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Muslimische Jugendliche nutzen den Rap als Sprachrohr.
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Wien. "Ich bin nicht wütend. Ich bin die Wut. Ich bin nicht gefährlich. Ich bin die Gefahr", deklamiert der Amerikaner Amir Suleiman in einem Youtube-Video über die Macht der Rebellion. Er ist nur einer von vielen Poetry-Slam-Künstlern aus den USA. Ihn nehmen sich viele Mädchen und Burschen auch hierzulande zum Vorbild, insbesondere muslimische Jugendliche. Diesen Samstag, den 16. November, veranstaltet die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) den ersten muslimischen Poetry Slam in Österreich. In der Anas-Shakfeh-Stiftung in der Eitnergasse 6 in Liesing üben sich dann die muslimischen Jugendlichen im verbalen Schlagabtausch.
"Es geht nicht nur darum, einen islamischen Poetry Slam abzuhalten, sondern auch darum, junge Muslime in diesem Bereich zu fördern", erklärt Wettbewerbsleiter Derai Al-Nuaimi. "Ein Poetry Slam ist ein Wettstreit, bei dem selbst geschriebene Texte innerhalb einer bestimmten Zeit, ohne Hilfsmittel oder Requisiten, einem Publikum vorgetragen werden. Das Publikum bewertet die Slammer dann", erklärt er. Mit dem Slogan "Gib deiner Meinung eine Stimme" wird Jugendlichen ein Sprachrohr geboten. "Die Teilnehmer können im Prinzip über alles Mögliche slammen", sagt der Projektleiter. Dennoch sind ihrer künstlerischen Freiheit ein paar Grenzen gesetzt: "Einzige Auflage ist, dass keine Kraftausdrücke verwendet werden und dass die Texte nicht rassistisch, sexistisch oder sonst in einer Form menschenverachtend sein dürfen", sagt der 20-jährige TU-Student. "Es gibt in Österreich eine blühende Slamming-Szene und als Muslime wollen wir das Spektrum erweitern und Teil der Slamming-Community werden", erklärt Al-Nuaimi die MJÖ-Mission.
Auch Menerva Hammad will sich diesen Samstag der großen Bühne stellen. "Ich will vor dem Publikum face to face stehen und sehen, wie es reagiert", sagt die 24-jährige Publizistik-Studentin. Es wird ihr erster Slam sein. Wie es die Teilnahmebedingungen verlangen, hat sie zwei Texte vorbereitet. Der erste Slam behandelt ihre Liebe zu ihrem Herkunftsland Ägypten und die aktuelle Lage dort. Der zweiten Text trägt den Namen "Zu fett für’s Ballett" und wird "eine lustige Kritik sein, die den Magerwahn parodiert", erklärt sie. Für Hammad ist der Poetry Slam eine Möglichkeit sich auszudrücken: "Man steht ein paar Minuten im Spotlight und kann seine Meinung kundtun. Ob das Publikum diese Meinung akzeptiert oder ablehnt, ist egal."
Mehr als nur Kalligrafie
Für Hakim ist der Slam ein Ventil, "nicht um Frust rauszulassen wie bei einem Kampfsportler, der auf einen Sandsack schlägt", sondern eine Möglichkeit, "ein menschliches Bedürfnis zu befriedigen und um loszuwerden, was man sagen will, und um mit anderen seine Meinung zu teilen". Seine Texte bezeichnet er als sozial-satirisch. Er möchte das Publikum aber nicht zum Lachen, sondern zum Nachdenken bringen.
Als Vorbereitung hat sich der 24-jährige Web-Entwickler Videos von amerikanischen Künstlern angeschaut. Seine Favoritin: Amal Kassir. Die Amerikanerin aus Denver, Colorado, wurde berühmt durch ihre Slams, die Sexismus in der Gesellschaft anprangern. "Ich repräsentiere die politische Partei, die im Namen der halb-nackten Barbie-Puppe agiert", "slammte" sie in einem ihrer Videos.
Viel will man sich auch hierzulande von den amerikanischen Künstlern abschauen. Schließlich wurde der Poetry Slam in 1986 in Chicago, Illinois, gegründet. Vier Jahre später slammten Männer und Frauen auf der ganzen Welt. Auf dem amerikanischen Sender HBO lief zwischen 2002 und 2007 die Sendung "Def Poetry", die Slammer einem breiten Publikum vorstellen sollte. Die Sendung wurde von Mos Def moderiert, einem US-Rapper, der später zum Islam konvertierte und sich von da an Yasin Bey nannte. Er brachte viele muslimische Künstler auf die Bühne und inspirierte damit auch die Community in Österreich.
"Wir haben mitbekommen, dass die Muslime dort islamische Poetry Slams veranstaltet haben", erklärt Al Nuaimi die Notwendigkeit eines heimischen Wettbewerbs. Für Hakim hat der Poetry Slam vor allem eine Funktion: "Es ist wichtig festzuhalten, dass die Islamische Kunstszene weit über die Kalligrafie hinausgeht."
Bereits 2011 hat die MJÖ versucht, einen Poetry Slam auf die Beine zu stellen. Ohne Erfolg. Die Zeit soll aber nun reif sein. "Man muss das Poetry Slam als eine Art Eisbrecher verstehen. Vielleicht etabliert sich das Slammen unter den österreichischen Muslimen noch. Das hängt vom Event am 16. November ab", so Al Nuaimi. "Vielleicht gibt es ja den einen oder anderen Slammer, der es in die allgemeine Szene schafft. In den USA oder Großbritannien ist das gelungen. Dort rocken Muslime längst die Show."