Mit innenpolitischen Zwistigkeiten versperrt sich der Kosovo den Weg zur Abschaffung der Visumspflicht für seine Bürger.
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Priština. 00383. Für den Kosovo ist das mehr als eine beliebige Ziffernkombination. Es ist die künftige Telefonvorwahl. Vor fast neun Jahren hat das kleine Balkan-Land seine Eigenstaatlichkeit erklärt, nun soll es seine eigene Vorwahl erhalten. Denn bisher hat sich Serbien dagegen gesträubt; es wollte seinen Anspruch auf die ehemalige Provinz auch in der Telekommunikation geltend machen. Doch Belgrad führt nun mit Brüssel Verhandlungen über einen EU-Beitritt, und der Dialog mit dem Kosovo, eine Normalisierung der Beziehungen zum Nachbarn ist eine der Anforderungen der Union.
Die Gespräche zwischen Belgrad und Priština gestalten sich freilich mühsam. Seit Jahren wird über Telefonvorwahlen, Energieversorgung und ein Statut für die von Serben dominierten Gemeinden im Nordkosovo gerungen. Diese sollen nun weiterhin einen eigenen Telefonanbieter haben. Belgrad hat das Nachbarland nicht nur nicht anerkannt, sondern auch die Parallelstrukturen im Norden gefördert - mit politischen und finanziellen Mitteln.
Umstrittener Grenzvertrag
Das abzuschaffen, brauche Zeit, sagt Edita Tahiri. Die kosovarische Vize-Ministerpräsidentin ist für den Dialog mit Serbien zuständig. Sie braucht dafür viel Zähigkeit. "Die Kapitel Energie und Telekom liegen seit sechs Jahren auf dem Tisch", erzählt die Politikerin. Deswegen verweist sie gern auch auf kleinere aber symbolträchtige Erfolge: So ist mittlerweile die Brücke über den Ibar geöffnet, die lange Zeit blockiert war und die Stadt Mitrovica an der Grenze zu Serbien in einen albanischen und einen serbischen Teil zerriss.
Die Einreise aus dem Kosovo nach Serbien sehen die dortigen Behörden allerdings bei Ausländern weiterhin als eine illegale an. Die Kosovaren selbst sind in ihrer Reisefreiheit noch stärker eingeschränkt. Anders als die Bürger aller anderen Westbalkan-Staaten brauchen sie ein Visum für Fahrten in die EU und etliche weitere Regionen der Welt. Ohne den Sichtvermerk im Pass können sie gerade einmal nach Mazedonien, Albanien, Montenegro oder in die Türkei fahren. Es liegt allerdings nicht allein an den EU-Staaten, dass es noch immer keinen Beschluss zur Visaliberalisierung gibt. Vielmehr lähmt innenpolitischer Zank den Prozess.
Vordergründig geht es einmal mehr um Zwistigkeiten unter Nachbarn, diesmal mit Montenegro. Ein Grenzabkommen soll ratifiziert werden, wobei ein paar Weideflächen in den Bergen umstritten scheinen. Doch die nationalistische Opposition nutzt das Thema für einen innenpolitischen Machtkampf und blockierte sogar manches Mal mit Tränengas-Angriffen die Arbeit des Parlaments. Der Regierungskoalition, gebildet von der Demokratischen Partei des ehemaligen UCK-Rebellenführers Hashim Thaci und der Demokratischen Liga von Isa Mustafa, fehlen die nötigen Stimmen für eine Ratifizierung des Grenzvertrags - sogar in den eigenen Reihen. Die Opposition gibt an, von der Regierung belogen worden zu sein, und die Regierung macht die Opposition für das Patt verantwortlich.
Die EU kann lediglich Druck ausüben und die kosovarischen Politiker zur Lösung des Streits drängen. "Von außen betrachtet ist es schwer verständlich, dass eine Regierung, die eine Mehrheit im Parlament hat, das Abkommen nicht umsetzen kann", befand der für Erweiterungsverhandlungen zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn vor kurzem bei einer Pressekonferenz in Pristina. Premier Mustafa stand daneben und hatte dem nichts hinzuzufügen.
Die Abschaffung der Visumspflicht ist damit gefährdet. Dabei haben die Kosovaren von 95 Voraussetzungen dafür 93 bereits erfüllt. Übrig bleiben noch die Grenzvereinbarung und Maßnahmen bei der Korruptionsbekämpfung. "Der Schlüssel zur Reisefreiheit liegt nun in den Händen der kosovarischen Politiker", betont die Grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek. Die Berichterstatterin für den Kosovo im EU-Parlament engagiert sich seit Jahren für die europäische Perspektive des Balkan-Landes. In Brüssel wirbt sie um Unterstützung für die EU-Annäherung des Kosovo; und in Pristina versucht sie, die EU-Mechanismen zu erklären. Ihre Pressekonferenzen dort sind gut besucht, die Medienberichte sind dann prominent platziert. Doch die immer wieder gestellten Journalistenfragen nach der Befreiung von der Visumspflicht kann auch Lunacek nur mit einem Verweis auf die Kriterien dafür beantworten. Bei ihrem letzten Besuch in der kosovarischen Hauptstadt fügte sie noch eine Mahnung hinzu: Die Zeit läuft dem Land davon. Und das Interesse der EU an der Reisefreiheit für Kosovaren könnte schwinden. Die Europäer stehen nämlich vor weiteren Herausforderungen: von der Flüchtlingskrise bis hin zu Konflikten mit Russland.
Lautstark gegen Korruption
Noch aber sind die dafür zuständigen Innenminister der EU großteils gewillt, der Abschaffung der Visumspflicht zuzustimmen. "Doch wenn der Kosovo nicht die Bedingungen dafür erfüllt, werden sich die Minister zu wundern beginnen", stellt Lunacek fest: "Und das negative Bild vom Kosovo, das es in Teilen leider noch immer gibt, könnte sich verfestigen." Allerdings liegen die Anforderungen der EU auch im Interesse des Kosovo selbst. Ähnlich wie Edita Tahiri weist Ulrike Lunacek darauf hin, dass Aufgaben wie Korruptionsbekämpfung dem Land zu Gute kommen. Sie sind wichtig für die Wirtschaft eines Staates, der Investitionen braucht und in dem mehr als ein Drittel der Einwohner ohne Job sind. Und sie sind wichtig für die Menschen selbst. "Korruption und ein gescheiterter Staat sind miteinander verbunden", formuliert Tahiri.
Doch die Politikerin sieht Gründe für Optimismus. Denn das Bewusstsein in der Bevölkerung sei mittlerweile stark gewachsen. "Die Menschen werden immer kritischer gegenüber Korruption, sie prangern diese immer lauter an - auch innerhalb der politischen Parteien", erklärt Tahiri. Zumindest in dem Punkt habe es in den vergangenen Jahren viel Bewegung gegeben.