Warschau - Als Leon Kieres, der Direktor vom "Institut des Nationalen Gedenkens" (IPN) vor Wochen im polnischen Sejm den ersten Rechenschaftsbericht seit Bestehen der Behörde vortrug, glaubte mancher Abgeordnete nicht richtig zu hören. "Warum sind Sie eigentlich so ein Judenfreund?", erklang es von den Rängen der rechtskonservativen "Liga Polnischer Familien" (LPR). Kieres beschmutze mit seiner Arbeit den guten Namen Polens, hieß es.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der Hintergrund: Das IPN ist für die Aufarbeitung stalinistischer und nationalsozialistischer Verbrechen zuständig. Kieres ist aber auch verantwortlich für die neuen Ermittlungen des Pogroms im ostpolnischen Ort Jedwabne, das seit zwei Jahren die polnische Öffentlichkeit spaltet. Polnische Nachbarn hatten im Sommer 1941 die jüdische Bevölkerung des Ortes ermordet - jahrzehntelang galten die deutschen Besatzer als Schuldige. Als sich der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski am 60. Jahrestag des Verbrechens bei Angehörigen der Opfer entschuldigte, witterte die LPR, damals noch im Wahlkampf, eine "jüdische Verschwörung".
Seit dem vergangenen Herbst ist die Gruppe, die ihren Rückhalt vor allem in rechtskatholischen nationalistischen Kreisen hat, mit 38 Abgeordneten im Parlament vertreten. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sitzen wieder radikale Nationalisten auf den Abgeordnetenbänken. Ihren Wahlerfolg verdanken sie nicht nur der Unzufriedenheit der Wähler mit der Zersplitterung der Konservativen, sondern auch der medialen Rückendeckung etwa durch "Radio Marya", einen nationalkatholischen Rundfunksender.
"Ausverkauf"
Ähnlich wie die radikale Bauern-Protestpartei Samoobrona (Selbstverteidigung) von Andrzej Lepper befürchtet die LPR einen "Ausverkauf" des Landes an ausländische Investoren. Doch nicht nur die wirtschaftliche Liberalisierung ist der Familienliga ein Dorn im Auge, auch wenn sich der Abgeordnete Gabriel Janowski den "Kampf um die polnische Erde" zur Hauptaufgabe seines Abgeordnetenlebens gemacht hat. Sie sieht in der gesellschaftlichen Liberalisierung und dem Zusammenwachsen nationale Werte gleich das christlich-europäische Abendland gefährdet. "Man muss zur Union Nein sagen, um Europa zu bejahen", meinte etwa Antoni Macierewicz, einer der führenden LPR-Politiker, vor Kurzem in einem Interview. Das Abtreibungsrecht in den EU-Staaten ist für ihn ebenso Grund zur Ablehnung einer EU-Mitgliedschaft wie die Tatsache, dass Polnisch bisher nicht als "gleichberechtigte" Sprache anerkannt wird.
"Ein Polen, das der EU beitritt, erklärt sich zur Unterordnung im einer gemeinsamen internationalen Politik bereit, geführt von Brüssel im Konzert der europäischen Staaten, in dem deutsche Ideen und Interessen dominieren", zeichnete Maciererwicz düstere Zukunftsbilder und vergaß nicht zu erwähnen, wie gut die deutsch-russischen Beziehungen derzeit seien - vor allem für manchen älteren polnischen Wähler eine Erinnerung an schlechte Zeiten. Dass insbesondere in Großbritannien und Frankreich viele Bürger nicht nur aus außereuropäischen Staaten stammen, sondern auch Moslems sind, macht die EU vielen LPR-Anhängern völlig suspekt.