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Im Würgegriff der iranischen Zensurbehörden

Von Arian Faal

Analysen

Führung will jeden Widerstand | schon im Keim ersticken.


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Der nächste iranische Präsident hat eine schwere Last an drängenden Agenden zu bewältigen: 34 Jahre nach der Islamischen Revolution 1979 funktioniert es nicht mehr, Wahlen zu einer Propagandaveranstaltung voller Glanz, Pomp und Machtdemonstration der Führung umzufunktionieren. Auch wenn Khamenei seinen engsten Führungszirkel in den vergangenen Wochen dazu aufgerufen hat, bei jeder Gelegenheit ein Trotzsignal an den Westen unter dem Motto "der Iran lässt sich trotz internationaler Sanktionen und Wirtschaftsproblemen nicht einschüchtern" auszusenden. Fakt ist, dass die Führung in den Tagen vor der Wahl zunehmend nervös wurde. Daher ließ Teheran die Zensur- und Sicherheitsmaßnahmen mehrfach verschärfen. Auslandsjournalisten etwa wurden in den vergangenen Tagen besonders ins Visier der Sittenwächter genommen.

Zu groß ist die Angst vor neuen Unruhen, wie sie nach der umstrittenen Wiederwahl 2009 wochenlang den Alltag des Iran geprägt haben. Damals wurde die sogenannte "Grüne Opposition" brutal niedergemacht, ihre Anführer Mir Hossein Moussavi und Mehdi Karroubi wurden unter Hausarrest gestellt und hunderte Oppositionsanhänger in Gefangenschaft genommen. Solche Erinnerungen will das Regime nicht wieder wach werden lassen. Jeglicher Widerstand soll im Keim erstickt werden. Dass der moderate Pragmatiker und Chef des Schlichtungsrates, Ex-Präsident Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani, der einer der Gründungsväter der Islamischen Republik ist und sich in letzter Sekunde als Kandidat beworben hatte, vom Wächterrat nicht approbiert wurde, komplettiert das Bild.

Vom Justizchef bis zum Chef der Revolutionsgarden, vom Geheimdienstminister bis zum Chef der Generalstaatsanwaltschaft machten alle unmissverständlich klar, dass man gegen etwaige "Störenfriede und Feinde" vor, während und nach der Wahl mit aller Härte und innerhalb der Gesetze zur Verfügung stehenden Mitteln vorgehen werde. Auch Telefon und Internet werden weitgehend kontrolliert. Mehrere europäische Vertretungen klagten im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" über wochenlange Leitungsprobleme.

Die Zensurbehörde hat ein System installiert, um Telefonleitungen und Internet flächendeckend unter die Lupe zu nehmen. Die zwei großen Telefonanbieter des Landes stehen unter direkter Kontrolle der Revolutionsgarden. Auch die Internetanbieter sind ihnen untergestellt. Die Filterbrecher sind der Zensurbehörde ein besonderer Dorn im Auge. Mit ihrer Hilfe konnte die sehr junge iranische Bevölkerung (rund 54 der 74 Millionen Perser sind unter 27 Jahre alt) beliebte Seiten wie Facebook, Twitter oder YouTube öffnen. Nun werden die Filterbrecher durch einen Blockierungsmechanismus unwirksam gemacht. Nur noch teure, widerstandsfähige Filterbrecher können "verbotene" oder als "zu westlich" eingestufte Seiten öffnen.

Die verstärkte Repression kommt nicht von ungefähr. Irans Führung hat das schwierigste Jahr in der Geschichte der Islamischen Republik hinter sich. Der angeschlagene Finanzsektor spiegelt sich sowohl in der Inflation von 30 Prozent als auch in der Arbeitslosigkeit von 18 Prozent wider. Inoffiziell sind diese Werte natürlich noch viel höher. Ganz oben auf der Agenda des nächsten Präsidenten steht daher die miserable Wirtschaftssituation. Letztere ist durch die Sanktionen des Westens wegen des umstrittenen iranischen Atomprogramms in ein Chaos geschlittert. Die Öl- und Gasexporte haben Tiefstwerte erreicht. Auch der Ausbau der Raffinerien geht nicht so zügig voran wie erhofft. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der Iran als Ölgigant Benzin importieren muss.

Ein weiterer Hemmfaktor für alle internationalen Geschäfte ist, dass der Gottesstaat vom Swift-System bei Finanztransaktionen abgeschnitten wurde und sämtliche westliche Großbanken keine Neugeschäfte mehr mit Teheran machen. Aber auch die Perser selbst spüren die Auswirkungen im Alltag. Preise für Obst, Gemüse, Brot, Reis und Fleischprodukte haben in den vergangenen zwölf Monaten astronomische Ausmaße erreicht. Teuerungen von 400 Prozent bei Paradeisern etwa wirken sich auf das Konsumverhalten der Unter- und Mittelschicht aus. Hierbei kommt die Einstellung der staatlichen Subventionen bei Lebensmitteln und Treibstoff zum Tragen und belastet die ärmeren Teile der Bevölkerung besonders. Miet- und Immobilienpreise in allen größeren Städten sind ebenfalls explodiert. Mittlerweile hat die Nationalwährung, der Rial, seit Jänner 2012 rund 65 Prozent an Wert verloren. Der Bazar von Teheran, das beste Stimmungsbarometer für die Wirtschaft des Landes, klagt über "eine noch nie da gewesene Flaute". Ein weiterer großer Brocken für den nächsten Präsidenten ist die Außen- und Atompolitik. Die Regierung in Teheran hält im Syrien-Konflikt nach wie vor zum umstrittenen syrischen Präsidenten Assad. Da ist es logisch, wenn die Bevölkerung kaum mehr Verständnis dafür aufbringt, wenn die Führung laut US-Geheimdienstquellen Personal und Waffen nach Damaskus schickt, während große Teile der Perser an der Armutsgrenze leben. Khamenei hat schon angekündigt, dass am Atomkurs und an der Haltung seines Landes festgehalten werde. Fazit: Es kommt ein neuer Präsident, aber die Atomlinie wird wohl kaum verändert. Nur wirtschaftlich muss sich der Iran rasch etwas einfallen lassen.