Armeniens Wirtschaft leidet unter der schlechten russischen Konjunktur. Die Annäherung des Westens an den Iran macht dem Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion nun Hoffnung.
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Eriwan. "Das ist die beste Nachricht seit langem", sagt Boris, ein Jungunternehmer aus Eriwan euphorisch. "Denn: Armenien ist das einzige Land in der Region, das mit dem Iran befreundet ist. Das wird uns jetzt zugute kommen", freut sich der 28-Jährige über die im sechs Flugstunden von der südkaukasischen Republik entfernten Lausanne erzielte Grundsatzeinigung im Atomstreit.
Die Armenier warten schon länger und voller Sehnsucht auf positive Nachrichten für ihre Wirtschaft. Diese leidet im Windschatten der Krise in Russland.
Wie sehr, beweist die Tatsache, dass allein die Eröffnung eines Carrefour-Supermarktes in Eriwan es im März auf mehrere Titelseiten von Zeitungen schaffte. Aber auch die nackten Zahlen belegen die wirtschaftlichen Turbulenzen: Im Jänner fiel laut Statistischem Zentralamt der Außenhandel des Landes um mehr als 30 Prozent. Die Industrieproduktion ging um 6,3 Prozent zurück und sogar die Produktion des lokalen Verkaufsschlagers - armenischer Kognak - brach um 30 Prozent ein. Die Nachfrage nach dem wichtigsten Exportprodukt, unedle Metalle wie Kupfer - stagniert schon länger.
Bereits seit mehreren Monaten sinken die für Armenien sehr wichtigen Rücküberweisungen armenischer Gastarbeiter. Im Jänner gingen die "Remittances" laut armenischer Zentralbank um fast 35 Prozent im Jahresvergleich auf 54,2 Millionen Dollar zurück. Mehr als zwei Drittel der Überweisungen kommen aus Russland, hier liegt der Rückgang im Jänner bei fast 43 Prozent.
Waren früher Busse, Züge und Flieger nach Russland überfüllt, so sind sie heute halb leer. Es wird gemunkelt, dass auch die russische Aeroflot demnächst weniger Flugverbindungen nach Armenien anbieten will. Nicht zuletzt wird ein starkes Abflauen der Direktinvestitionen des Haupthandelspartners Russland in Armenien beklagt. Insgesamt rechnen Analysten für 2015 mit einem Nullwachstum.
Zwei geschlossene Grenzen
Das 3-Millionen-Land leidet bis heute unter dem fast vollständigen Zusammenbruch seiner Industriestruktur nach dem Ende der Sowjetunion. Aber auch die andauernde Isolation belastet die wirtschaftliche Entfaltung. Aufgrund des Konfliktes mit Aserbaidschan um die Region Bergkarabach gibt es keine Wirtschaftsbeziehungen mit dem Nachbarstaat im Osten. Wegen der angespannten Beziehungen mit der Türkei infolge des Genozids an den Armeniern, der sich heuer zum 100. Mal jährt, ist auch die Westgrenze geschlossen. Und die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Nachbarland Iran im Süden waren wegen der internationalen Sanktionen stark eingeschränkt.
Gewisse Hoffnungen setzten die Armenier in die von Russland dominierte Eurasische Wirtschaftsunion (EWU), die Anfang des Jänners in Kraft trat. Gesunkene Zölle etwa im Agrarbereich um 34 Prozent machte jedoch die Aufwertung des armenischen Dram um 35 Prozent gegenüber dem Rubel zunichte, der ihre Ausfuhren verteuerte. Insgesamt ist seit Jänner der Export in die EWU-Länder um 50 Prozent gesunken, der in die EU hingegen - auch wegen der Abwertung der Landeswährung Dram gegenüber dem Euro - gestiegen. Manche Beobachter in Armenien amüsiert dies, immerhin verzichtete Eriwan im September 2013 auf eine engere Bindung an die EU und ließ ein fertig verhandeltes Assoziierungsabkommen ununterzeichnet.
Trotz des EWU-Beitritts und der Russland-freundlichen Einstellung wollen sich die Armenier nicht vollends in die russische Umarmung begeben. Mit Missfallen wurde etwa registriert, dass der armenische Präsident Sersch Sargsjan kürzlich nicht zu einem EWU-Treffen nach Kasachstan geladen war. Auch dass Armenien keine "Kommissare" in der EWU stellt, wurmt. "Es gibt Groll darüber, wie Russland seine Verbündeten behandelt", sagt Richard Giragosian, Direktor des Regional Studies Center in Eriwan. Zunehmend würde die Bevölkerung realisieren, dass die armenischen Werte den europäischen Standards und Idealen näher sind "als den russischen wie Korruption und Autoritarismus".
Jetzt gerade ist die Diskussion über die außenpolitische Orientierung ohnehin hinfällig. Monatelang, heißt es, hätten armenische Diplomaten westliche Kollegen erklärt, es sei egal, was sie tun, das Wichtigste für ihr Land seien Fortschritte in den Iran-Verhandlungen. In Eriwan reibt man sich bereits die Hände. "Jetzt sind wir das Zugangstor für Russland und den Iran", freut sich Boris.