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Nach Rafsanjanis Tod beginnt das große Zittern - die Reformer fürchten um ihren Einfluss.
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Wien/Teheran. Egal, was man vom am Sonntag an den Folgen eines Herzinfarkts verstorbenen zweitmächtigsten Mann des Iran, Akbar Hashemi-Rafsanjani, halten mag, über eines sind sich Freunde und Feinde einig: Er war eine umstrittene charismatische Persönlichkeit und ein Veteran der Islamischen Revolution. Fakt ist auch, dass sich der Reformflügel des Iran nun in einer Schockstarre befindet. Denn mit dem Ableben von Rafsanjani verlieren die moderaten Kräfte des Landes ihren mächtigsten Schutzpatron.
So ist es nicht übertrieben zu behaupten, dass nach Rafsanjanis Tod die politischen Karten in der Islamischen Republik völlig neu gemischt werden und viele Fragen auftauchen. Wird Präsident Hassan Rohani ohne seinen Mentor die Wiederwahl gelingen? Werden die moderaten Kräfte im Parlament ohne seine Hilfe noch etwas zu sagen haben? Wie wird die Wahl des nächsten Obersten Führers ohne ihn als Drahtzieher ablaufen?
Rafsanjani fungierte als "König und Königsmacher"
Nie wieder kann Rohani seinen politischen Ziehvater und Mentor befragen, wenn er nicht mehr weiterweiß. Böse Zungen behaupten überspitzt, dass Rohani Rafsajani sogar um Erlaubnis gefragt haben soll, wenn er sich die Hände waschen wollte - und untermalen damit das Abhängigkeitsverhältnis.
Wer war dieser Mann, den viele europäische Medien in ihren Analysen so oft unterschätzt haben und auf ein Abstellgleis verfrachtet sahen? Ein Wendehals, ein iranischer Kardinal Richelieu, der als unabsetzbares Statut des Establishments in fast allen Funktionen des Staates seit der Islamischen Revolution 1979 vor allem im Hintergrund die Fäden zog. Er war sowohl "König" als auch "Königsmacher": Den jetzigen Obersten Führer, Ali Khamenei, hatte er selbst 1989 nach dem Ableben des Revolutionsvaters Ruhollah Khomeini, trotz mangelnder religiöser Ausbildung in diese Position gehievt.
Niemand sonst innerhalb der iranischen Führung hatte, ohne Voranmeldung und ohne Zeugen, Zutritt zu Khamenei. 2009 kam es, nach der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Mahmoud Ahmadinejad, zu einem offenen Riss zwischen Rafsanjani und Khamenei. Ersterer hatte sich aufseiten der Demonstranten gestellt, Khamenei auf jene Ahmadinejads. Als Chef des Expertenrates hatte Rafsanjani eine nötige Mehrheit, um Khamenei abzusetzen und Ahmadinejad aus dem Amt zu werfen, sah aber aus Systemtreue von diesem Schritt ab. Stattdessen hielt er am 17. Juli 2009 sein letztes Freitagsgebet, in dem er von einer ernsten Krise innerhalb des Landes sprach. Danach hielt er (freiwillig und nicht, wie fälschlicherweise oftmals kolportiert, gezwungenermaßen) nie wieder eine Freitagspredigt. Erst vor wenigen Wochen bat Khamenei, der sich damals klar hinter die Hardliner gestellt hatte, Rafsanjani erneut, die Freitagspredigt zu halten, doch dieser winkte ab. "Ich werde die Predigt erst wieder halten, wenn ich etwas zu sagen habe, das wie eine Bombe einschlägt", sagte er selbstsicher.
Außerdem war er der eigentliche Architekt des Atom-Deals zwischen dem Iran und dem Westen. (Der Iran reduziert seine Nuklearaktivitäten auf ein Mindestmaß, sodass der Bau einer Bombe ausgeschlossen werden kann. Der Westen hebt im Gegenzug die nuklearbezogenen Wirtschaftssanktionen gegen die Islamische Republik auf.)
Sowohl die Direktverhandlungen mit den USA, die letztlich zum Erfolg führten, als auch den Segen Khameneis für das Projekt konnte Rafsanjani durchsetzen. Er wagte es sogar, zu sagen, es sei möglich, dass die USA in den nächsten fünf Jahren eine Botschaft in Teheran eröffnen könnten, wenn "sie die Rechte des Iran akzeptieren".
Auch Rohani, der es ab nun sehr schwer haben wird, hat ihm viel zu verdanken: Er wurde nur gewählt, weil Rafsanjani 2013 (angeblich altersbedingt) nicht mehr antreten durfte und sich daher für Rohani aussprach. Er schuf nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt 1997 für sich eine Institution, den Schlichtungsrat, eine Vermittlungsinstanz zwischen Parlament und Wächterrat, um mit zahlreichen Sonderbefugnissen stets mitten im Geschehen der Staatsspitze zu bleiben. Doch nun können die Hardliner Rohani und seine Gefolgschaft "vernichten", so die Befürchtung. Daher war Rafsanjanis Ableben ein Grund zu großer Freude für die Ultrakonservativen. Nie mehr kann er Khamenei dazu drängen, die Hardliner in die Schranken zu weisen und den Reformern mehr Handlungsspielraum zu gewähren.
"Bis zum letzten Atemzug ein Diener des Staates"
Ein Familienmitglied Rafsanjanis sagte, dass er "bis zum letzten Atemzug den Glauben an die Islamische Revolution im Herzen getragen hat und ein guter Diener seines Landes sein wollte". Daher habe er stets Staatsinteressen vor persönliche Anliegen gestellt und viele Beleidigungen und Erniedrigungen mit Demut ertragen.
Für seine Kritiker war er der korrupte, reiche Pistazienmilliardär, der in den 1980er Jahren für zahlreiche Morde und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war. Zuletzt war er aber vor allem der Beschützer der moderaten Kräfte. Daher hegten viele Perser die Hoffnung, dass er die Hardliner aus den Schlüsselpositionen verdrängt und dafür sorgt, dass eine verantwortungsvolle Person zum nächsten Obersten Geistlichen Führer gewählt wird. Rafsanjani war für die Bevölkerung der Inbegriff des mächtigen Sprachrohrs gegen die ultrakonservativen Eliten, ein Fels in der Brandung gegen die im Mittelalter steckengebliebenen Ansichten mancher Ayatollahs.
Wenn man Perser danach fragte, warum sie ihn trotz der vielen Menschenrechtsverbrechen und Fehler im Laufe seiner politischen Laufbahn so hochlobten und schätzten, kam immer wieder eine Antwort. "Es gibt Weiß und es gibt Schwarz. Wenn die anderen Schwarz sind, dann ist er Grau. Und Grau ist nun einmal besser als Schwarz." Der Umstand, dass genau dieses Grau im Führungsapparat nun nicht mehr da ist, macht vielen Persern Angst.
Denn nun, nach Rafsanjanis Tod, weiß niemand, wie es im Iran weitergehen soll. Fest steht nur, dass mit ihm eine Ära zu Ende geht. Das erklärt auch die zehntausenden weinenden Menschen in Teheran und anderen Städten am Montag, die Staatstrauer im ganzen Iran, die Flaggen auf halbmast. Es erklärt die Schließung aller Behörden am heutigen Dienstag wegen der Begräbnisfeierlichkeiten und die Sondersendungen in den iranischen TV-Sendern. Die Staatsspitze hatte sich bereits am Montag zu Sonderberatungen getroffen. Sie weiß, dass Rafsanjani eine große Lücke hinterlassen wird, die niemand füllen kann. Ein Spiegelbild der Stimmung im Land ist das Internet: Hunderttausende Beiträge, Tweets, Postings und Videos von Persern in den sozialen Netzwerken YouTube, Twitter, Instagram, Telegram, WhatsApp und Facebook befassen sich nur mit einem Thema: Akbar Rafsanjani ist tot, quo vadis Iran? Schauspieler, Sänger, Literaten, Blogger, sie alle posteten Fotos Rafsanjanis mit Blumen und dem Zusatz, dass er fehlen werde. Sie sind ratlos.
Viele sehen "schwarze Wolken" auf das Regime zukommen
Die bewegenden Worte der Staatsspitze untermalen die Wichtigkeit der Causa: Irans Oberster Führer Ali Khamenei ließ eine dreitägige Staatstrauer ausrufen, sprach von einem "herzzerreißenden Verlust eines Freundes" und leitet die heutigen Begräbnisfeierlichkeiten höchstpersönlich. Präsident Rohani wirkte sehr geknickt, als er am Montag über den Tod seines wichtigsten Mentors sprach. Als "Akbar Shah" (Kaiser Akbar) ließ ihn Rohani auf Twitter hochleben. Außenminister Mohammad Javad Zarif hatte Tränen in den Augen und brachte kaum ein Wort heraus.
Andere nehmen seinen Tod zum Anlass, um entweder zu spekulieren, ob er von seinen Feinden umgebracht wurde, oder um noch einmal Parodien auf ihn hochleben zu lassen. Summa summarum sehen viele "schwarze Wolken" auf das Regime zukommen. "Bete im Himmel für uns, großer Akbar Shah, denn du wirst sehr fehlen und ohne dich bläst der Regierung ein sehr kalter Wind ins Gesicht", hieß es in einem der Tweets.
Umstrittener Allrounder: Akbar Hashemi-Rafsanjani
Der am 25. August 1934 als Sohn eines Großgrundbesitzers von Pistazienplantagen in Rafsanjan geborene Politiker war in Ghom ein Schüler von Ayatollah Khomeini. Während des Schah-Regimes war er mehrmals im Gefängnis und seit 1977 maßgeblich an der Planung zum Sturz der Monarchie beteiligt.
Der am Sonntag im Alter von 82 Jahren verstorbene Ex-Präsident war als gewiefter Taktiker, skrupelloser Machtpolitiker und gerissener Geschäftsmann ebenso bewundert wie verhasst. Seine Laufbahn ist vielschichtig: Zunächst Mitglied des Revolutionsrates 1979-80, dann Parlamentspräsident 1980-89, war er schließlich, von 1988 bis 1989, Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte. Im Juli 1989 wurde er zum Staatspräsidenten gewählt und 1993 in seinem Amt bestätigt. 1997 durfte er nach zwei Amtsperioden nicht mehr kandidieren und war seither Chef des Schlichtungsrates.
In seinen zwei Amtszeiten als Präsident bemühte er sich um den Wiederaufbau des Landes nach dem verheerenden Krieg gegen den Irak. Nach dem Attentat von 1994 auf die Zentrale der jüdischen Gemeinde in Buenos Aires, bei dem 87 Menschen ums Leben kamen, erließ ein argentinisches Gericht einen Haftbefehl gegen Rafsanjani, der jedoch stets jede Beteiligung an der Bluttat vehement bestritt.