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Im Schnellverfahren in die Nato

Von Alexander Dworzak

Politik

Nach dem Ja von Finnlands Staatsspitze zu einem Beitrittsantrag dreht sich alles um die Dauer des Verfahrens.


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Finnland hat keine Zeit auf dem Weg in die Nato zu verlieren. Ursprünglich wurde für Donnerstag nur ein Statement von Präsident Sauli Niinistö erwartet, Premierministerin Sanna Marin sollte am Wochenende ihre Haltung zu einem Beitritt verkünden. Der Bürgerliche Niinistö und die Sozialdemokratin Marin gaben dann am Donnerstag eine gemeinsame Erklärung ab und verkündeten, Finnland müsse "ohne Verzögerung" seinen Antrag auf Mitgliedschaft im westlichen Verteidigungsbündnis stellen. Dies solle "in den nächsten Tagen" geschehen. Kolportiert wird, dass bereits am Montag im Parlament in Helsinki über einen entsprechenden Regierungsbeschluss abgestimmt wird. Alles andere als die Zustimmung der Abgeordneten käme einer Sensation gleich.

Für Finnland bricht damit eine neue Epoche an - die das Land nicht forciert hat. Aber der Angriffskrieg von Nachbar Russland in der Ukraine hat jahrzehntelange sicherheitspolitische Gewissheiten obsolet gemacht, nachdem diese infolge der Krim-Annexion 2014 bereits infrage gestellt worden waren. Russlands Rückfall hinter die Prinzipien nach dem Zweiten Weltkrieg, dass Grenzen unverrückbar sind, hat bei jenem Staat, der mehr als 1.300 Kilometer mit Russland teilt, tiefe Spuren hinterlassen.

Das Prozedere im Überblick

So stark ist der Drang in die Nato, dass Finnland nicht einmal darauf wartet, bis der enge Verbündete Schweden seine Entscheidung über ein Beitrittsgesuch bekannt gibt. Geschwindigkeit ist auch das Schlagwort beim Aufnahmeprozess. Eine bestimmte Dauer ist nicht festgeschrieben, jedoch das Prozedere: Erstens, nach der Deklaration, dass ein Staat der Nato beitreten möchte, beginnen die offiziellen Gespräche. Dabei wird festgestellt, ob der Beitrittskandidat die politischen, rechtlichen und militärischen Verpflichtungen erfüllt. Zweitens, der Außenminister des Kandidatenlandes sendet die Verpflichtungserklärung an den Nato-Generalsekretär; falls notwendig mit einem Zeitplan für die Umsetzung aufgetragener Reformen. Drittens, nach Abschluss dieses Verfahrens passt die Nato ihren Nordatlantikvertrag von 1949 mittels Beitrittsprotokoll an. Dieses muss, viertens, von jedem Land ratifiziert werden. Die Hürden sind dabei völlig unterschiedlich: In den USA ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat notwendig, in Großbritannien bedarf es gar keines Parlamentsvotums. Fünftens, erst nach der Ratifizierung aller Länder kann der Nato-Generalsekretär den Staat als neues Mitglied einladen.

Kein Offizieller will sich festlegen, wie lange dieser Prozess dauert. "Wir werden nicht auf den Gipfel von Madrid Ende Juni warten, um Entscheidungen zu treffen", sagte ein anonym bleiben wollender Nato-Mitarbeiter. Für die Beitrittsverhandlungen selbst reiche bei Finnland ein Tag.

Er spitzt damit zu, was Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg seit Wochen pausenlos verkündet: Finnland würde "mit offenen Armen" empfangen. Es verfügt eindeutig über die politischen Voraussetzungen. Laut Artikel 10 des Nordatlantikvertrags können sich nur Staaten bewerben, die den "Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts" folgen. Das kann nicht von allen Nato-Mitgliedern uneingeschränkt behauptet werden.

Auch militärisch wäre Finnland ein Gewinn. Die Streitkräfte könnten schnell in den Verbund integriert werden. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert ist es Teil der "Partnerschaft für den Frieden", Finnland führte Auslandseinsätze und Übungen mit Nato-Truppen durch. Aufgrund des russischen Nachbarn hat Finnland die Wehrpflicht nie abgeschafft, verfügt über 300.000 gut ausgebildete Reservisten. Die Verteidigungsausgaben lagen in den 2010ern zwischen 1,3 und 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), damit über dem Wert der Nato-Größe Deutschland und näher am Bündnisziel von zwei Prozent des BIP pro Jahr. Angesichts des Krieges in der Ukraine steigerte die Regierung in Helsinki das Verteidigungsbudget für 2022 nochmals deutlich, von 2,8 auf 4,3 Milliarden Euro.

Störmanöver erwartet

Wiewohl Präsident Niinistö am Donnerstag betonte, diese Maßnahmen seien gegen niemanden gerichtet, lehnt Russland die Entwicklungen an seiner Nordwestgrenze wenig überraschend ab. Alles hänge davon ab, welche militärische Infrastruktur an die Grenzen Russlands verlegt werde, sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin. Bereits seit Monaten warnt der Kreml Finnland vor den Konsequenzen eines Nato-Beitritts. Niinistö geht von Störaktionen aus. Cyberattacken auf finnische Ministerien, Unternehmen und Infrastrukturbetriebe kommen dafür ebenso infrage wie die Verletzung des Luftraumes oder die Verlegung von Waffen in Grenznähe.

Noch steht Finnland nicht unter Schutz von Artikel 5 der Nato: Ein Angriff auf ein Mitgliedsland kommt einem Angriff auf die gesamte Allianz gleich. Der britische Premier Boris Johnson sagte aber bei seinem Besuch in Finnland am Mittwoch militärischen Beistand zu. Und auch Moskau weiß, Finnlands Weg in die Nato ist nicht mehr aufzuhalten.