Es ist kein Zufall, dass die neun verhafteten Dschihad-Touristen Tschetschenen sind. Der Dschihad spielte bereits im Tschetschenien-Krieg eine Rolle.
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Wien. Es war der bisher spektakulärste Einsatz der österreichischen Exekutive gegen Dschihad-Touristen: Am Mittwochabend nahm die Cobra an der burgenländischen und Kärntner Grenze neun Tschetschenen fest, die aus Österreich nach Syrien in den Heiligen Krieg ziehen wollten. Zuvor hatten Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft das Treiben der teils jungen Extremisten im Internet überwacht.
Am Donnerstag verhängte das Wiener Landesgericht für Strafsachen dann über vier der neun festgenommenen mutmaßlichen Dschihadisten die Untersuchungshaft - wegen Verdachts der "Teilnahme an einer terroristischen Vereinigung". Zudem wurde ein Asylaberkennungsverfahren eingeleitet Bis Freitagmittag entscheidet die zuständige Haftrichterin in Wien auch über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf U-Haft für die fünf weiteren Festgenommenen, die sich in der Justizanstalt Klagenfurt befinden.
Tschetschenen die Mehrheit unter Gotteskriegern
Laut Innenministerium zogen bisher rund 100 Personen aus Österreich in die Kriegsgebiete in Syrien und dem Nordirak, um sich islamistischen Gruppen wie dem Islamischen Staat (IS) anzuschließen. Schon bisher soll die Hälfte davon tschetschenischer Herkunft gewesen sein. Warum dominieren ausgerechnet Flüchtlinge aus einer russischen Teilrepublik mit 1,2 Millionen Einwohnern den Heiligen Krieg in Rot-Weiß-Rot?
Dazu muss man über zehn Jahre zurückblicken. Nach Ausbruch des zweiten Tschetschenien-Krieges Ende der 90er Jahre setzte eine Fluchtwelle nach Europa ein. Während im europäischen Durchschnitt rund 30 Prozent dieser Asylwerber anerkannt wurden, lag die Quote in Österreich bei 80 Prozent. So wurde Wien zu einem der wichtigsten Ort der tschetschenischen Diaspora. Seither ist die Anerkennungsquote auf 25 Prozent gesunken. Rund 30.000 Tschetschenen leben in Österreich, exakte Zahlen gibt es nicht.
In der tschetschenischen Hauptstadt Grosny haben zwar Wolkenkratzer die Schuttruinen abgelöst, die Stadt wächst mit russischem Geld zaghaft Richtung Normalität, doch in den Köpfen geht der Krieg weiter. "Entweder bist du für Kadyrow oder gegen ihn", erklärt ein österreichischer Tschetschene. Ramsan Kadyrow ist Wladimir Putins Statthalter in der russischen Teilrepublik. Was hat das nun mit Syrien zu tun? Der dortige Herrscher Bashar al-Assad wird von Putin gestützt, vom den Islamisten des IS aber bekämpft. So wird die Unterstützung von Assads Todfeinden für die Tschetschenen zum anti-russischen Stellvertreterkrieg.
Der Kontakt zu Dschihadisten ist nicht neu. "Ein großer Teil der jungen tschetschenischen Männer ist aufgrund ihres Kontaktes mit arabischen Mudschaheddin in ihrer Heimat salafistisch geprägt", so das Institut für Islamische Religionspädagogik in einer Kurzanalyse über die Tschetschenen in Österreich. Salafismus ist eine ultrakonservative Strömung des Islam. Ende Oktober wollten Salafisten in Wien bei einer Großveranstaltung Gelder für die Kämpfer in Syrien sammeln.
Die lange Reise der Mudschaheddin
Als Mudschaheddin bezeichneten sich bereits die islamistischen Kämpfer, die in den 80er Jahren in Afghanistan - hochgerüstet von den USA - gegen die Sowjets kämpften. Nach Ende des Kalten Krieges standen diese auf Seiten der Tschetschenen im Krieg gegen Moskau, aber auch im Bosnien-Krieg gegen die Serben.
Der Verfassungsschutz hat schon länger ein Auge auf tschetschenische Subgruppen. Das hatte aber ursprünglich nichts mit dem Dschihad zu tun, sondern mit dem Mord an dem früheren Leibwächter und späteren Gegner Kadyrows, Umar Israilov. Dieser wurde 2009 auf offener Straße erschossen. Das zeigte, wie sehr die Konflikte nach Österreich mit den Flüchtlingen mitwanderten. Gefolgsleute von Kadyrow, die sich als von ihm Verfolgte darstellen, aber in Wirklichkeit seine Feinde in Österreich ausspionieren wollen, stellen die Asylbehörden noch immer vor große Probleme.
Nun hat sich die Beobachtung auf Gruppen verlagert, die dem politischen Islamismus huldigen. In Wien ballen sich diese in Gebetszenten in Floridsdorf und Donaustadt sowie in diversen Kampfsportzentren. Es werden Handys, soziale Medien wie Facebook überwacht und Kontaktpersonen in die Communitys eingeschleust.
"Da wäre wesentlich mehr drin"
Für den Grünen Sicherheitssprecher Peter Pilz ist das aber nicht genug. "Da wäre wesentlich mehr drin", sagt er und fordert Verfassungsschutzbeamte, die mit den Sprachen und Kulturen vertraut sind und tschetschenischen oder arabischen Background hätten. "In der radikalislamistischen Szene fehlt uns vieles an Wissen." Sich nur auf Übersetzer zu verlassen, habe in der Vergangenheit "zu den absurdesten Ergebnissen" geführt - bis hin zu "völlig frei erfundenen Geschichten von unqualifizierten Übersetzern". Bei der uniformierten Sicherheitswache seien "native speaker" schon längst Realität.
Die Innenministerin demonstriert jedenfalls Entschlossenheit: "Foreign Fighters" sei der Asylstatus abzuerkennen. "Jene, die selbst die Toleranz mit Füßen treten, dürfen nicht damit rechnen, dass wir dies tolerieren."