Uruk im heutigen Südirak war die erste sumerische Megacity. Ihre 50.000 Einwohner wurden von einer Frau regiert.
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"Als sie Hauptgöttin der Stadt Uruk wurde, ist Inana umgezogen", sagt Chefarchäologin Margarete van Ess und deutet von dem Hügel rechts auf den Hügel links auf dem Plateau, wo sie und ihr Team seit vielen Jahren graben.
"Immer im Frühjahr und im Herbst sind wir hier", sagt die Direktorin der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, das eine Außenstelle in Bagdad hat. "Ansonsten ist es zu heiß". Das Gebiet ist zur Wüste geworden. Schatten gibt es hier nicht. Der Irak zählt zu den heißesten Ländern der Welt. Doch das war nicht immer so.
Inana war eine der großen sumerischen Göttinnen im antiken Mesopotamien. Manche sagen gar, sie war die größte schlechthin. Sie wurde als Morgen- und auch als Abendstern verehrt und hatte viele Erscheinungsformen und Gestalten: Göttin der Liebe und des Geschlechtslebens, eine kriegerische und eroberungssüchtige Gottheit. In Uruk, ihrer heiligen Stadt, soll sie sich einen bitteren Machtkampf mit ihrem Vater geliefert haben, hat van Ess philologischen Texten entnommen, die sich mit Inana beschäftigen: "Und sie hat diesen Kampf gewonnen." Vor mehr als 5.000 Jahren.
Morgen- und Abendstern
Die antike Stadt Uruk war über einen Zeitraum von der frühen Obed-Zeit im 5. Jahrtausend vor Christus bis ins 3. Jahrhundert nach Christi Geburt besiedelt. Inana wurde Herrscherin über diese erste Megacity der Welt mit damals sensationellen 50.000 Einwohnern. Heute wäre so manche Irakerin froh, wenn sie auch nur annähernd die Stellung von Inana hätte, ihr Selbstbewusstsein, ihre Stärke, der Respekt, der ihr entgegengebracht wurde. Eine Erzählung, die dies reflektiert, geht so: Nachdem im Tempel von Uruk die Krönung Inanas erfolgt war, begab sie sich in ihren heiligen Garten und lehnte sich an einen Apfelbaum. Zunächst betrachtete sie sich selbst kritisch und legte ihr Hauptaugenmerk auf ihren Schoß. Nach einer Weile bejubelte sie sich: "Ich bin die Königin aller Sterne. Die Weisheit des Lebens kommt aus meinem Schoß, der wunderbar ist." Für viele Irakerinnen ist Inana zum Idol geworden. Man merkt Margarete van Ess die Faszination an dieser außergewöhnlichen Frau der Antike an, wenn sie über sie spricht und über neueste Erkenntnisse zu ihr erzählt. Immer mehr über das Leben der Göttin erschließt sich. Zwar kümmert sich die Wissenschafterin auch um andere Ausgrabungen in der Region, wie etwa Baalbek im Libanon. Aber Uruk und Inana liegen der deutschen Archäologin besonders am Herzen.
Zunächst glaubte man, dass Inana, die als Inbegriff des Weiblichen für die Sumerer galt, eine schwer zu definierende Gestalt war. Bis Wissenschafter herausfanden, dass ganze Tempelanlagen für sie gebaut wurden, ihre Häuser bewohnt waren und sie, wie andere Menschen, sogar übersiedelte. Inana wurde immer konkreter. Das lag auch daran, dass lange Zeit unterschiedliche Namen für die Göttin benutzt wurden, je nachdem, um welchen Aspekt ihrer Erscheinung es ging: Ninanna, Niniana, Ninsianna, Innana, Innin, Ninegal, um nur einige zu nennen.
Wo Inana herrschte und wohnte, war damals keine Wüste. Dort könnte sogar einmal der biblische Garten Eden gewesen sein. Die Gegend war fruchtbar, der Euphrat brachte Wasser und Leben. Sumpflandschaften entstanden. Der Fluss schob Schlamm und Dreck vor sich her und schaffte Anhöhen in einem sonst sehr flachen Gebiet. Heute heißt Uruk Warka und ist staubig und trocken. Der Euphrat hat sich längst verabschiedet. Dass es ihn tatsächlich einmal dort gab, zeigt der neueste Fund vom Grabungsteam um Margarete van Ess. "Wir haben ein Boot gefunden", frohlockt die 62-Jährige. Ein weiterer Beweis für die Existenz von Wasser, vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass sich in der Region um Uruk tatsächlich das biblische Paradies befunden hat.
Vorsichtig haben die deutschen und irakischen Archäologen den Fund mit Lehm und Gips konserviert, haben das Boot mühsam gehoben und es ins Nationalmuseum nach Bagdad transportiert. Wann es dort zu sehen sein wird, ist noch unklar. Das entscheidet die irakische Antikenbehörde, die minutiös über die Kulturschätze des Landes wacht. Inzwischen ist Uruk zusammen mit Ur und Eridu zum Unesco-Weltkulturerbe erkoren worden.
Biblischer Garten Eden
Wie bedeutend Inana für Uruk, die Sumerer und Mesopotamien war, lässt sich auch daran erkennen, dass die Gottkönigin beim Aufstieg Babylons zur Weltmacht ebenfalls eine Rolle spielte. Inana wurde dort schlicht zur Göttin Ishtar ausgerufen, mit denselben Eigenschaften, derselben Darstellung, denselben Gesichtszügen. Allerdings blieb ihr in Babylon einzig eine spirituelle Bedeutung. Die Rivalität zwischen Uruk und Babylon entschieden schließlich Politik und Wirtschaft. Während sich in Uruk das religiöse Zentrum Mesopotamiens befand, versammelte sich in Babylon die politische und wirtschaftliche Elite.
Der Untergang Uruks wurde zur Blüte Babylons und die Spurensuche erlebt im Irak derzeit einen regelrechten Boom. Archäologen aus der ganzen Welt arbeiten hier: Britische Teams graben in Basra, die Amerikaner in Ur, Italiener in Babylon und Franzosen im Nordirak. Kürzlich haben deutsche Archäologen aus Freiburg im Staudamm von Mossul einen Tempel entdeckt, den das Niedrigwasser für wenige Wochen frei gab.
Während Inana in Mesopotamien eine Größe darstellte, hat sie es im heutigen Irak schwer. Nach dem Einmarsch der Amerikaner und Briten und dem Sturz Saddam Husseins 2003, bekamen die islamischen Kleriker das Sagen im Zweistromland. Für sie war Inana ein Dorn im Auge. Denn alle Darstellungen der sumerischen Göttin zeigen sie nackt.
Nacktheit und Sexualität sind ein Tabu im Islam. Inana wurde verbannt. Im ganzen Land war sie nicht mehr auffindbar. Es gab keine Bilder, keine Kopien der Reliefs, die die schöne Göttin zeigen, keine Skulpturen von ihr. Selbst in der Lobby des Kulturministeriums in Bagdad wurde ihre Statue in der Ahnengalerie entfernt, nachdem man sie über Monate schamhaft verhüllt hatte. Das Kulturerbe Iraks hatte keine Inana mehr.
Doch der Wind der Veränderungen weht auch durch den Irak - dieses Mal zugunsten von Inana. Als Reaktion auf die islamistischen Extremisten, wie Al Kaida und den IS, sind religiöse Hardliner derzeit verhasst wie selten zuvor zwischen Euphrat und Tigris. Vor allem Frauen wollen sich von ihnen nicht mehr vorschreiben lassen, wie sie leben und was sie anziehen sollen. Immer mehr Irakerinnen legen demonstrativ ihren Schleier ab und zeigen Haut.
30 Schriftstellerinnen haben sich nun bewusst entschieden, die nackte Inana auf das Cover ihrer Anthologie zu nehmen und ihre Texte "Mit den Augen von Inana" zu nennen. Das Buch ist inzwischen auch ins Deutsche übersetzt worden.