Zum Hauptinhalt springen

Im Rausch der Hormone

Von Alexandra Grass

Wissen

Die Frühlingsgefühle sind allerorts spürbar und sorgen für Hochstimmung in vielen Bereichen des Lebens.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Frühling zeigt sich dieser Tage von seiner wohl schönsten Seite. Die jungen, saftig grünen Triebspitzen der Bäume brechen immer weiter auf und so manch Gewächs präsentiert seine erste füllige, herrlich duftende Blütenpracht. Doch nicht nur Mutter Natur erfährt zu dieser für Erneuerung und Aufbruch stehenden Jahreszeit einen regelrechten Energieschub. Auch der Mensch blüht auf. Ein frühlingsfrischer Hauch liegt in der Luft und die Sonnenstrahlen erwärmen sowohl Körper als auch Seele - die ideale Kombination also, um den Hormonhaushalt des Menschen so richtig in Fahrt kommen zu lassen. Das hat massive Auswirkungen auf unseren Gefühlszustand. So sind es doch gerade die Sexualhormone, die jetzt Hochkonjunktur haben. Das bringt vermehrt Leben in zwischenmenschliche Beziehungen. Der Rausch der Hormone zeigt seine Wirkung.

Doch woher kommen sie, diese Frühlingsgefühle, und was machen sie mit uns Menschen? Als Auslöser haben die Wissenschafter das Schlafhormon Melatonin erkannt. Es steuert den Tag-Nacht-Rhythmus des menschlichen Körpers und wird, wenn die Tage länger werden, in seiner Produktion ausgebremst. Im Frühling muss es nämlich Gesetz der Natur den besonders triebigen Sexualhormonen Testosteron, beim Mann, und Östradiol, bei der Frau, weichen, erklärt der Endokrinologe Johannes Huber im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Testosteron ist das wichtigste männliche Sexualhormon und macht aus kleinen Buben echte Kerle. Sein weibliches Pendant Östradiol hebt Lust und Laune.

Bei den Frühlingsgefühlen dürfte es sich um ein Überbleibsel des geschlechtlichen Jahreszyklus handeln, wie er bei vielen Tierarten zu finden ist. Vögel scheinen dabei eine besonders hohe Sensibilität zu besitzen. Sie merken gar schon im Jänner, dass die Tage wieder länger werden, und bereiten sich auf die fruchtbarste Zeit des Jahres vor, schildert der Hormonexperte. Denn sobald der Frost vorbei ist und es länger hell ist, herrschen optimale Bedingungen für die Fortpflanzung sowie die darauffolgende Geburt und Aufzucht der Jungen. "Bei uns Menschen kommt jetzt auch noch der Wärmeeffekt hinzu", so Huber. Letzten Endes dienen Sexualität, Zuneigung und Blickkontakt der Erhaltung der Art - eigentlich ziemlich unromantisch.

Intensivere Wahrnehmung

Der Mensch weiß hingegen wesentlich mehr damit anzufangen. Dies zeigt sich nicht nur am lebhaften Treiben in den Straßen. "Man hat mehr Freude und Lust, fühlt sich lebendiger und ist unternehmungslustiger", schildert die Wiener Psychologin Caroline Erb vom Online-Partnerportal Parship.at. "Man hat das Gefühl, dass man in dieser Zeit Farben, Gerüche und vieles mehr wesentlich intensiver wahrnimmt und einen größeren Tatendrang verspürt." Das hat auch zwischenmenschlich Auswirkungen. Der Frühling scheint die optimale Zeit zu sein, auf Partnersuche zu gehen. Mitunter sogar innerhalb der eigenen Beziehung. Paare, denen mit den Jahren der Alltag über den Kopf gewachsen ist, könnten den Schritt hinaus wagen - "hinaus aus dem Grauen, Redundanten, sich Wiederholenden", bringt es Erb auf den Punkt.

Gerade in der Zeit, in der die Sexualhormone verrückt spielen, erscheint uns das Gegenüber auch attraktiver. Neue oder wieder erwachende Verliebtheit wird zudem besonders intensiv wahrgenommen. Für eine solche Gefühlshochschaubahn sind sogenannte Neurotransmitter verantwortlich - Botenstoffe, welche Reize von einer Nervenzelle zu einer anderen Zelle weitergeben, verstärken oder modulieren.

Dopamin lässt uns auf einer Welle von Lust und Leidenschaft surfen. Es macht die Liebe rauschhaft und aufregend. Auch Serotonin wirkt wie ein Rauschmittel. Es ist der Stimmungsaufheller unter den Botenstoffen. Man fühlt sich zufrieden, ist motiviert und will umarmen und festhalten. Endorphine wiederum machen high - euphorisch und glücklich. Bleibt zuletzt noch das Kuschelhormon Oxytocin zu erwähnen. Es wird verstärkt bei Zärtlichkeiten ausgeschüttet und sorgt für den Wunsch nach Geborgenheit sowie körperlicher und geistiger Nähe.

Einfluss der Sexuallockstoffe

Auch könnten chemische Sexuallockstoffe, sogenannte Pheromone, unterbewusst die Aufmerksamkeit des Gegenübers steigern. Im Tierreich sind solche Signalstoffe, die Informationen unter Artgenossen übermitteln, allgegenwärtig. Insekten finden ihre Sexualpartner tatsächlich auch über abgesonderte Botenstoffe. Beim Menschen sind zwei Substanzen im Blickfeld: Androstadienon findet sich in der Samenflüssigkeit und in den Achselhöhlen des Mannes, Estratetraenol wurde im Urin von Frauen nachgewiesen. Studien deuten darauf hin, dass die beiden geruchlosen Stoffe bei Vertretern des jeweils anderen Geschlechts zumindest die Laune heben. Ob sie auch die sexuelle Wahrnehmung beeinflussen, ist wissenschaftlich allerdings noch umstritten.

Die Suche nach dem Prinzen

Manche Forscher zweifeln grundsätzlich an der Existenz der Frühlingsgefühle. Es scheint auch so zu sein, dass sie nicht jedem Menschen gleich zuteil werden. Denn "dadurch, dass wir sehr artifiziell leben, wird dieser exogene Einfluss der Natur reduziert", betont Huber. Da könne es auch dazu kommen, dass diese saisonalen Jahreszyklen, in denen wir schon in der Steinzeit standen, immer weniger werden. Menschen unternehmen zum Beispiel im Winter Reisen in die Sonne, um der kalten Jahreszeit zu entfliehen und ihrem Hormonhaushalt "Gutes" zu tun. Dadurch könnten in Folge die natürlichen Reize im Frühjahr abgeschwächt werden. Auch die Antibabypille scheint ihr Übriges dazu beizutragen, dass hormonelle Vorgänge verändert werden, zudem auch die Pheromonaktivität gleichgeschaltet wird. Daher der Rat des Experten, um den Frühlingsgefühlen gerecht zu werden: "Wenn man den Prinzen sucht, soll man die Pille weglassen."

Für die Zeugung von Nachwuchs scheint der Frühling nur bei Tieren eine effektive Jahreszeit zu sein - weniger beim Menschen. "Der Ingenieur Mensch greift seit 50 Jahren in die Erhaltung der Art und Fortpflanzung massiv ein", so Huber. Dies hat zur Folge, dass die Planung häufig das Frühjahr als Geburtstermin vorsieht und nicht als Zeit der Zeugung.

Ob die Menschen also in diesen Wochen tatsächlich vermehrt zur Sache gehen, wie es uns Mutter Natur vorgibt, lässt sich mit der Geburtenstatistik nicht verifizieren. Auch bei den Partnerportalen lässt sich kein Hype an Registrierungen oder vermehrter Nutzung feststellen. Dennoch würden sich, wie Erb aus der Praxis berichtet, viele Alleinstehende im Frühjahr stärker mit dem Thema Partnersuche auseinandersetzen. Ob die Natur letzten Endes den erwünschten Trieb durchsetzt, könnte nur eine Statistik über die Kopulationsaktivität während des Frühjahres zeigen. Die Signifikanz einer solchen möglichen Studie lassen wir lieber dahingestellt.

Erneuerung und Aufbruch

Bleibt das Gefühl des Einzelnen und die Entscheidung, wie wir damit umgehen und was wir daraus machen. Dieser Tage "erwärmen wir uns im Kollektiv an der Sonne - auch emotional. Das steckt an", betont die Psychologin. Der Blick auf das Wesentliche fällt leichter, die Sinne, die wieder angeregt, geschärft und bedient werden, eröffnen neue Möglichkeiten. Die wärmere Jahreszeit steht für Erneuerung, Neubeginn, Aufbruch und neue Vorhaben. Das ganze ist gepaart mit besonderer Leichtigkeit und einer guten Ausgangsstimmung. Dem Genuss steht also kaum noch etwas im Wege.