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Aqap, gefährlichster Al-Kaida-Ableger, erklärt den Osten des Jemen zum "Islamischen Emirat" - die Zentralregierung ist hilflos.
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Sanaa. Während die ganze Welt gebannt auf den Terror des IS (Islamischer Staat) im Irak blickt, hat die Al-Kaida im Jemen (Aqap) einen beachtlichen Eroberungsfeldzug hinter sich gebracht. Anfang August konnte die Islamistenorganisation in weiten Teilen des Ostens die Macht an sich reißen und im Wadi Hadramaut ein "Islamisches Emirat" proklamieren. Dort liegt das einstige Touristen-Mekka Shibam, eine Stadt mit uralten Lehm-Hochhäusern, die früher tausende Abenteuerlustige aus aller Welt angezogen hat. Jetzt sind hier radikale Islamisten am Werk und alle Versuche der USA und der jemenitischen Armee, der Bedrohung Herr zu werden, sind bis dato gescheitert.
Die Aqap gibt es seit 2008, als der jemenitische und saudische Ableger der Al-Kaida fusionierten. Es entstanden in den unzugänglichen Wüstenregionen des Landes Ausbildungslager, zuletzt hat die Regierung in Sanaa den Extremisten offen den Krieg erklärt. Allerdings stellen sich vor allem "Volkskomitee-Milizen", die von der lokalen Bevölkerung gebildet werden, den Terroristen mit einigem Erfolg entgegen.
Dass die radikalen Islamisten den gesamten Jemen unter ihre Kontrolle bekommen, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgeschlossen. Doch sie destabilisieren das bitterarme Land am Südrand der Arabischen Halbinsel, hunderte Extremisten-Kämpfer sollen laut Regierung in den letzten Monaten gefallen sein, die Zahl der getöteten Soldaten dürfte ebenso hoch sein.
Kämpfe und brutale Hinrichtungen
Das militärische Engagement der USA im Jemen hilft indirekt der Al-Kaida, weil durch den Einsatz unbemannter Drohnen zahlreiche Zivilisten getötet wurden, was den Hass auf "Uncle Sam" schürt und neue Unterstützung für Al-Kaida schafft. Deren Kämpfer gehen mit großer Brutalität gegen die Staatsmacht vor, die vom fernen Sanaa aus versucht, die Kontrolle wiederzuerlangen. Erst am vergangenen Samstag wurden in der Provinz Hadramaut 15 Armeesoldaten von Terroristen zuerst überfallen, in das Dorf Huta verschleppt und dann brutal hingerichtet. Einen Tag zuvor waren sieben Soldaten bei Kämpfen mit den Extremisten gefallen.
Die Terroristen nutzen den Umstand, dass die Zentralgewalt in Sanaa schwach und der Einfluss der Regierung auf die einzelnen Stämme und Regionen des Landes gering ist. Dazu kommt, dass 2011 der Arabische Frühling auch über den Jemen gefegt ist - mit gravierenden Folgen. Es kam damals ähnlich wie in Ägypten zu Massendemonstrationen, Feindbild war der autokratische Langzeit-Präsident Ali Abdullah Saleh, der den Jemen über Jahrzehnte notdürftig zusammengehalten hatte. Tausende Menschen starben durch Kugeln der Sicherheitskräfte, Saleh musste schließlich ins saudische Exil und dessen Stellvertreter, Abdu Rabu Mansour Hadi, übernahm das Ruder. In der Folge hielt im Jemen zwar nicht mehr Demokratie Einzug, die Autorität der Zentralgewalt nahm aber weiter ab. Al-Kaida ging, als einer von mehreren Akteuren, aus den Unruhen gestärkt hervor.
Zahllose Gegner der Zentralregierung
Saleh ist nun zwar außer Landes, ein großer Teil der politischen Elite steht aber immer noch hinter ihm. Neben den einzelnen Stämmen, die sich ihre Loyalität von der Zentralregierung in Sanaa teuer abkaufen lassen, lehnt sich der ehemals kommunistische Süden immer wieder auf. Zuletzt kam es im Mai zu Demonstrationen in Aden, die Protestierenden forderten die Unabhängigkeit von Sanaa. Im Norden kämpfen schiitische Rebellen seit Jahren gegen Sanaa, ein Konflikt, der ebenfalls unzählige Tote gefordert hat: Die Houthi-Kämpfer haben sich nach Ansicht von Mareike Transfeld, einer Expertin, die jahrelang im Land gearbeitet hat, als "eine Art jemenitische Hisbollah" etabliert.
Im Juli haben Stammeskrieger, die nichts mit Al-Kaida oder den Houti-Rebellen zu tun haben, von der Regierung aber Zugeständnisse erpressen wollen, die wichtigste Ölpipeline des Landes zerstört. Der Betrieb musste daraufhin für ein Monat eingestellt werden. Ein notorisches Problem im Jemen, betroffen von den Lieferausfällen war einmal mehr auch die OMV.
Die USA warnen unterdessen davor, dass die Terroristen aus dem Jemen neuartige Sprengsätze entwickelt hätten, die sich nur schwer aufspüren lassen. Internationale Flughäfen in Europa und im Nahen Osten wurden angewiesen, die Sicherheitschecks auszubauen. Bei bestimmten Direktflügen aus Europa die Mitnahme nicht aufgeladener Smartphones nicht mehr erlaubt.
Urlaubsreise wird nicht empfohlen
Der Jemen ist eines der ärmsten Länder der Welt, die blutigen internen Konflikte verschlimmern die Situation zusätzlich. Der Tourismus, vormals ein wichtiger Devisenbringer, ist in den letzten Jahren beinahe zum Erliegen gekommen.
Das österreichische Außenamt hat eine Reisewarnung erlassen, allen Bürgern der Alpenrepublik wird eine "umgehende Ausreise" aus dem Land "dringend" empfohlen. Das ist verständlich, denn im Dezember 2012 ist ein junger Österreicher in Sanaa entführt worden und erst im Mai 2013, nach zähen Verhandlungen, wieder freigelassen worden. In den letzten Jahren war der Westen des Jemen für Touristen immerhin noch halbwegs sicher, für den Norden des Landes und das Wadi Hadramaut gab es keine Passierscheine vom jemenitischen Innenministerium. Zuletzt konnte man nicht mehr individuell einreisen, nur über ein Reisebüro gebuchte Touren waren offiziell möglich. Den Touristen wurde von der jemenitischen Regierung ein bewaffneter Begleitschutz zur Seite gestellt, zudem wurde nicht empfohlen, sich allein auf die Straßen von Sanaa zu begeben.
Das Wiener Reisebüro STA Travel - "Reisen für Weltentdecker" - meinte auf Anfrage der "Wiener Zeitung", dass es keine vorbereiteten Standard-Touren in den Jemen mehr gäbe, auch die "Partner vor Ort" würden derzeit von einer Reise "wahrscheinlich abraten", hieß es hier. Eine Tour durch den Jemen sei zudem "schon lange" nicht mehr gebucht worden.
Unbeschwerte Urlaubsfreuden gibt es derzeit nur noch auf der Insel Socotra, einem Taucherparadies, das dem jemenitischen Festland vorgelagert ist.
Ein neues Terror-Netzwerk entsteht
US-Experten gehen unterdessen davon aus, dass die militärischen Erfolge des "Islamischen Staats" (IS) im Irak und in Syrien einen Motivationsschub für die Terroristen im Jemen bedeuten. Über eine Kooperation der beiden Organisationen sind bereits Spekulationen aufgetaucht. Saudische Behörden haben bereits islamistische Zellen mit Verbindungen zu beiden Gruppen ausfindig gemacht. Ibrahim al-Rubaish, Chefideologe der Al-Kaida im Jemen, hat in einem kürzlich aufgetauchten Internet-Video den "Brüdern im Irak" zu ihrem Sieg über die Armee gratuliert und den "sunnitischen Sieg" über die "Banden" des bisherigen irakischen Machthabers Nouri al-Maliki bejubelt. Der Hass auf Schiiten, die als Häretiker gelten, eint Aqap mit IS: "Die Sunniten im Irak haben begriffen, dass eine friedliche Koexistenz nicht möglich ist", so al-Rubaish in dem Elf-Minuten-Internet-Video. "Der Kampf gegen die Schiiten ist absolute Pflicht."
Aqap sieht den "Islamischen Staat" (IS) jedenfalls als Vorbild, auch wenn man sich der syrisch-irakischen Terrorfraktion (noch) nicht offiziell anschließen will. Nachdem Kämpfer des Islamischen Staats Bilder von brutalen Tötungen schiitischer Zivilisten, irakischer Soldaten und Christen veröffentlicht haben, folgten ähnliche Gräueltaten im Jemen. Die Opfer waren Ärzte und Soldaten.
Die Al-Kaida im Jemen trat zuletzt 2009 massiv ins Licht der Öffentlichkeit, als ein Selbstmordattentäter eine US-Passagiermaschine beim Anflug auf Detroit in die Luft jagen wollte. Der damals 23-jährige Umar Faruk Abdulmutallab soll im Jemen trainiert worden sein. Für Terror-Experten ist es angesichts der jüngsten Entwicklungen nur eine Frage der Zeit, bis die Al-Kaida im Jemen wieder in die internationalen Schlagzeilen kommt.