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Im Rollstuhl von Pontius zu Pilatus

Von Christoph Rella

Politik
Bei der Suche nach einem geeigneten Wohnplatz stoßen Behinderte in Wien noch immer auf Barrieren.
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Behindertengesetzgilt seit einem Jahr. | Werkstätten- und Wohnplätze fehlen. | Stadt kontert: "Leistungen erhöht."


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Wien. Selbstbestimmung statt Bevormundung. Unter diesem Motto hat die Stadt Wien vor einem guten Jahr das "Chancengleichheitsgesetz" für Wiener Behinderte beschlossen. Mit dieser Regelung sei ein Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik herbeigeführt worden, jubelte damals die zuständige Sozialstadträtin Sonja Wehsely. Als Meilenstein bezeichnete sie etwa den gesetzlichen Anspruch auf städtische Leistungen wie teilbetreutes Wohnen, Fachberatung oder Beschäftigungstherapie-Plätze.

Erneut Kritik an dem Gesetz übte am Dienstag die ÖVP-Behindertensprecherin Karin Praniess-Kastner. "Das Chancengleichheitsgesetz hat im Grunde keine Gleichstellung gebracht, es hat sich nur der Name geändert", erklärte sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Als Beispiel nannte sie die nach wie vor bestehenden Schwierigkeiten für behinderte Wiener, einen geeigneten Wohnplatz, der ihren Wünschen und Anforderungen entspricht, zu finden. Das größte Manko sei, dass sich die Betroffenen trotz Behinderung selbständig um ihren gewünschten Wohnplatz umsehen müssen. "Ich kenne viele Fälle, wo Menschen von Einrichtung zu Einrichtung pilgern müssen, um dann erst recht abgewiesen zu werden", erzählt Praniess-Kastner, die selbst eine 23-jährige Tochter mit Behinderung zu betreuen hat. Auch vom Fonds Soziales Wien sei keine Hilfe zu erwarten: Auch dort würden die Leute "nur im Kreis geschickt", sagte sie.

Nicht viel besser sei laut Praniess-Kastner auch das Angebot bei den Beschäftigungstherapieplätzen. Hinzu komme, dass die Stadt auch bei der Zahl der begünstigt Beschäftigten, also bei Mitarbeitern mit Behinderung, die gesetzlich vorgesehene Einstellungsquote nicht erfüllt habe. "Neben der öffentlichen Hand ist vor allem auch die Wirtschaft gefordert", meinte sie. Anstatt Unternehmen, die trotz Verpflichtung zu wenige Behinderte einstellen, nur zu bestrafen, sollten stattdessen über "Role Models" Anreize für Behindertenarbeitsplätze geschaffen werden. "Die Stadt soll mit gutem Beispiel vorangehen und ihre 700 Sondermitarbeiter fix anstellen, forderte Pranriess-Kastner.

Träger klagen über Wohnplatz-Kontingente

"Engpässe" bei der Vergabe von betreuten Wohnplätzen ortet auch der Trägerverein "Jugend am Werk". "Probleme gibt es vor allem bei Behinderten, die einen hohen Betreuungsbedarf haben", sagte Vereinssprecher Wolfgang Bamberg. Denn während Menschen mit einer geringen Behinderung binnen kurzer Zeit den gewünschten Platz erhalten, müssten Menschen mit Sinnes- oder Lernbehinderungen oft bis zu ein Jahr lang warten. "Alles in allem muss man sagen, dass die Situation in Wien - auch in den Werkstätten - knapp bemessen ist", so Bamberg.

In dieselbe Kerbe schlägt auch Robert Mittermair von der Wiener "Interessenvertretung sozialer Dienstleistungsunternehmen". Seine Kritik richtet sich vor allem gegen die von der Stadt vorgeschriebene Kontingentierung bei den Wohnplätzen. "Wir können nur Plätze anbieten, die wir vom Kontingent her auch anbieten dürfen", erklärte der Sprecher. Geht es nach ihm, sollte die Stadt Wien es den Trägern freistellen, wie viele Plätze sie anbieten dürfen. Um die Suche und Auswahl zu erleichtern, soll jeder Behinderte mit Betreuungsbedarf mit einem Gutschein ausgestattet werden, forderte Mittermair.

Im Büro von Sozialstadträtin Sonja Wehsely zeigte man sich am Dienstag über die Kritik verwundert. "Wir haben in den vergangenen Jahren mehrmals Leistungserweiterungen vorgenommen und sowohl die Wohn- als auch die Therapieplätze um bis zu 20 Prozent erhöht", betonte Bürosprecher Johann Baumgartner gegenüber der "Wiener Zeitung".

Betreuungsquote mit 123 Prozent übertroffen

Auch sei der Vorwurf nicht korrekt, wonach die Einstellungsquote nicht erfüllt werde. "Laut Statistik wurde sie sogar mit 123 Prozent über dem Maß erfüllt", sagte Baumgartner. Mit der aktuellen Umsetzung des Chancengleichheitsgesetzes sei man zufrieden.So investiere die Stadt jährlich 200 Millionen Euro in Unterstützungsmaßnahmen für behinderte Menschen.

Wissen

Wie darf man einen behinderten Menschen bezeichnen? Keinesfalls als jemanden "mit besonderen Bedürfnissen". Immerhin hat ja jeder Mensch besondere Bedürfnisse. Auch ist es nicht politisch korrekt, Gehörlose als "Taubstumme" zu bezeichnen. Denn nur, weil jemand taub ist, bedeutet das nicht, dass die betroffene Person auch stumm ist. Sie kommunizieren mithilfe der Gebärdensprache und sie sehen sich, wie auch die Blinden, daher als "Menschen mit Sinnesbehinderung".

Abgekommen ist man zuletzt auch davon, Rollstuhlfahrer als "körperlich beeinträchtigt" zu begreifen. Auch hier spricht man von "Menschen mit Körperbehinderung".