Der Zauber des US-Präsidenten ist verflogen. | Flaue Konjunktur, Arbeitslosigkeit, Afghanistan-Krieg und Ölpest schaden. | Washington. (dpa) Regierungssprecher Robert Gibbs brach kürzlich ein Tabu. In aller Öffentlichkeit dachte er laut darüber nach, dass die Demokraten bei den US-Kongresswahlen im Herbst die Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren könnten. "Es gibt keinen Zweifel, es stehen genug Sitze auf der Kippe, dass die Republikaner die Macht gewinnen könnten." Zwei Jahre Präsident und schon ohne Mehrheit? - Schlechte Nachricht für Präsident Barack Obama.
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Es könnte noch schlimmer kommen: Seit neuestem sind in Washington Zahlenspiele in Umlauf, wonach auch die Kontrolle des Regierungslagers im Senat bedroht ist. "Etwas, was ich noch vor sechs Monaten für unmöglich gehalten hätte, ist geschehen", meint William Galston vom Brookings-Institut. "Jetzt geht es um den Senat."
"Midterm election" - Wahlen in der Mitte der vierjährigen Präsidentschaft - heißt der Urnengang, der am 2. November ansteht. Fast schon ein Regelfall, dass der Mann im Weißen Haus und seine Partei dabei Federn lassen müssen. In düsterer Erinnerung ist für Demokraten die Kongresswahl 1994, als Bill Clinton mit Bausch und Bogen die Kontrolle im Parlament entglitt.
Regieren ohne Kongressmehrheit ist für einen US-Präsidenten etwa so, als wenn Angela Merkel mit einer rot-grünen Mehrheit im deutschen Bundesrat leben müsste - oder noch schlimmer. Folge: Gesetze werden verwässert, Entscheidendes wird gar nicht erst angepackt. Die Opposition regiert mit. Zwar wissen US-Präsidenten zuweilen geschickt damit umzugehen - doch angenehm ist das für keinen Regierungschef.
Sechs von zehn Wählern enttäuscht
Das Problem: Obamas Zauber, mit dem er vor zwei Jahren an die Macht stürmte, ist verflogen. Neuste Umfragen besagen, dass sechs von zehn Wählern das Vertrauen in ihn verloren haben. Flaue Konjunktur, anhaltend hohe Arbeitslosigkeit von fast zehn Prozent - besonders in Sachen Wirtschaft und Jobs trauen ihm die Amerikaner nicht mehr viel zu. Hinzu kommen der Afghanistan-Krieg und die Ölpest.
"Obamas Glaubwürdigkeitskrise", nennen das US-Medien. Vieles sind Probleme, für die man den Präsidenten und seine Partei kaum verantwortlich machen kann. "Historische" Mega-Projekte wie Gesundheits- und Finanzreform, die Obama und seine Demokraten durchgesetzt haben, werden vom Wählervolk dagegen nicht recht gewürdigt. Obama, ein Präsident ohne Fortüne?
Noch dazu bläst den Demokraten die populistische, republikanerfreundliche "Tea Party"-Bewegung ins Gesicht. Sie punktet geschickt mit Stammtischparolen: Gegen Steuern, gegen "zu viel Staat" und gegen "die Mächtigen in Washington".
Galionsfigur ist die attraktiv-skurrile Sarah Palin, die vor zwei Jahren als republikanische Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten angetreten war.
Die Wahl-Mathematik für den Herbst: Beide Kammern werden gewählt. Im Repräsentantenhaus geht es um alle 435 Sitze, im Senat stehen 36 der 100 Sitze zur Abstimmung. Derzeit können sich die Demokraten im Haus noch auf eine komfortable Mehrheit von 257 zu 178 Abgeordnete stützen, im Senat verfügt das Regierungslager über 58 Sitze, die Opposition hat 41 (ein Sitz ist nach dem Tod eines Senators vorläufig unbesetzt).
Die Voraussagen sind kompliziert. Die Alarmglocken im Weißen Haus sprangen erstmals richtig an, als der Wahlforscher Alan Abramowitz seine Zahlen vorlegte: Er jongliert mit sicheren und unsicheren Wahlkreisen, mit vermutlichen Gewinnen und Verlusten für beide Seiten - und kommt zu dem Schluss, dass die Republikaner am Ende mit 218 zu 217 Sitzen hauchdünn vorn liegen könnten. Könnten. Doch das Lager der Demokraten ist verunsichert.
Elf Sitze im Senat könnten wechseln
Verzwickt ist die Sache im Senat. Galston vom Brookings-Institut, früher Berater von Präsident Clinton, meint, sogar die Sitze, die Obama und sein Vize Joe Biden innehatten, stünden auf der Kippe. Ebenso der Stuhl von Mehrheitsführer Harry Reid. Das wären zwar lediglich Schönheitsfehler. Doch Auguren unken, es gebe bis zu elf Sitze, bei denen es auf der Kippe steht. Ohnehin ist bereits die alles entscheidende "strategische" 60-Stimmen-Mehrheit futsch, um die republikanische Blockadestrategie des Filibusterns (Dauerredens) zu brechen.
Kein Zweifel: Für Obama und sein Lager steht viel auf dem Spiel. "Ich glaube, die Leute werden im Herbst eine echte Wahl treffen müssen", meint Regierungssprecher Gibbs.