Fast 20 Jahre nach dem Rio-Gipfel können sich die Ergebnisse der Anstrengungen der Zivilgesellschaft aber sehen lassen. Im World Investment Report 2011 der Unctad, jene UN-Tochter für Handel und Entwicklung, die traditionell ausländische Investitionsflüsse protokolliert, wurde erstmals ein Kapitel zur Corporate Social Responsibility (CSR) veröffentlicht. Denn: „Die Zivilgesellschaft wurde zu einer einflussreichen Größe”, meint Miller.
Ein Auszug aus dem Report: 11 Prozent des weltweiten Nutzwaldes werden beobachtet und zertifiziert (durch das „Forest Stewartship Council”). 75 Prozent der weltweit hergestellten Sportschuhe werden in Betrieben hergestellt, die Mitglied der „Fair Labor Association”sind. 30 Prozent des weltweit geernteten Kaffees werden von Mitgliedern der 4-C-Association („For a better Coffee”) produziert, deren Mitglieder ebenso wie bei die vorher genannten jährlich einen Bericht ablegen müssen.
Daneben verpflichten sich manche Unternehmen durch konzerneigene Verhaltenskodizes, auf die Einhaltung von Standards in ihren Zulieferbetrieben zu achten. „Große Unternehmen wie Adidas und Nike sind besonders unter Zugzwang, da sie mehr im Licht der Öffentlichkeit stehen”, erklärt Miller. Fraglich ist allerdings, inwieweit Selbstverpflichtungen Lippenbekenntnisse sind. Die Selbstmorde von Arbeitern und Angestellten 2010 in einer chinesischen Fabrik, die Elektronikgüter herstellt, wären wohl nicht um die Welt gegangen, würden in jener Fabrik nicht die populären iPhones von Apple hergestellt. Apple entschuldigte sich in der Öffentlichkeit, Foxconn schraubte die Löhne hinauf. Allerdings hätten die Überstunden und der unmenschliche Arbeitsdruck in der Fabrik aufgrund von Apples Verhaltenkodex schon im Vorhinein niemals passieren dürfen.
Ein ständiger Kampf gegen das Vergessen
Im Mai 2011 berichtete Spiegel Online über einen Besuch bei der in die Schlagzeilen geratenen chinesischen Fabrik. Die Zahl der Überstunden lag noch immer bei 80 statt den gesetzlich erlaubten 36 Stunden. Die Foxconn-Manager entschuldigten sich bei den Reportern - aufgrund der Nachfrage für iPhones hätten sie, trotz ständiger Neueinstellungen und Automatisierung von Arbeitsprozessen, keine andere Möglichkeit, als die Arbeiter zu illegalen Überstunden zu verpflichten.
Doch wenigstens geraten die Arbeitsbedingungen in der Firma nicht komplett in Vergessenheit. Dafür sorgen auch Nicht-Regierungs-Organisationen, die sich auf ein Watchdog-Dasein spezialisieren, also auf Missstände aufmerksam machen, wie etwa Greenpeace. Der Schweizer Arm der Umwelt-NGO vergibt zusammen mit der Entwicklungs-NGO „Erklärung von Bern” die so genannten „Public-Eye-Awards”. Jährlich werden über eine Internet-Abstimmung Preise an jene Unternehmen vergeben, die sich eines besonders gravierenden Regelverstoßes schuldig gemacht haben. Foxconn war bei der Abstimmung 2011 auf der Shortlist, ebenso BP. Bekommen hat den Negativ-Preis allerdings Neste Oil, ein finnisches Mineralölunternehmen, das unter der Bezeichnung „Green Diesel” Treibstoff aus Palmöl verkauft. Einer der Kunden dieses Biodiesels ist die Lufthansa. Doch gerade der Bio-Treibstoff von Neste Oil hat laut „Public Eye” eine schlechtere CO2-Bilanz als herkömmlicher Diesel und führte darüber hinaus zu immer mehr Enteignungen und der Zerstörung von Regenwaldflächen in Indonesien und Malaysia. Lebensmittel werden aufgrund eines Mangels an Anbaugebiet teurer, und die dort heimischen Orang-Utans verlieren immer mehr Lebensraum.
Im Gefolge des Public- Eye-Awards wurde einem der Hauptlieferanten von Neste Oil, der IOI Corp, die RSPO-Zertifizierung („Roundtables on Sustainable Palm Oil”) entzogen - diese Organisation zertifiziert derzeit die Nachhaltigkeit von 8 Prozent der globalen Palmöl-Produktion.
Hoffen auf gesetzliche Verpflichtungen
„Werden CSR-Standards jemals 100 Prozent abdecken können? - Wohl nicht”, meint Miller. Trotzdem seien sie ein Anfang, vor allem im internationalen Kontext, wo man oft nicht sicher sein kann, welche nationalen Gesetze zur Anwendung kommen. „Wirklich interessant wird es beim nächsten Erdgipfel, 2012 in Rio, wenn die Ergebnisse der vergangenen 20 Jahre präsentiert werden. Die große Frage wird sein, wie sich die Regierungen in Zukunft verhalten.” Im Idealfall, heißt es sinngemäß im Unctad-Report, werden freiwillige Selbstverpflichtungen schließlich in nationales Recht gegossen.
„Wenn der Markt Orang-Utans will . . .”
Indonesien, größter Palmöl-Produzent der Welt, hat bereits eigene Gesetze für eine nachhaltige Ölpalmen-Bewirtschaftung, deren Übertretung sogar mit Haft geahndet werden kann. Die Nummer 2, Malasyia, überlegt nun ebenfalls ein eigenes Gesetz oder Zertifizierungssystem, da RSPO zu sehr von NGOs dominiert werden, die ihre Meinung oft ändern, heißt es in einem Reuters-Bericht.
„Wir werden uns ansehen, was der Markt will. Wenn er keine Waldrodung will, werden wir das in unsere Zertifizierungen einfließen lassen”, erklärte Yusof Basiron vom Malasiyas Palmöl-Beirat. „Wenn er nicht will, dass Orang-Utans ausgerottet werden, werden wir auch das auch berücksichtigen.”
Arbeit von Nichtregierungs-Organisationen wird erstmals im World Investment Report 2011 der UNO gewürdigt