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Die Ukraine wählt am Sonntag ein neues Parlament - ein Vorbericht.
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Kiew. Juri Luzenko bringt es auf eine eigenartige Formel. "Wir sind eine große und starke Nation, wir sind eine große europäische Macht. Unsere Zukunft hängt allein von uns ab!", ruft der Ex-Innenminister in die klirrend kalten Abendhimmel über Kiew. "Die Ukraine braucht einen positiven Optimismus." Es sind dramatische Zeiten in der Ukraine. Trotz eines Waffenstillstands gibt es im Osten des Landes immer wieder Gefechte und Tote. Die Wirtschaft steht am Rande des Abgrunds. Und nebenbei wählt die Ukraine am Sonntag ein neues Parlament - die Wahl war eine der Hauptforderungen des Maidan. "Zeit, sich zu vereinigen" ist auf den Wahlplakaten des "Block Poroschenko", der Partei des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, quer über das Land plakatiert. "Solange wir vereint sind und an unsere europäische Zukunft glauben, sind wir unbesiegbar", sagt Luzenko, Parteichef des Blocks, an diesem kalten Oktoberabend. Umfragen sagen der Partei bei den Wahlen am Sonntag einen haushohen Sieg voraus.
Wo man sich auf den Straßen Kiews auch umhört - alle fordern ein Ende des Krieges. Der Block Poroschenko hat sich zuletzt als Partei des Friedens inszeniert und Zugeständnisse an die prorussischen Separatisten gemacht. Mit dieser Politik sind allerdings nicht alle zufrieden. "Unter Poroschenko und Klitschko ist ja alles noch schlimmer geworden", poltert Ljudmilla, eine zierliche Frau mit schwarzer Wollmütze. Sie sitzt in einem Zelt am Chreschtschatik, wenige Meter vom Maidan entfernt, und rührt für die "Radikale Partei" von Oleh Ljaschko als Wahlhelferin die Werbetrommel. Ljaschko hat sich als Kämpfer gegen die Separatisten, gegen die Oligarchen und gegen das System in Szene gesetzt. "Ljaschko ist der Mann, der mit dem System aufräumen wird", sagt die 60-Jährige und hebt dabei drohend den Zeigefinger. Wahlwerbungen zeigen Ljaschko, wie er mit einer Heugabel den ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojski aufsticht. Ljaschko könnte zu den großen Gewinnern der Wahl zählen: In Umfragen kommt er auf Platz zwei.
Kandidatin in Haft
"Ukraine - halte durch! Wir werden siegen", steht auf den Plakaten der Vaterlandspartei von Julia Timoschenko. Darauf prangt das Konterfei von Nadja Sawtschenko, eine Pilotin der ukrainischen Armee, die derzeit in Moskau in Haft ist. Sie ist die Nummer eins auf der Liste der Timoschenko-Partei - eine Analogie zu den Parlamentswahlen 2012, als die Spitzenkandidatin Timoschenko selbst in Haft war. Rechtzeitig zum Wahlkampf kam auch ein Film über die Pilotin in die ukrainischen Kinos: "Nadja Sawtschenko ist wirklich eine Frau, die eine Heldin ist", sagt die Produzentin bei der Premiere in Kiew. Der Film selbst beginnt als Dokumentation über die Ereignisse seit der Annexion der Krim - um nach und nach in einen Werbefilm über die Kandidaten der Vaterlandspartei überzugehen. "Nadja - du wirst frei sein!", schreibt Timoschenko am Ende des Films in einem Brief an die Heldin. "Die Ukraine braucht dich!"
Dieser Wahlkampf zeichne sich durch "besonders inhaltsleere Kampagnen" aus, sagt der ukrainische Politberater Witalij Bala: "Der Krieg im Donbass hat zu sehr großen Spannungen in der Gesellschaft geführt. Deswegen ist es viel leichter, einfach an diese Gefühle zu appellieren, als wirklich ein Programm zu präsentieren." Außerdem sei die Vorbereitungszeit diesmal extrem kurz: Erst Ende August hatte Petro Poroschenko das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada aufgelöst. "Programme spielen im Wahlkampf kaum eine Rolle. Die meisten Parteien erreichen ihre Wähler über den Bekanntheitsgrad derer, die sie als Aushängeschild nutzen", schreibt die den deutschen Liberalen (FDP) nahestehende Friedrich-Naumann-Stiftung in einem aktuellen Bericht. Das geht sogar so weit, dass mit dem "Block Poroschenko" eine Partei antritt, deren Namensgeber gar nicht zur Wahl steht - nämlich der ukrainische Präsident selbst.
Die Hälfte der 450 Sitze in der Werchowna Rada werden über Direktmandate aus den Wahlkreisen vergeben - allein aus Kiew werden somit 13 Direktkandidaten in die Rada einziehen. Nicht alle Kandidaten sind dabei ganz unumstritten: Im Kiewer Wohnbezirk Obolon tritt etwa Andrij Bilezki, der Kommandant des Freiwilligenbataillons "Asow", an und wird dabei sowohl vom Block Poroschenko als auch von der "Volksfront", der neu gegründeten Partei von Premier Arseni Jazenjuk unterstützt, um den Einzug anderer Kandidaten - ehemaliger Parteigänger der "Partei der Regionen" etwa - zu verhindern. Durch ein Megafon erzählt der Mann mit dem kantigen Gesicht, was sein Bataillon im Osten der Ukraine durchgemacht hat: Tote, Verletzte, Gefangene, schwere Kämpfe. Frauen und Männer wischen sich die Tränen aus dem Gesicht. "Die, die ihr Blut für die Ukraine vergießen, müssen auch eine Stimme im Parlament haben", sagt Bilezki am Ende seiner Rede. Bilezki ist Chef der neonazistischen Verbindung SNA.
Merkel will Hilfen für Kiew
Um für eine sichere Parlamentswahl in der krisengeschüttelten Ex-Sowjetrepublik zu sorgen, mobilisiert die Regierung in Kiew ein Großaufgebot an Sicherheitskräften. Innenminister Arsen Awakow kündigte an, mehr als 80.000 Mann seien am Sonntag im Einsatz. Aus Moskau kommen im Vorfeld der Wahl versöhnliche Zeichen. Kreml-Verwaltungschef Sergej Iwanow sagte in Sotschi, Russland will die Ergebnisse der Parlamentswahl anerkennen.
Positive Signale empfängt die Ukraine aus Brüssel: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel will, dass die EU Kiew bei der Bezahlung von Gasschulden bei Russland mit Überbrückungshilfen unterstützt. Bundeskanzler Werner Faymann kann sich solche Hilfen ebenfalls vorstellen.