Zum Hauptinhalt springen

Im Jahr des Affen

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

Chinas dirigistische Wirtschaftspolitik scheint am Ende zu sein.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Shanghai/Wien. Nach 28-minütigem Handel war der Arbeitstag an den chinesischen Börsen Shanghai und Shenzhen schon wieder vorbei - minus sieben Prozent waren schnell erreicht, schneller als am Tag davor. Und bei diesem Minus sperrt die Börse einfach zu, so der Beschluss der chinesischen Regierung. Weltweit steigt allerdings die Skepsis, ob die kommunistische Volksrepublik mit solchen dirigistischen Maßnahmen die wirtschaftlichen Probleme des Landes lösen wird können. Am Mittwoch pumpte die chinesische Zentralbank 19 Milliarden Dollar ins Finanzsystem, um Kurse zu stützen.

Analysten meinen allerdings, das sei Teil des Problems, nicht die Lösung. Denn China hält damit die Kurse hoch - zu hoch. Zwar haben die Börsen, gemessen an der Wirtschaftsleistung in China, eine recht untergeordnete Bedeutung, doch hinter dem Crash stecken beträchtliche Wirtschaftsprobleme, die auch zu gesellschaftlichen Verwerfungen führen können.

Yuan-Abwertung macht Südostasien Probleme

Das ging jedenfalls aus einer Studie von Sebastian Heilmann, Forschungsdirektor des Berliner "Mercator Institute for China Studies" schon im Herbst 2015 hervor. Der renommierte China-Kenner macht sich erhebliche Sorgen, und die haben nun den Rest der Welt erreicht. George Soros warnte sogar vor einer neuen Finanzkrise wie 2008 - ausgehend von Asien. Denn die Führung in Peking versucht zwar zu beschwichtigen, doch versucht sie auch gleichzeitig die Probleme zu exportieren. Die Landeswährung Yuan wurde nun zum zweiten Mal abgewertet, was die südostasiatischen Nachbarländer unter Druck bringt. Die Sorgen sind an den Börsen weltweit ablesbar. Nicht nur die Aktienkurse brechen weltweit ein, auch die Rohstoffpreise gingen gestern in die Knie. Der europäische Ölpreis (Brent) ging um sechs Prozent auf knapp über 32 Dollar zurück, Metalle wie Kupfer, Zink, Palladium sanken um drei bis fünf Prozent.

270 Millionen Wanderarbeiter bedrohen soziale Stabilität

Das ist kein Wunder, denn die chinesische Wirtschaft verbraucht etwa die Hälfte dieser Metalle. Bei Stahl sind es 45 Prozent, der Anteil am weltweiten Ölverbrauch liegt bei zwölf Prozent. Wenn die Verlangsamung der dortigen Wirtschaft so weitergeht, wird es deutlich weniger Nachfrage geben. Heilmann vom Mercator-Institut spricht von einer J-Kurve: Durch den notwendigen Umbau der chinesischen Wirtschaft von einer reinen Export-Orientierung zu einer stärker von Inlandsnachfrage getriebenen Volkswirtschaft entstehen Turbulenzen - und bevor es wieder rauf geht, geht es erst einmal runter.

Die große Frage lautet nun, ob die - unabwählbare - kommunistische Führung darauf die richtigen Antworten findet. Westliche Think-Tanks gehen von einem BIP-Wachstum von plus 4,5 Prozent aus, der Internationale Währungsfonds von 6,3 Prozent für 2016. Das ist für europäische Begriffe gut, für China aber zu wenig. Die fast 1,4 Milliarden Menschen benötigen ein Wachstum von fast acht Prozent, um den Arbeitskräftezuwachs integrieren zu können. Deutlich steigende Arbeitslosenzahlen gefährden allerdings die politische Stabilität des Landes, das heuer - im Feuerzeichen - ins Jahr des Affen geht. Das chinesische Horoskop verspricht darob Chaos, und so schaut es derzeit auch aus. Denn der chinesische Weg, politisch eine kommunistische Autokratie aufrechtzuerhalten, aber das Land wirtschaftlich zu liberalisieren, hat eine unangenehme Begleiterscheinung gebracht: In keinem anderen Land der Welt sind die Einkommens-Unterschiede so groß wie im kommunistischen China.

Den reichen Mega-Städten an der Küste stehen verarmte ländliche Regionen gegenüber. Das hat zu zirka 270 Millionen Wanderarbeitern geführt, die von Fabrik zu Fabrik rund um die Großstädte wandern. Sie verdienen gut 500 Dollar im Monat. Auf der Strecke bleiben die Kinder. 60 Millionen chinesische Kinder wachsen ohne Eltern auf. Und da Sozialleistungen und Bildungszugang in China regional organisiert sind, haben diese Kinder praktisch keine Chance auf Bildung. Eine Reparatur dieses Systems würde - so das Kinderhilfswerk Unicef - etwa 3000 Milliarden Dollar kosten.

Ob das durchaus als korrupt einzustufende politische System diesen Übergang schafft, wird in internationalen Institutionen wie der Weltbank durchaus in Frage gestellt. Die Weltbank hat nun das Weltwirtschaftswachstum für heuer von 3,3 auf 2,9 Prozent reduziert. Die Probleme Chinas, aber auch anderer Länder wie Brasilien wirken sich negativ aus. Der Absturz an den Weltbörsen ist also weniger eine Folge der Kernschmelze an den chinesischen Märkten als vielmehr die Sorge, wie die kommunistische Partei des Landes mit der Herausforderung fertig wird. Denn die müsste sich - so Heilmann - eine existenzielle Frage stellen. Um die chinesische Wirtschaft (auch ökologisch) effizienter zu gestalten, müsste die Dominanz der Staatskonzerne gebrochen und die bestehenden Restriktionen für Auslands-Investoren beendet werden.

Chinas Banken schieben faule Kredite vor sich her

Das allerdings würde der politischen Führung auch die Kontrolle über die Wirtschaft entziehen - was zu einem Machtverlust führen würde. Der China-Experte Heilmann hält dies für wenig realistisch. Ökonomisch hat Peking bisher versucht, die Probleme mit öffentlichen Konjunkturprogrammen zu lösen. Die Staatsschuld Chinas liegt aktuell bei etwa 44 Prozent, manche Städte und Regionen stehen aber bereits am Rande ihrer finanziellen Möglichkeiten. Das Budgetdefizit liegt bei etwa zwei Prozent, 2011 gab es noch einen Überschuss von 0,5 Prozent.

Nun macht der Leistungsbilanzüberschuss von 150 Milliarden Dollar (eine Folge der starken Exportorientierung) diese Finanzierung noch einfach. Doch wenn das Wachstum wie befürchtet einbricht, könnte es rasch zu Problemen kommen. Schon jetzt gibt es weltweit Sorge um die staatlichen chinesischen Banken. Hohes Kreditwachstum und sinkendes Wachstum haben zu vielen faulen Krediten geführt. Die "Bank of England" hat dies als "Gefahr für die Weltwirtschaft" eingeschätzt. Es soll sich um umgerechnet 266 Milliarden Euro handeln.

Die "Peoples Bank of China", also die dortige Zentralbank, pumpt enorme Summen ins Finanzsystem, um den Status quo aufrechtzuerhalten. Allein in den vergangenen vier Wochen sind deren Devisenreserven um 107 Milliarden Dollar gesunken. Sie liegen zwar immer noch bei 3300 Milliarden Dollar, doch eine solche Entwicklung darf nicht allzu lange dauern.

Dazu sind - wie auch in der EU während der Eurokrise - politische Entscheidungen notwendig. Je länger die Führung zuwartet, desto teurer wird es. Aber genau an diesen politischen Entscheidungen Pekings wird gezweifelt.

Erschwerend kommt dazu, dass - wie die Weltbank schreibt - durch die niedrigen Rohstoffpreise auch Länder wie Russland und Brasilien schrumpfen. Wichtige Abnehmerländer Chinas fallen daher aus.

Pekings Außenpolitik wirddafür aggressiver

Dieser "gefährliche Cocktail", wie es der britische Schatzkanzler George Osborne gestern nannte, lässt die Börsen weltweit einknicken. Die Sorge um sogenannte "Schwellenländer", auch in Osteuropa, führte an der Wiener Börse zu einem Absturz um vier Prozent. Auch die US-Börsen gingen in die Knie. Politisch befürchten die USA, dass die massiven Probleme im Inland zu einer aggressiveren Außenpolitik Chinas führen. So wird die chinesische Armee neu organisiert und ausgebaut. Das wird in Nachbarländern wie Vietnam mit Sorge beobachtet. Die Spannungen im Südchinesischen Meer wachsen.

Peking hat gestern die 7-Prozent-Verlust-Klausel abgeschafft. Das soll wohl die Spannungen an der Börse reduzieren...