Böhmdorfer: Verantwortung für Kinder endet mit Scheidung nicht. | Heinisch-Hosek befürchtet mehr Streitigkeiten vor Gerichten. | Wien. Die automatische gemeinsame Obsorge wird weltweit immer beliebter. In Neuseeland wurde sie vor einigen Jahren eingeführt, Deutschland hat sie, in den skandinavischen Ländern gibt es die automatische gemeinsame Personensorge. | Interview mit Justizministerin Bandion-Ortner | Ohne Trauschein kaum Väterrechte
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Justizministerin Claudia Bandion-Ortner will diese internationalen Erfahrungen nun auch in Österreich angewandt wissen. Sie ist für die automatische gemeinsame Obsorge nach einer Scheidung. Sie erörtert dieses Thema heute, Dienstag, bei einem Treffen mit ihren Ressortkollegen aus Deutschland, Liechtenstein und der Schweiz. Eine parlamentarische Enquete kommenden Donnerstag soll zumindest in Österreich darüber mehr Klarheit bringen.
"Im Vordergrund muss immer das Wohl des Kindes stehen", argumentiert Bandion-Ortner. "Im Mittelpunkt muss das Kindeswohl stehen", sagt auch Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek zur "Wiener Zeitung".
Dieter Böhmdorfer, der als Justizminister für die Möglichkeit einer gemeinsamen Obsorge verantwortlich zeichnete, hat "Verständnis dafür, dass das Gesetz weiterentwickelt wird". Denn die Verpflichtung der Eltern gegenüber ihren Kindern dürfe mit der Scheidung nicht enden.
50 Prozent wählengemeinsame Obsorge
Seit 2001 haben Eltern bei einer Scheidung die Möglichkeit, sich für eine gemeinsame Obsorge zu entscheiden, allerdings nur auf gemeinsamen Antrag der Eltern. Das Pflegschaftsgericht muss dem Antrag entsprechen, wenn das Kindeswohl nicht gefährdet ist. Wenn ein Elternteil einen Antrag auf alleinige Obsorge stellt, der nicht begründet werden muss, wird die gemeinsame Obsorge aufgehoben.
Derzeit entscheiden sich etwa 50 Prozent der Paare bei Scheidungen für eine gemeinsame Obsorge. Laut dem jüngsten Familienbericht gibt es eine hohe Zufriedenheitsrate. Demnach sind 75 Prozent der hauptbetreuenden und 70 Prozent der getrennt lebenden Elternteile zufrieden. Bei alleiniger Obsorge sind zwar 90 Prozent der allein sorgeberechtigten, aber nur 30 Prozent der nicht sorgeberechtigten Elternteile zufrieden.
Für Justizministerin Bandion-Ortner zeigen diese Daten auch, dass die gemeinsame Obsorge zur Deeskalation beiträgt. Das Gegenteil befürchtet Familienministerin Heinisch-Hosek. Es sei gut, dass es die Möglichkeit der gemeinsamen Obsorge gebe. Es müsse aber einen Grund geben, warum sich nur 50 Prozent der Paare dafür entscheiden. Die Frauenministerin ist daher "skeptisch gegenüber einem Automatismus". Es sei fraglich, ob der Staat eine gemeinsame Verantwortung verordnen könne, wenn Eltern es von sich aus nicht schaffen.
Heinisch-Hosekfür "Abkühlphase"
Die Frauenministerin nannte etwa das Beispiel der Schulanmeldung: Die Mutter will das Kind an eine Montessori-Schule schicken, der Vater melde es an einer "normalen" Volksschule an. "Gibt es keine Einigung, landen die Eltern wieder vor Gericht. Es ist die Frage, ob damit nicht eher Konflikte geschürt und eine Deeskalation verhindert wird."
Heinisch-Hosek schlägt daher eine "Abkühlphase" vor. Eltern entscheiden sich bei der Scheidung für eine Variante und überlegen nach einer Zeit noch einmal die Vereinbarung.
Böhmdorfer kritisiert aber, dass Scheidungen an Bezirksgerichten erfolgen, wo sehr junge Richter sind. Solche Entscheidungen "gehören nicht in die Hände einer Generation, die zwar das Recht perfekt kennt, aber das Leben nicht." Er plädiert dafür, dass vor allem für unverheiratete Paare Regelungen geschaffen werden. 70 Prozent der Familien (1,4 Millionen) sind Ehepaare mit Kindern, 10 Prozent (145.000) Familien sind Lebensgemeinschaften und 193.000 sind Ein-Eltern-Familien (13 Prozent). Die Tendenz geht in Richtung Lebensgemeinschaften. Und auch für diese müsse bei Trennungen eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, sagt Böhmdorfer.