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Im ungarischen Parlament besteht künftig mehr als nur Ungleichgewicht

Von Karin Bachmann

Analysen

Der künftige ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sprach von einem "Weltrekord". Der Rest Europas wiederum verfolgte mehr oder weniger fassungslos, was sich am Wahlsonntag abspielte. Orbans Fidesz sicherte sich mit 263 Parlamentssitzen sogar mehr Mandate, als für eine Zweidrittelmehrheit nötig waren. Der rechtsradikale Jobbik kommt auf 47 Sitze, ein Jobbik-naher Kandidat holte ein weiteres Direktmandat. Die konservativ-liberale LMP hat künftig 16 Sitze. Damit sind nicht weniger als 85 Prozent der neuen Abgeordneten dem rechten Lager zuzuordnen.


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Ungarn ist damit aus dem politischen Gleichgewicht geraten. Dem Land scheint ein Abdriften in undemokratische Zustände zu drohen - so sind jedenfalls die Befürchtungen zahlreicher europäischer Politiker und Beobachter. Sie rühren weniger daher, dass die Sozialisten als einzige Repräsentanten der Linken zwar noch zweitstärkste Kraft im neuen Parlament sind, mit einem Stimmanteil von 15 Prozent jedoch zur politischen Bedeutungslosigkeit verdammt scheinen. Vielmehr führte der nunmehr übermächtige Fidesz einen ganz auf die Person Orbans zugeschnittenen Wahlkampf und gab nur wenig von seinen konkreten Vorstellungen preis. Dadurch wurden Spekulationen genährt, die Partei werde das Land willkürlich umgestalten, falls sie eine Zweidrittelmehrheit erreiche.

Doch schon beschwichtigte Orban vor Journalisten. Er werde zunächst die politische und wirtschaftliche Ordnung wiederherstellen. Erst dann sei mit Verfassungsänderungen zu rechnen. Orbans vordringliches Ziel ist die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft für Angehörige der ungarisch-sprachigen Minderheiten außerhalb Ungarns. Darüber werde bald entschieden. Doch bleibt offen, ob Minderheitenangehörige, welche zusätzlich die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten, in Ungarn auch wahlberechtigt sein sollen.

Damit dürften Spannungen mit den Nachbarländern vorprogrammiert sein - auch wenn der designierte Außenminister Janos Martonyi betont, mit der Einführung der doppelten Staatsangehörigkeit werde Ungarn nur nachholen, was etwa die Slowakei für im Ausland lebende Slowaken längst getan habe. Allerdings geben sich die Nachbarn in ihrem Dauerkonflikt derzeit betont friedlich. Der slowakische Premier Robert Fico spricht davon, dass er einen "aufrichtigen Dialog" mit Budapest anstrebe. Martonyi wiederum sagt, dass das Verhältnis zur Slowakei gar nicht so schlecht sei, wie gemeinhin angenommen werde.

Konfliktstoff zwischen Budapest und Bratislava dürfte es jedoch schon bald wieder geben. Der slowakische Nationalrat berät erneut über ein Gesetz, wonach ab 1. September unter anderem in allen Klassen slowakische Fahnen angebracht sein müssen und regelmäßig die Nationalhymne erklingen soll. Budapest wertet das als Diskriminierung der ungarisch-sprachigen Minderheit.

Siehe auch:Ungarische Sozialisten vor der Zerreißprobe