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Im Irak bahnt sich eine Trendwende an

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Der schiitische Prediger Al-Sadr und die Kommunisten liegen bei den Parlamentswahlen vorne.


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Bagdad.Es gibt tatsächlich eine neue Zeitrechnung im Irak: vor und nach Daesh - der Terrormiliz IS. Dies zeigt sich jetzt besonders deutlich bei den Parlamentswahlen. Nach Auszählung von zehn der 18 Provinzen liegt eine neue, ungewöhnliche Allianz vorne. Sa’irun (Vormarsch) erhielt allein in Bagdad doppelt so viele Stimmen wie die dahinter liegenden Allianzen, Listen und Gruppierungen. Außer in der Hauptstadt liegt das Bündnis in vier weiteren ausgezählten Provinzen vorne.

Regierungschef Haider al-Abadi ist mit seiner Sieger-Liste abgeschlagen. Aber auch die anderen Blöcke haben weniger Stimmen bekommen, als vorausgesagt wurde. Bestätigt sich die Tendenz, wäre Sa’irun mit dem schiitischen Prediger Moktada al-Sadr und seiner Erneuerungsidee unangefochtener Sieger der Wahlen. Er paktiert mit sechs völlig unterschiedlichen Parteien, darunter den Kommunisten. Alle verbindet ein gemeinsam verabschiedetes Programm zur Bekämpfung von Korruption, der Erneuerung des politischen Prozesses und vor allem der Verjüngung der Entscheidungsträger. Der Irak wird demnach ein junges Parlament bekommen. Der Trend, der sich schon vor der Wahl abzeichnete, ist also auch an den Wahlurnen vollzogen worden, obgleich die Wahlbeteiligung mit 44,5 Prozent so niedrig war wie noch nie, seit dem Sturz Saddam Husseins 2003.

Hinter Al-Laut liegt laut dem Zwischenergebnis der Anführer der wichtigsten Schiiten-Miliz im Land, Hadi Al-Amiri, der enge Beziehungen zum Iran pflegt. Al-Amiris Liste liegt demnach in vier Provinzen vorn. In acht weiteren Provinzen wurde die Liste, die aus Ex-Kämpfern gegen die Dschihadistenmiliz IS besteht, zweitstärkste Kraft. Erst an dritter Stelle liegt der Wunschkandidat des Westens, der schiitische Regierungschef Haider al-Abadi, der bislang nur eine Provinz für sich entscheiden konnte.

Allerdings könnte sich dieses Verhältnis noch ändern. Die nördlichen Provinzen Iraks, Kirkuk, Salahuddin und vor allem Ninewa mit der Millionenstadt Mossul sind noch nicht ausgezählt. Dort könnte Abadi Stimmengewinne verbuchen. Auch für Irak-Kurdistan lagen zunächst noch keine Ergebnisse vor. Das liegt daran, dass dort das neu eingeführte elektronische Wahlsystem größtenteils nicht funktioniert hat. Die Maschinen sollten fälschungssichere und schnelle Ergebnisse liefern. So mussten die Wähler keine Häkchen mit Stiften auf die Wahlzettel malen, sondern Stempel in die jeweiligen Felder drücken, die dann sofort elektronisch erfasst werden sollten. In der Kurdenmetropole Erbil hat dies aber nicht geklappt und auch in Mossul und Kirkuk gab es technische Probleme. Also mussten die Wahlurnen nach Bagdad transportiert werden, wo die Stimmen von Hand ausgezählt werden.

Einer der vielen jungen Kandidaten für einen der 337 Parlamentssitze (acht Plätze sind für Vertreter der Minderheiten reserviert) ist Muntazer al-Zaidi. Der 39-jährige Journalist wurde weltberühmt, als er vor zehn Jahren bei einer Pressekonferenz im Palast des Premierministers seine Schuhe gegen US-Präsident George W. Bush warf und ihn für die vielen Toten verantwortliche machte, die die amerikanische Invasion mit sich brachte. Mit den Zwischenergebnissen steigen die Chancen Zaidis, ins Parlament in Bagdad einzuziehen.