Premier Abiy könnte sich bei seinem militärischen Feldzug gegen die Region Tigray verspekuliert haben.
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Addis Abeba. Er wolle Demokratie, hat Abiy Ahmed immer wieder verkündet, ja selbst von einer Politik der Liebe hat Äthiopiens Premier gesprochen. Unter dem Schlagwort "medemer" - was so viel heißt wie "zusammenkommen" - wollte der Friedensnobelpreisträger die rund 100 Ethnien des Landes vereinen. Doch nun ist das Gegenteil der Fall, es herrscht Krieg.
Ein Ende der Kämpfe in der nördlichen Region Tigray ist nicht absehbar. Die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) hat vielmehr ein Ultimatum der Regierung, sich zu ergeben, ignoriert. Diese hat daher nun die "finale Phase" der Offensive, die Anfang November begonnen hatte, verkündet. Was sich genau bei den Kämpfen abspielt, ist unklar, beide Seiten lassen keine unabhängigen Beobachter in die Region. Es sind aber bereits tausende Todesopfer zu befürchten.
Die TPLF als politischer Vertretung der Ethnie der Tigray war früher die einflussreichste Gruppe in der Regierungspartei, die aus vier ethnischen Fraktionen bestand. Abiy hat diese Partei aber aufgelöst und lenkt nun mit der "Wohlstandspartei" den Staat. In dieser soll die Ethnie nicht mehr so eine dominante Rolle spielen, vielmehr soll sie eine Bewegung für alle Äthiopier sein.
Doch die TPLF scherte aus und ging in Opposition. Der Konflikt, in dem sich Regierung und TPLF an aggressiver hasserfüllter Rhetorik nichts schenkten, schaukelte sich derart hoch, dass nun die Waffen sprechen.
Abiy rechnete offenbar damit, dass er eine große Mehrheit im Kampf gegen die TPLF hinter sich vereinen könnte - schließlich hatte diese als einst mächtigste Gruppe viel Unmut auf sich gezogen. Doch könnte er sich laut Beobachtern verspekuliert haben.
Denn Äthiopien ist in Föderationen unterteilt, die ebenfalls ethnisch bestimmt sind. Von dieser Politik haben die Anführer verschiedener Volksgruppen und Parteien jahrelang profitiert. Sie fürchten nun um ihren Einfluss. Deshalb könnten sie sich mit den Tigray solidarisieren, um Abiy zu stürzen. Damit könnte im schlimmsten Fall der Krieg das ganze Land überziehen - und der Vielvölkerstaat zerfallen.