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Im Kopf der ÖVP

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Warum schaltet Schallenberg auf Attacke? Weil ein Schlussstrich unter Kurz die ÖVP implodieren lassen könnte.


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Sowohl mit seiner Antrittsrede im Parlament wie schon mit seiner ersten Erklärung nach seiner Angelobung hat der neue Bundeskanzler all jene enttäuscht, die sich eine deutliche Distanzierung von Sebastian Kurz erwartet hatten. Stattdessen erhob Alexander Schallenberg, frisch angelobt, die Unschuldsbehauptung für seinen Vorgänger zur Leitlinie seiner Kanzlerschaft und schaltete von Schockstarre zurück auf Attacke.

Warum zieht die ÖVP, allen voran der neue Kanzler, keinen Schlussstrich unter das Kapitel Kurz, wie es nicht nur die geschlossene Opposition, sondern mittlerweile auch die große Mehrheit der Kommentatoren fordert und die ersten Landeshauptleute bereits umsetzen?

Viel spricht dafür, dass Schallenberg in dieser Sache weniger sagt, was er sagen will (was das genau sein könnte, muss zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin überwiegend Spekulation bleiben), als vielmehr das, was er sagen muss. Der Rücktritt von Kurz war notwendig, um die Koalition mit den Grünen zu retten. Ebenso notwendig ist für den Moment der Verbleib von Kurz als Obmann und Klubchef, um die Koalition nun nicht durch eine Implosion der ÖVP doch zu sprengen.

Sebastian Kurz hat lange vor seiner Wahl zum Obmann 2017 damit begonnen, die Partei nach seinen Interessen umzubauen. Umgekehrt verdankt es die ÖVP allein ihrem gefallenen Superstar, dass sie 2019 zur mit Abstand stärksten Kraft im Land wurde. Wenn jetzt die ersten Umfragen einen Absturz der ÖVP in der Wählergunst anzeigen, ist längst nicht ausgemacht, wer intern dafür die Verantwortung übernehmen muss: Kurz und sein System der rücksichtslosen Machtgewinnung oder vielleicht doch diejenigen, die ihn zum Rücktritt gedrängt haben?

Und weil da und dort bereits die Möglichkeit eines Parteiausschlusses für die Übeltäter ventiliert wurde: Was wären wohl die Folgen, wenn Kurz selbst aus der ÖVP austreten würde? Die ÖVP würde ins Chaos stürzen.

In dieser hochdynamischen Konstellation, die jederzeit zu Dynamit für Partei wie Koalition werden kann, muss Schallenberg das Unmögliche versuchen: Die Selbstbefreiung der ÖVP aus ihrer willigen Unterwerfung unter Kurz in einer Art und Weise, dass es selbst noch den eifrigsten Anhängern des ehemaligen Kanzlers als natürlicher, unausweichlicher Prozess erscheint.

Schallenberg setzt zu diesem Zweck auf doppelte Kontinuität: die Fortsetzung der wackeligen Koalition mit den Grünen, um einen Kanzlerbonus aufzubauen, und das Beharren auf Attacke in Sachen Selbst- und Kurz-Verteidigung. Für die Anklagen sind ohnehin die anderen zuständig.