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Im Permafrost gefangen

Von Gerhard Lechner

Wirtschaft

Russlands Wirtschaft wächst maximal ein bis zwei Prozent pro Jahr - ein niedriger Wert für ein Schwellenland.


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Moskau/Wien. Nikita Chruschtschow und Boris Jelzin liegen mit ihren vergleichsweise bescheidenen neun Jahren an der Macht lange schon hinter ihm. Zu Josef Stalin, dem schrecklichen Umgestalter Russlands, fehlen ihm noch elf Jahre. Der rücksichtslose Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin kam ohnehin nur auf etwas mehr als sechs Jahre an der Macht. Und Leonid Breschnew, der Langzeitherrscher der Sowjetunion, das Symbol des Stillstands, des "Frosts" nach der Tauwetterperiode unter Nikita Chruschtschow? Ihn wird Wladimir Putin am Sonntag hinter sich lassen: Dann, wenn er zum vierten Mal zum russischen Präsidenten gewählt werden wird. Breschnew bestimmte über 18 Jahre das Schicksal der Sowjetunion - Putin wird diese Marke, rechnet man seine Zeit als einflussreicher Premierminister unter Präsident Dmitri Medwedew von 2008 bis 2012 dazu, mit seiner vierten Amtszeit überschreiten.

Seit dem Jahr 2000 lenkt der vorher relativ unbekannte Ex-Chef des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB mittlerweile die Geschicke in Russland - und das, obwohl noch 1999 geglaubt wurde, der anfangs still und schüchtern wirkende kleine Mann werde nur ein weiterer in der langen Kette von Boris Jelzins Kurzzeit-Premiers werden. In dem Riesenreich ist Putin im Gegensatz zu seinen Vorgängern Jelzin und dem letzten Sowjetführer Michail Gorbatschow jedenfalls populär: Ihm wird zugutegehalten, dass er das Chaos der räuberischen 1990er Jahre gebändigt hat, dass er wieder Ordnung, Sicherheit und Stabilität nach Russland gebracht hat. Geholfen haben ihm dabei aber auch die äußeren Umstände - mit hohen Öl- und Gaspreisen im Rücken hatte Putin im Gegensatz zu Jelzin deutlich mehr Handlungsspielraum für seine Politik der Wiedergewinnung russischer Stärke.

Laut westlichen Analytikern blieb dabei allerdings viel auf der Strecke: Die Struktur der russischen Wirtschaft erinnert immer noch an den Ausspruch des
deutschen Ex-Kanzlers Helmut Schmidt, der über das Sowjetreich als "Obervolta (heute: Burkina Faso) mit Raketen" sprach. Bis heute ist die russische Wirtschaft kaum diversifiziert und in starker Weise abhängig von Energieexporten. Ihre Aufs und Abs korrelieren mehr oder weniger mit den Preisen für Öl und Gas. Das Investitionsklima könnte besser sein, und dies nicht zuletzt deshalb, weil trotz der Rückkehr zu halbwegs normalen Lebensverhältnissen in der Amtszeit Putins die Korruption immer noch ein Riesenproblem darstellt.

Russland schottet sich ab

In dieser Lage sieht die Zukunft des Landes trotz aller Betonung nationaler Stärke nicht allzu rosig aus: "Die Analysten, auch die russischen, erwarten in den nächsten Jahren mittelfristig maximal ein Wachstum von bis zu zwei Prozent pro Jahr", sagt Peter Havlik, Russland-Experte des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche, der "Wiener Zeitung" - für eine Schwellenökonomie wie die russische ist das ein sehr geringer Wert.

Havlik hat gerade eine neue Analyse zu Russlands wirtschaftlicher Zukunft veröffentlicht - optimistisch fällt sie nicht aus: Wenn der Kreml seine Politik nicht radikal ändere, so die Experten des WIIW, könnte Russland wirtschaftlich weiter zurückfallen. "Was das Land vor allem dringend brauchen würde, ist eine Verbesserung der außenwirtschaftlichen Beziehungen zur EU, zu den Nachbarländern, vor allem auch zur Ukraine", analysiert Havlik. Das würde ermöglichen, dass die Sanktionen schrittweise gelockert werden, dass es mehr ausländische Investitionen gibt. "Eine Wirtschaftspolitik, die auf Protektionismus, Abschottung und wenig Integration mit der Weltwirtschaft setzt, kann nicht zu einer Modernisierung der russischen Wirtschaft führen", sagt Havlik.

Dass sich daran in den kommenden Jahren viel ändern wird, ist freilich nicht zu erwarten. Die Abschottung Russlands ist nämlich auch der politischen Entwicklung geschuldet. Anfang der 2000er Jahre setzte Putin noch forciert auf Kooperation mit dem Westen, vor allem mit Deutschland. Man erhoffte sich durch eine Partnerschaft mit der Industrienation wesentliche Modernisierungsimpulse für die eigene Wirtschaft. Noch unter Präsident Dmitri Medwedew wurde trotz starker politischer Konflikte mit dem Westen wie dem Georgienkrieg 2008 wenigstens verbal auf die Modernisierungskarte gesetzt.

Doch spätestens mit der westlichen Unterstützung der Revolte gegen den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi verfestigte sich im Kreml eine antiwestliche Stimmung, die in Putins dritter Amtszeit voll zum Tragen kam. Mit dem Ukraine-Konflikt war endgültig der Weg zu einer Neuauflage des Kalten Kriegs beschritten. Im Kreml vermochte man in dem Aufstand auf den Kiewer Maidan nur einen durch den Westen angeleiteten Putsch zu erkennen. Man ist nun entschlossen, den Konflikt mit dem Westen auszutragen.

Der Teflon-Präsident

Dass das Land große Probleme hat, wird dabei von den Russen durchaus bemerkt. Beispielsweise spielten im Wahlkampf die Themen Gesundheit und Bildung eine große Rolle. "Das russische Gesundheitssystem ist chronisch unterfinanziert. Nur 3,9 Prozent seiner Wirtschaftsleistung gibt Russland für Gesundheit aus. Der EU-Durchschnitt beträgt 7,2 Prozent", sagt der Russland-Experte Gerhard Mangott der "Wiener Zeitung". Ähnlich sei es im Bereich der Bildung.

Putin musste im Wahlkampf darauf eingehen - er versprach, die beiden Sektoren nach der Wahl stärker zu finanzieren. Und das wird ihm auch geglaubt: "Die Menschen machen für die Defizite im Land, etwa dass die Reallöhne drei Jahre lang gesunken sind, nicht den Präsidenten verantwortlich", sagt Mangott. "Der Zorn richtet sich gegen die Regierung und Premierminister Medwedew. An Putin prallt alles ab. Er ist eine Art Teflon-Präsident."