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Im konservativen Lager wächst die Unzufriedenheit mit Bush

Von Daniel Jahn

Politik

Der Interviewer schien seinen Ohren nicht zu trauen. Was hatte Bill O'Reilly gerade im Frühstücksfernsehen von ABC über den Irak-Krieg gesagt? "Meine Analyse war falsch, und es tut mir leid." Dies war derselbe O'Reilly, der in seinen Talksendungen beim Konkurrenten Fox monatelang leidenschaftlich für diesen Krieg agitiert und gegen Deutsche und Franzosen gewettert hatte. Wegen der vergeblichen Suche nach den Massenvernichtungswaffen habe er inzwischen aber, so grantelte der ultrakonservative Fernsehstar auf die Nachfrage des verdutzten Interviewers, eine "viel skeptischere" Haltung gegenüber der Bush-Regierung eingenommen.


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Zwar hält O'Reilly den Krieg gegen Saddam weiter für gerecht. Und er will dem Präsidenten auch keine persönliche Schuld an den Falschinformationen geben, sondern macht Geheimdienstchef George Tenet verantwortlich. Und dennoch ist der Sinneswandel des Talkmasters, der vormals zu den leidenschaftlichsten Unterstützern der Bush-Regierung gehörte, symptomatisch: Aus den verschiedensten Motiven rumort es unter den Konservativen. Unbehagen löst nicht nur die vergebliche Suche nach den Massenvernichtungswaffen aus, sondern auch Bushs Einwanderungspläne, sein eher schlapper Widerstand gegen die Homo-Ehe und vor allem das ausufernde Haushaltsdefizit. Und viele finden, dass Bush weniger als neun Monate vor der Wahl eine schlechte Figur im Vergleich mit seinem wahrscheinlichen Herausforderer John Kerry abgibt.

So stellte die Kommentatorin Peggy Noonan, eine Redenschreiberin des früheren Präsidenten Ronald Reagan, Bush für sein Interview am Sonntag bei NBC, in dem er wegen der Massenvernichtungswaffen gelöchert wurde, ein mieses Zeugnis aus: "Der Präsident wirkte müde, unsicher und oft konfus." Und der konservative Kolumnist George Will erinnerte Bush an die Sentenz des Schriftstellers Mark Twain, der Unterschied zwischen dem fast richtigen und dem richtigen Wort sei wie die "zwischen einem Leuchtkäfer und einem Blitz". In ihren Warnungen vor irakischen Waffen hätte die Regierung besser die Worte "wir glauben" statt "wir wissen" verwenden sollen.

Eine besonders große Quelle der Unzufriedenheit unter den Konservativen ist das unter Bush explodierte Haushaltsdefizit. Für 2005 weist sein Budgetentwurf ein Loch von 521 Milliarden Dollar (411 Mrd. Euro) aus. Viele Republikaner fürchten, ihr Ruf als einer fiskalisch soliden Partei wird nur schwer zu retten sein. Gesteigert wird ihr Unmut dadurch, dass die Regierung zuerst 400 Milliarden Dollar für die Reform der Krankenversicherung Medicare veranschlagt hatte, die Summe aber nachträglich auf 534 Milliarden Dollar aufstockte. Im Kongress muss sich die Bush-Regierung auf harte Haushaltsverhandlungen auch mit den eigenen Leuten einstellen. Der republikanische Abgeordnete Scott Garrett kündigte an, bei der Ausgabenbegrenzung seien auch Verteidigung und Heimatschutz nicht tabu.

Schon zuvor hatte Bush viele Konservative mit seinen Plänen auf die Palme gebracht, Millionen illegaler Einwanderer eine befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu erteilen. Sie sehen darin eine Belohnung für Gesetzesbruch. Heikel ist für den Präsidenten auch das Thema Homo-Ehe, die im Mai im Bundesstaat Massachusetts eingeführt werden soll. Konservative Gruppen fordern eine Verfassungsänderung zum "Schutz der Ehe zwischen Mann und Frau". Laut Presseberichten ist Bush nach langem Zögern zwar inzwischen bereit, eine solche Initiative zu unterstützen, doch will er nur behutsam vorgehen, um nicht von den Demokraten als Homo-Feind gebrandmarkt werden zu können.

Trotz des Rumorens bei den Rechten steht aber ihre große Mehrheit wohl noch immer hinter Bush. Die Gefahr, dass weite Teile der eigenen Basis zu den Demokraten überlaufen könnten, sieht Karlyn Bowman, Meinungsforscherin am konservativen American Enterprise Institute, derzeit nicht. Allerdings gebe es ein "kleines Risiko", dass ein Teil der Wahl im November fern bleiben könnte.