Die fortschreitende Rationalisierung aller Lebensbereiche ist der Ariadnefaden, der durch das Labyrinth seines gesamten Werks führt: Am 21. April jährt sich der Geburtstag des Soziologen Max Weber zum 150. Mal.
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"Ein Berufsmenschohne Geist, Genussmensch ohne Herz, dieses Nichts bildet sich ein, die Krone der Schöpfung zu sein." So charakterisierte Max Weber den modernen Menschen im Zeitalter des entfesselten Kapitalismus. Der Mitbegründer der Soziologie, die er im Gegensatz zur abstrakten Philosophie als eine "Wirklichkeitswissenschaft" verstand, stimmte den Schwanengesang des deutschen Bildungs- und Besitzbürgertums an, das sich an der Schwelle des 20. Jahrhunderts durch den rasanten Aufschwung des Kapitalismus allmählich auflöste.
Verbunden war diese Form des Kapitalismus mit einer universalen Rationalisierung, die ein "stahlhartes Gehäuse der Hörigkeit" schuf, in dem der Einzelne in die Zwangsjacke der Zweckrationalität gesteckt wurde. Webers große Erzählung der fortschreitenden Rationalisierung ist der Ariadnefaden, der durch das Labyrinth seines gesamten Werks führt. Unter Rationalisierung verstand er den Modernisierungsprozess, der in den vielfältigen Gestalten von Bürokratisierung, Spezialisierung Säkularisierung, Entzauberung und kapitalistischer Produktionsweise alle gesellschaftlichen Bereiche durchdrang.
Frühreifes Genie
"Die kalten Skeletthände der rationalen Ordnung" transformierten die westlichen Gesellschaftsordnungen bis in ihre Fundamente. An die Stelle des "Kulturmenschen" trat der "Fachmensch", der Spezialist; damit ging für Weber "die faustische Allseitigkeit des Menschen" verloren. Das bedeutete, Abschied zu nehmen ,,von einer Zeit vollen und schönen Menschentums".
Verantwortlich für diesen welthistorischen Umbruch war neben der ungehemmten Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise der Siegeszug der Naturwissenschaften, die immer effizientere Methoden zur Naturbeherrschung entwickelten. Ihren Anspruch, ,,alle Dinge durch Berechnen beherrschen" zu können, bezeichnete Weber "als schicksalhafteste Kraft des modernen Lebens, welche die Autonomie des Menschen bedroht und schließlich vernichtet".
Geboren wurde Max Weber am 21. April 1864 als Sohn einer großbürgerlichen Familie in Erfurt. Schon das zwölfjährige Kind entpuppte sich als frühreifes Genie; in der Korrespondenz mit vertrauten Freunden kritisierte Weber den römischen Philosophen Cicero und war mit dem Stammbaum der Merowinger und Karolinger durchaus vertraut.
Nach dem Abitur studierte Weber in Heidelberg, Göttingen und Berlin Rechtswissenschaften, Nationalökonomie, Geschichte, Philosophie und Theologie. 1889 promovierte er mit einer Arbeit über Fragen des mittelalterlichen Handelsrechts und habilitierte sich 1891 über die rechtliche Bedeutung der Agrarverhältnisse im Römischen Reich. Zwei Jahre später erfolgte die Heirat mit seiner bedeutend jüngeren Cousine Marianne Schnitger, die später als Feministin und Soziologin tätig war.
Mit ihr führte Weber eine asexuelle "Gefährtenehe". Weber flüchtete bald in wissenschaftliche Arbeit, die er obsessiv betrieb; es war dies, wie er später bekannte, "ein krampfhaftes Anklammern wie an einen Talisman". Die akademische Anerkennung für die monomanische Tätigkeit ließ nicht lange auf sich warten: Nach kurzen Zwischenspielen in Berlin und Freiburg erhielt Weber ab 1896 eine Professur für Nationalökonomie an der Universität Heidelberg.
Die ungeheure intellektuelle Belastung, die ihn völlig überforderte, führte 1898 zu einem körperlichen und psychischen Zusammenbruch. Weber verharrte in einem anhaltenden psychischen Stillstand; er saß am Fenster und betrachtete die Bäume. Auf die Frage, was er denke, antwortete er: "An nichts, wenn es geht".
Auf dem Nullpunkt der geistigen Existenz verweigerte sich Weber radikal dem akademischen Betrieb und verspürte einen ungeheuren Ekel angesichts wissenschaftlicher Bücher. Diese Höllenfahrt dauerte mehrere Jahre und bedeutete einen tiefen Einschnitt; sie führte auch zum Abbruch seiner akademischen Laufbahn. Erst allmählich erlangte der Gelehrte wieder eine gewisse psychische Stabilität, die ihn zu eigenständiger wissenschaftlicher Arbeit außerhalb der Universität befähigte.
Kapitalismus-Studie
Sein neu erwachter Schaffenstrieb richtete sich verstärkt - unter dem Einfluss einer längeren Reise in die Vereinigten Staaten - auf die Entstehungsbedingungen des Kapitalismus. In den darauf folgenden Jahren veröffentlichte Weber mehrere Arbeiten über die Nationalökonomie, darunter auch die Studie "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus", der er seinen internationalen Ruhm verdankt. Dieses Werk, das in Form eines zweiteiligen Aufsatzes 1904 und 1905 publiziert wurde, ist das Kernstück seiner Studien über die Entstehungsbedingungen des Kapitalismus.
Den Ausgangspunkt bildet die Frage, wie es gelingen konnte, dass verschiedene traditionelle Gesellschaften ihre eigenen Wertmaßstäbe zugunsten eines universellen Strebens nach Profitmaximierung aufgaben. Unter Traditionalismus verstand Weber die Einstellung, "dass der Mensch von Natur aus nicht Geld und mehr Geld verdienen will, sondern einfach so leben mag, wie er es gewöhnt ist, und nur soviel erwerben muss, wie dazu erforderlich ist".
Die entscheidende Bruchstelle ortete Weber im Geist des Protestantismus - speziell in der Prädestinationslehre des Genfer Reformators Calvin. Diese Lehre ging davon aus, dass jeder Einzelne von Gott zur Seligkeit oder zur Verdammnis bestimmt ist, wobei sich die Auserwähltheit des zur Seligkeit bestimmten Individuums in einem erfolgreichen Berufsleben zeigt. Erfolgreich ist ein Berufsleben nur dann, wenn man auf den Konsum des erarbeiteten Reichtums verzichtet und immer weiter effizient und zielstrebig arbeitet. Die asketische Berufsarbeit und die fixe Idee, Gewinn als Kapital wieder zu investieren, sind laut Weber die beiden Grundvoraussetzungen des Kapitalismus.
Dazu kommt noch der Bürokratismus, der für den Soziologen zu jener ,,mechanisierten Versteinerung" führt, die zunehmend den Alltag beherrscht. Diese Faktoren sind für eine Entwicklung verantwortlich, die "ein Gehäuse der Hörigkeit der Zukunft herstelle, in welche dereinst die Menschen sich, wie die Fellachen im altägyptischen Staat, ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden".
Erotische Turbulenzen
Der Kapitalismus hat gesiegt - so lautet Webers Diagnose, die jedoch keineswegs in dem triumphalen Tonfall erfolgte, in dem etwa der amerikanische Politikwissenschafter Francis Fukuyama den Zusammenbruch des realen Sozialismus begrüßte; vielmehr beschäftigte Weber die Frage, "was wir dieser Maschinerie entgegenzusetzen haben, um einen Rest des Menschentums freizuhalten von dieser Alleinherrschaft bürokratischer Lebensideale".
Den Marxismus und die sozialdemokratische Bewegung lehnte er rigoros ab; beide politische Modelle betrachtete er als unterschiedliche Formationen eines "altägyptischen Verstaatlichungssozialismus"; was blieb, war die Qualität der intellektuellen Redlichkeit - eine Qualität, die besonders in der Gegenwart nicht hoch genug zu bewerten ist.
Nach der Publikation dieser Studie befasste sich Weber mit der Situation der deutschen Industriearbeiter und begründete mit dem Wiener Soziologen Rudolf Goldscheid und mit Georg Simmel die "Deutsche Gesellschaft für Soziologie".
In diesen Jahren geriet sein privates Leben in ein turbulentes Fahrwasser. Die sogenannte "erotische Bewegung", die für eine sexuelle Befreiung eintrat und von Münchens Schwabing ihren Ausgang nahm, erreichte Heidelberg in Gestalt von Else Jaffé. Sie wurde Weber zur "Verkörperung der Erdmutter", mit der er erotische Höhepunkte erlebte. Eine weitere leidenschaftliche Liebesbeziehung unterhielt Weber mit der Schweizer Pianistin Mina Tobler, mit der er "seine zweite Jugend" erlebte, wie er in einem Brief bekannte.
Trotz des turbulenten Lebenswandels blieb Weber genügend Zeit, um neben seinen Kapitalismusanalysen umfangreiche Werke zur Wirtschaftsethik und Abhandlungen über den Konfuzianismus, Taoismus, Hinduismus, Buddhismus und das antike Judentum zu veröffentlichen. 1918 kehrte er wieder in den Universitätsbetrieb zurück. Zunächst lehrte er in Wien, ab 1919 in München, wo er den Lehrstuhl für Nationalökonomie übernahm. Am 14. Juni verstarb Weber in München an einer Lungenentzündung.
Gespaltene Person
Das widersprüchliche Leben Webers ist Thema der kürzlich publizierten, über tausend Seiten umfassenden Biografie "Max Weber. Preuße, Denker, Muttersohn" des in Marburg emeritierten Soziologen Dirk Kaesler. Er gilt als einer der besten Kenner des Soziologen und hat in jahrzehntelangen Forschungsarbeiten das umfangreiche Material zusammengetragen, das er jetzt in seinem Buch präsentiert. In chronologischer Folge schildert Kassler die enge Verbindung von Webers Leben und theoretischem Werk, das seinen Ursprung im wilhelminischen Bildungsbürgertum hat.
Indem Kaesler alle erreichbaren Dokumente über Weber auswertet, gelingt ihm ein umfassendes Bild der gespaltenen Persönlichkeit des Gelehrten, dessen Tragik darin bestand, dass es ihm nicht gelang, die Einheit seiner Person herzustellen. Vor allem die Verstrickung in die Wertewelt seiner großbürgerlichen Familie, die Kaesler auf rund hundertsiebzig Seiten detailverliebt beschreibt, wirkte sich belastend auf Weber aus und veranlasste ihn, in immer neuen Ausbruchsversuchen dagegen zu revoltieren. Trotz der Materialfülle gibt sich Kassler nicht der Illusion hin, "ein wahrheitsgetreues Bild" von Weber gezeichnet zu haben. Sein Fazit lautet: "Wir verabschieden uns von der Vorstellung, es gebe eine sichere Wahrheit über ihn und sein Werk".
Nikolaus Halmer, geboren 1958, Studium der Philosophie, Romanistik, Theaterwissenschaft. Seit 1989 Mitarbeiter der Wissenschaftsredaktion des ORF; Schwerpunkte: Philosophie, Kulturwissenschaften.
Literatur über Max Weber
Dirk Kaesler: Max Weber. Preuße, Denker, Muttersohn. Eine Biografie, C.H. Beck, München 2014, 1008 Seiten, 39,10 Euro.
Jürgen Kaube: Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen. Rowohlt, Berlin 2014, 496 Seiten, 26,95 Euro.
Heuer als Taschenbuch erschienen:
Joachim Radkau: Max Weber: Die Leidenschaft des Denkens. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2014, 928 Seiten, 19,90 Euro.