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Im Todestanz sind alle gleich

Von Wolfgang Zaunbauer

Reflexionen

Ob Papst oder Bettler - in den spätmittelalterlichen Totentanzdarstellungen verschwimmen angesichts der latenten Pestgefahr die Grenzen zwischen | den Gesellschaftsschichten.


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In der Kärntner Gemeinde Metnitz ist die älteste Totentanzdarstellung Österreichs zu bestaunen. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert.
© Zaunbauer

"Herr Kaiser, euch hilft nicht das Schwert, Zepter und Krone sind hier nichts wert.

Ich habe euch bei der Hand genommen, Ihr müsst zu meinem Reigen kommen."

Fährt man über die Semmeringstrecke nach Kärnten, so verweist kurz vor Friesach ein Wegweiser auf das "Metnitzter Totentanzmuseum" - und man tut gut daran, den Abstecher zu wagen, denn die 2000-Seelen-Gemeinde Metnitz wartet mit einer kunsthistorischen Sensation auf. Den 600 Jahre alten Karner, also das achteckige Beinhaus auf der Südseite der Kirche, ziert nämlich eine mittelalterliche Totentanzdarstellung aus dem 15. Jahrhundert - die älteste in Österreich. Zugegeben, die Originale befinden sich im Museum auf der Nordseite der Kirche, doch die Kopien am Karner sind nicht minder beeindruckend.

Bilder und Verse

25 Tanzpaare zeigt das Fresko, jeweils eine Person mit Tod - in Form eines Skeletts oder verwesenden Leichnams mit aufgebrochener Bauchhöhle -, die auf einen weit aufgerissenen Höllenrachen zuschreiten. Zu den einzelnen Darstellungen gehören jeweils Texte in Reimform, wobei jeweils die dargestellte Person auf die Tanzeinladung durch den Tod repliziert. Den Anfang macht der Papst - in der mittelalterlichen Hierarchie der ranghöchste Mensch auf Erden -, und das keineswegs freiwillig. "Ich war eyn heiliger bobist genant/die wyle ich lebete ane forchte bekannt/Nw werde ich gefurt frefillich/Czum tode ich were mich oppiglich", heißt es in noch vom Mittelhochdeutsch stark geprägtem frühem Neuhochdeutsch. Übersetzen lässt sich das in etwa folgendermaßen: "Ich wurd‘ ein heiliger Papst genannt, mein Lebtag als furchtlos bekannt. Nun werd‘ ich frech geführt zum Tode. Ich wehre mich mit aller Heftigkeit" - wobei jede Wehr zwecklos ist.

Dem Papst folgen der Kaiser - dem (wie oben angeführt) weder Schwert, Zepter noch Krone helfen, wenn es ans Sterben geht -, Kaiserin, König, Kardinal, Patriarch, Erzbischof, Herzog, Bischof, Graf, Abt, Ritter, Akademiker, Arzt, Edelmann und Edelfrau, Kaufmann und Nonne - also die gehobenen Stände der mittelalterlichen Gesellschaft.

Dazu kommen aber auch Krüppel, Koch, Bauer, Kind und Mutter. "Es ist der Versuch, ein Gesamtbild der ständischen Gesellschaft abzubilden", sagt Gert Kaiser, emeritierter Professor für Germanistik und früherer Rektor der Universität Düsseldorf, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Mitunter kam es zu Abweichungen und Ergänzungen, etwa durch Heiden oder Juden, Handwerker, Studenten oder Huren, aber in Summe waren alle Totentanzdarstellungen der damaligen Zeit nach dem selben Schema aufgebaut - und das waren einige. Laut Uli Wunderlich, Präsidentin der Europäischen Totentanz-Vereinigung, gab es Ende des 15. Jahrhunderts in Europa mindestens hundert derartige Darstellungen.

Der tanzende Tod provoziert dabei doppelt: Nicht der zu jener Zeit allgegenwärtige Tod irritiert die Betrachter, sondern die Tatsache, dass er tanzt, "dass er den Inbegriff des Lebendigen, den Tanz für sich usurpiert" (Kaiser). Gleichzeitig war der Tanz als Ausdruck von Zügellosigkeit und Sittenverfall der Amtskirche ein Dorn im Auge, weshalb sie ihn aus dem kirchlichen Raum verbannt hat. Noch im frühen Mittelalter waren Tänze mitunter Teil der kirchlichen Liturgie und auch auf Friedhöfen durchaus üblich.

Pest und Todesangst

Die älteste Totentanzdarstellung entstand wohl 1424/25 an der Mauer des Pariser Friedhofs Saints-Innocents. Wie sie aussah, ist heute allerdings unbekannt, nur ihr Text ist überliefert. In Basel entstand 1439 ein Totentanz an der Mauer des Friedhofs des damaligen Dominikanerordens. Es ist nur noch in Bruchstücken vorhanden, seit die Mauer 1805 dem Erdboden gleichgemacht wurde. Das Basler Fresko dürfte jedoch für Metnitz als Vorlage gedient haben, wobei der Text jenem des sogenannten "Heidelberger Blockbuchs" entspricht, der wiederum in einem für Thüringen und Sachsen typischen Ost-Mittelhochdeutsch verfasst ist, wie Uli Wunderlich erzählt. Im 15. Jahrhundert fanden Totentänze in ganz Europa Verbreitung - es war allerdings mehr als eine Modeerscheinung.

"Der größere Rahmen, in den die Totentänze hineingehören", war der Ausbruch der Pest, schreibt Gert Kaiser in seinem Buch "Der tanzende Tod", das seit seinem Erscheinen 1983 das wohl wichtigste Werk zu dem Thema ist. Kaiser spricht von einer "Epoche des Massensterbens". Tatsächlich hat der Schwarze Tod alleine von 1347 bis 1353 rund ein Drittel der Bevölkerung Europas dahingerafft. Bis ins 18. Jahrhundert blieb die Pest eine ständige Bedrohung.

Memento Mori

Der Tod war allgegenwärtig. Und er kam schnell. Bei der Lungenpest sterben die Betroffenen innerhalb von zwei bis drei Tagen - da bleibt keine Zeit zur kurzfristigen Buße. Gleichzeitig konnte er auch quälend langsam eintreffen, denn die Pestwellen, die über das Land zogen, konnten "von den Menschen recht genau verfolgt werden", schreibt Kaiser. "Es gehört zu den Schrecken der Pest auch das hilflose Warten auf ihr Eintreffen. Und das ist die Zeit der Bußpredigt, die große Stunde des Memento mori." Auch wenn vereinzelt die Parole "carpe diem" galt und es in Anbetracht des nahenden Todes zu exzessiven Ausschweifungen kam, so dominierte im späten Mittelalter doch die Furcht vor dem Zorn Gottes über einen sündhaften Lebenswandel. Die Totentänze sind daher klar als Predigt zu verstehen, als Mahnung zur ständigen Buße, um für den Fall der Fälle seelisch gewappnet zu sein.

Karner in Metnitz.
© Zaunbauer

Dem liegt ein theologischer Wandel im Spätmittelalter zugrunde. Neben die Idee des Endgerichts am Jüngsten Tage, wo über die Menschheit geurteilt wird, tritt die zunehmend dominante "Vorstellung des Individualgerichts unmittelbar nach dem Tode". Jeder Mensch muss sich demnach nach seinem Ableben vor seinem Schöpfer rechtfertigen - und kommt dann ins Paradies oder ins Fegefeuer. Dadurch obliegt es fortan jedem Gläubigen, selbst durch ein gottgefälliges Leben, durch Beichte und Buße für sein Seelenheil zu sorgen. Und daran erinnern die Totentänze die Menschen.

Doch der tanzende Tod birgt noch eine andere Botschaft, ein anderes Grundmotiv: Im Todestanz sind alle gleich, der Papst wie der Bettler, der König wie das Kleinkind. Dem Kaiser nützt seine ganze Macht nichts, denn der Tod holt ihn sich genauso wie den Bauern. Angesichts der Bedrohung durch den Pesttod verschwimmen die irdischen Unterschiede. Die Gleichheitsidee kommt schon im Pariser Totentanz von Saints-Innocents voll zum Tragen wo es heißt:

"La danse macabre heißt sie,

die jeder zu tanzen lernt,

Mann und Frau ist sie natürliche Bestimmung.

Der Tod verschont nicht Klein noch Groß."

Träger dieser Gleichheitsidee waren die im Mittelalter groß gewordenen Bettelorden, sagt Gert Kaiser, weshalb sich die Totentänze oft an Kloster- und Friedhofsmauern der Franziskaner und Dominikaner finden. Diese sind quasi eine Reaktion auf die zunehmende Prunkentfaltung der Kirche. "Anfang der Pestzeit wurde mit der Totentanzdarstellung ein Bildmotiv gefunden, mit dem erstmals der breiten Bevölkerung die Idee der Gleichheit nähergebracht werden konnte", sagt Gert Kaiser.

Es ist allerdings keine revolutionäre Gleichheitsidee, die dahinter steckt. Weshalb sie auch nicht in eine Reihe mit jenen Gleichheitspostulaten zu stellen ist, die etwa in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bauernaufständen mündeten. Weil der Totentanz seinem Wesen nach eine Bußpredigt, ein Aufruf zur Umkehr ist, geht es nicht um "Verheißung für die Armen, sondern Drohung für die Mächtigen" (Kaiser).

Trotzdem mag gerade die Vorstellung, dass der Tod auch die hohen Herrschaften hart angreift, für die Bauern und arme Stadtbevölkerung, die besonders empfänglich für die Botschaft der Bettelorden waren, tröstlich gewesen sein. Es war allerdings ein trügerischer Trost, denn gerade die Eliten besaßen die Möglichkeit, vor der herannahenden Pest zu fliehen - was die Gleichheit wiederum relativiert.

In Österreich fiel die Idee des Totentanzes auf fruchtbaren Boden - und hielt sich bis heute. Die Homepage der "Europäischen Totentanz-Vereinigung" zählt hierzulande nicht weniger als 30 erhaltene und öffentlich zugängliche Totentanzdarstellungen aus den letzten 500 Jahren.

Wernfried Hofmeister, Germanistikprofessor an der Uni Graz, erklärt das mit der für Österreich typischen Morbidität: "Die Bereitschaft, sich auf das Thema mit einer gewissen Lust einzulassen, zeigte sich hierzulande schon im Mittelalter." Also etwa in der Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, bei Ulrich von Liechtenstein oder Neidhart. "Neidhart inszenierte den Tod geradezu slapstickartig", sagt Hofmeister, "was vor allem in Österreich Nachahmer fand". Im Barock, als die zweite große Pestwelle über Europa kam, griff der katholische Prediger Abraham a Sancta Clara das Thema wieder auf. Das funktionierte, weil "die Menschen in ihren Bildern und ihrer Religiosität noch lange im Mittelalter lebten", sagt Gert Kaiser. Die Trennung von Mittelalter und Neuzeit ist aus seiner Sicht "eine künstliche Trennung und betrifft nur die Eliten-Kunststile". Die Bauern und städtischen Armen haben davor wie danach "immer nur gelitten und derb gefeiert".

Moderne Tänze

An Aussagekraft verliert der Totentanz laut Kaiser erst im 18. und 19. Jahrhundert, die eine "erweiterte Volksbildung und Profanisierung der Menschen" bringen - und das Ende der großen Pestgefahr in Europa. Allerdings gibt es auch in dieser Zeit klassische Totentanzdarstellungen im Sinne eines Memento mori, vor allem in Tirol, wobei die personelle Zusammensetzung eine deutliche Anpassung erfuhr. So wird in Elbigenalp etwa ein Mörder ("Das Morden war dir nicht erlaubt, jetzt schlag ich dir auch ab dein Haupt") ebenso vom Tode dahingeführt, wie der Totengräber, der sein Schicksal kaum fassen kann: "Wer hätte das einst je gedacht, dass ich das Grab für mich gemacht?" Im Gegensatz zu den mittelalterlichen Darstellungen ist hier der Künstler (Anton Falger, 1791-1876) bekannt.

Falgers Bilder sind ob ihrer religiösen Botschaft eher die Ausnahme im 19. Jahrhundert, denn nun entdeckt die Kunst den Totentanz und er wird vom erzieherischen zum künstlerischen Motiv. Als solches hält sich der Totentanz in der darstellenden Kunst bis heute - wobei er ohne ergänzende Texte auskommt. Wernfried Hofmeister sieht auch große Nachwirkungen in der Literatur: "Der Totentanz als Form der Vorgeführtheit, das Gehen am Gängelband des Todes - das ist ein sehr sublimes Thema, das die Literatur dominiert, speziell die österreichische."

Gerade in Literatur und Musik hat sich allerdings im Laufe der Zeit eine Form des Totentanzes entwickelt, die mit dem mittelalterlichen Tanz der Lebenden mit dem Tod nichts mehr zu tun hat. Vielmehr geht es hier um die schaurige Idee der Toten - oder eher Untoten -, die aus ihren Gräbern steigen, um selbst zu tanzen. So schrieb Johann Wolfgang von Goethe 1813 folgende siebenzeilige Ballade:

Der Türmer, der schaut zu mitten der Nacht

Hinab auf die Gräber in Lage;

Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht:

Der Kirchhof, er liegt wie am Tage.

Da regt sich ein Grab und ein anderes dann:

Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann,

in weißen und schleppenden Hemden.

Mit Bußpredigt, Memento mori und Vorstellungen der Gleichheit im Tode hat das nichts zu tun. Vielmehr versucht sich Goethe hier in Schwarzer Romantik.

In der darstellenden Kunst hat sich das Motiv des Skeletts, das die Lebenden in den Tod führt, hingegen weitgehend gehalten. Das berühmteste Werk der Moderne ist wohl die Bilderreihe "Totentanz" von Albin Egger-Lienz, die zwischen 1906 und 1921 entstand - wobei der Begriff Tanz auch hier sehr weit gefasst ist und sich im schweren Schreiten der klobigen bäuerlichen Gestalten nur schwer erahnen lässt.

Gerade die Weltkriege verhalfen dem Totentanz zu einer Art Revival. So schreibt Franziska Ehrl von der Universität Bamberg in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Das Münster", die modernen Totentanzdarstellungen gewidmet ist, dass "auch in der klassischen Moderne dann auf das althergebrachte Totentanzmotiv zurückgegriffen wurde, wenn Sterben und Tod im privaten oder öffentlichen Leben unverhältnismäßig viel Platz beanspruchten".

Die meisten modernen Totentänze gibt es in Österreich. Uli Wunderlich spricht von einem regelrechten Boom in der Alpenrepublik. Metnitz hat zwei moderne Darstellungen, eine in der Pfarrkirche und in Form einer großen Stahlskulptur davor. Darüber hinaus wird alle vier Jahre (auch im Juli und August 2014) ein auf ein volkstümlich-bäuerliches Schauspiel zurückgehendes Totentanzspiel aufgeführt. All das zielt in erster Linie auf Touristen ab, oder wie Wunderlich sagt: "Metnitz zelebriert den Totentanz, als wären es die Salzburger Festspiele."

Warn- und Mahnbilder

Eine der beeindruckendsten wie beklemmendsten modernen Bearbeitungen des Themas ist wohl der Plötzenseer Totentanz von Alfred Hrdlicka. In der evangelischen Kirche in Berlin-Plötzensee, die auch als NS-Mahnmal dient, verwebt der Wiener Künstler biblische, Totentanz- und zeitgeschichtliche Motive auf 16 großflächigen Tafeln zu einer monumentalen Warnung des Menschen vor sich selbst. Durch das Aufgreifen des Brudermords von Kain an Abel in Verbindung mit Holocaust und Nazi-Terror schafft Hrdlicka den Brückenschlag ins 20. Jahrhundert. Die Pest ist lange überwunden. Die größte Gefahr für den Menschen geht nun vom Menschen selbst aus. "Der Mensch ist des Menschen Tod", erklärte Hrdlicka selbst das Leitmotiv seines Werks. Als warnende Botschaft bleibt es damit der mittelalterlichen Totentanztradition treu.

Wolfgang Zaunbauer ist Redakteur der "Wiener Zeitung" und schreibt normalerweise auf den "Österreich"-Seiten.