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Im parlamentarischen Streik

Von Martyna Czarnowska

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Während auf der Straße Rumänen protestieren, will die Opposition mit einem Boykott die Regierung in Bukarest zum Rücktritt zwingen.


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Nicht einmal von der Kälte ließen sie sich beirren. Auch bei Temperaturen, die unter minus zehn Grad fielen, gingen diese Woche Rumänen auf die Straße, um gegen die Regierung in Bukarest, aber auch gegen den Staatspräsidenten zu protestieren. Seit Wochen schon dauern die Demonstrationen an, die Menschen prangern die rigiden Sparprogramme der Mitte-Rechts-Koalition an.

Nun fordert auch die Opposition im Parlament einen Rücktritt der Regierung und vorgezogene Neuwahlen. Sie tut dies allerdings nicht auf der Straße, sondern im Abgeordnetenhaus - mittels Boykott. Sie ist in einen parlamentarischen Streik getreten und will nur dann an Abstimmungen teilnehmen, wenn es um die Organisierung von Neuwahlen, ein Misstrauensvotum gegen die Regierung, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten oder äußerst wichtige Gesetze geht.

Die Koalition des liberaldemokratischen Premiers Emil Boc aus PDL (Liberaldemokraten), Demokratischer Union der Ungarn, Fortschrittspartei und einer Minderheitengruppierung hat 176 Mandate; die oppositionelle Sozialliberale Union (USL) - ein Bündnis aus der Nationalliberalen Partei (PNL), den Sozialdemokraten (PSD) und den Konservativen - stellt 149 Abgeordnete. Prekärer ist aber die Situation in der zweiten Kammer, im Senat: Dort verfügt - wegen diverser Parteiaustritte und Vakanzen - weder die Regierung noch die Opposition über eine Mehrheit.

Die USL wirft Bocs Koalition, aber auch Staatsoberhaupt Traian Basescu vor, die Straßenproteste zu ignorieren und generell in einem "diktatorischen Stil" zu agieren. Premier Boc musste sich schon zuvor fast einem Dutzend Misstrauensvoten stellen, und Präsident Basescu ist für seine direkte Art bekannt, mit der er immer wieder Politiker sowohl seines Landes als auch anderer Staaten zurechtweist. Als Boc zuletzt verkündete, mit dem Internationalen Währungsfonds über mögliche Anhebungen der Pensionen und Gehälter zu verhandeln, erklärte Basescu, gerade von einem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs zurückgekehrt, dass es keine Möglichkeit für Lohnerhöhungen gebe.

Auf den ersten Blick hängen die Straßendemonstrationen und der Streik der Opposition daher zusammen. Doch dieser geht es in erster Linie um Politik, während die Proteste außerhalb des Parlaments eine soziale Dimension haben. Die im Vorjahr durchgeführte Volkszählung ergab, dass Rumäniens Bevölkerung im Vergleich zu 2002 um etwa zweieinhalb Millionen Menschen zurückgegangen ist. Derzeit leben etwas mehr als 19 Millionen Rumänen in ihrem Land - andere sind weggegangen, nicht zuletzt wegen geringer Löhne, fehlender Jobs und mangelnder Perspektiven.

Alles andere als Hoffnung auf Besserung ihrer sozialen Lage bekommen die Menschen durch die Sparpakete, die die Regierungen in ganz Europa beschließen. Nicht nur in Rumänien äußern sie ihren Unmut; die Proteste ziehen sich von Griechenland bis Belgien, das den ersten Generalstreik seit 20 Jahren erlebt hat. Es war derselbe Tag, an dem sich dort europäische Politiker auf neue Sparregeln einigten.