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Im Zeichen der Ratlosigkeit

Von WZ-Korrespondent Silviu Mihai

Politik

Knapp vier Monate nach dem erneuten Wahlsieg der nationalistischen Parteien dürfte in Bosnien-Herzegowina doch noch die Regierungsbildung gelingen.Viele im Land haben die Hoffnung auf einen funktionierenden Staat aber schon längst aufgegeben.


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Sarajevo. Die Innenstädte von Sarajevo und Banja Luka sind heute noch voll mit Wahlplakaten, auf denen Parteien aller Couleur "ein normales Land" und "Lösungen statt Slogans" versprechen. Oder auch die Bekämpfung der horrenden Arbeitslosigkeit, die unter den jungen Menschen in Bosnien-Herzegowina bei mehr als 60 Prozent liegt.

Wie weit man von einem "normalen Land" allerdings noch entfernt ist, zeigt allein das Ringen um politische Ämter, das derzeit in die letzte Runde geht. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im vergangenen Oktober hatten erneut die nationalistischen Parteien gewonnen. Jene Kräfte, die sich vor zwanzig Jahren militärisch begegneten, bekamen mit dem Versprechen von Stabilität die meisten Stimmen.

Seit knapp vier Monaten versuchen die Vertreter der drei ethnischen Gruppen nun schon, sich über die Zusammensetzung der neuen Regierung zu einigen. Dabei gaben sich die Politiker immer wieder gegenseitig die Schuld für die miserable Wirtschaftslage, sie warfen den jeweils anderen Korruption vor und stellten manchmal sogar die Zusammenarbeit mit den jeweils anderen Ethnien in Frage.

Eine Einigung unter den ethnisch definierten und von Korruption geprägten politischen Kräften ist jedes Mal eine wahre Quadratur des Kreises. Dementsprechend stehen die Chancen für eine Überwindung der tiefen sozialen Krise alles andere als gut. Der Hauptgrund dafür liegt nahe: Das hochkomplexe und ineffiziente politische System, das 1995 mit dem Dayton-Abkommen in der Verfassung des Landes festgeschrieben wurde, bietet wenig Spielraum für die Durchsetzung tiefgreifender Reformen, die die Wirtschaft ankurbeln und die Gesellschaft gerechter organisieren könnten.

Nicht nur die grassierende Korruption plagt die aufgeblähte öffentliche Verwaltung, wo seit Jahren die EU-Hilfsgelder in den Taschen von Politikern und Beamten versickern. Auch die allgegenwärtige nationalistische Rhetorik der wichtigsten Parteien führt dazu, dass Themen auf der Agenda landen, die nur einer Volksgruppe nutzen.

"Alle wollen Deutsch lernen"

Doch bisher konnte keine Alternative identifiziert werden: So wurde bei den Wahlen Bakir Izetbegovic, Sohn und Nachfolger des Staatsgründers Alija Izetbegovic, als bosniakisches Mitglied der dreiköpfigen Staatspräsidentschaft im Amt bestätigt. Seine Partei der Demokratischen Aktion (SDA) bleibt die populärste politische Kraft unter den muslimischen Wählern. Sie bekommt jetzt die meisten Posten in der neuen Regierung und darf auch den Ministerpräsidenten stellen. Der Sarajevoer Architekt Denis Zvizdic wird laut der am Montag unterzeichneten Vereinbarung das neue Kabinett führen.

Als Vertreter der ethnisch serbischen Bevölkerungsgruppe im dreiköpfigen Gremium schickten die Wähler in der autonomen Region Republika Srpska Mladen Ivanic von der Partei des Demokratischen Fortschritts (PDP) nach Sarajevo, ebenfalls ein altbekanntes Gesicht. Der vergleichsweise moderate Ivanic wurde auch von der nationalistischen, von Radovan Karadzic gegründeten Serbischen Demokratischen Partei (SDS) unterstützt und steht für mehr Autonomie der serbischen Entität. Die radikalere Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) von Milorad Dodik verlor dadurch die landesweite Präsidentschaftswahl und bekommt jetzt keine Ministerposten. Sie behielt jedoch die Präsidentschaft der Republika Srpska, was zu einer Vertiefung der Spaltung führen könnte. Bereits in der Vergangenheit hatte Dodik die Existenz Bosniens und Herzegowinas als Staat häufig in Frage gestellt, viele Anhänger dieses politischen Lagers wünschen sich längerfristig eine Vereinigung mit Serbien.

Währenddessen verlieren viele Menschen die Hoffnung, dass das Land jemals funktionieren könnte. "Daran ist auch die EU schuld", glaubt Feda Kazlagic, ein 30-jähriger Deutschlehrer aus Banja Luka. "Es macht überhaupt keinen Sinn, uns mit Geld zu überfluten, wie zum Beispiel vergangenes Jahr nach der Hochwasserkatastrophe. Man weiß ja ganz genau, dass nur ein Bruchteil dieser Summen dort ankommt, wo sie wirklich benötigt werden." Kazlagic unterrichtet an mehreren Schulen und auch privat, oft mehr als zehn Stunden am Tag: "Alle wollen Deutsch lernen, damit sie später eine Stelle in Mitteleuropa finden." Ähnlich sieht die Lage auch Tamir Kuko, der Marketing studiert und abends als Kellner in einem Café in der Altstadt von Sarajevo arbeitet. Vor einem Jahr hat der 25-Jährige an den Protesten teilgenommen, die das Land erschütterten. "Wir wollen einfach normal arbeiten in einem normalen Land", sagt der junge Mann. "Doch diese Perspektive rückt immer wieder in weite Ferne."

Schwierige EU-Annäherung

In Tuzla, wo die Proteste angefangen haben, kämpft die 54-jährige Emina Busuladzic seit Jahren für die Rechte der Beschäftigten. Die Waschmittelfabrik Dita, bei der sie als Chemietechnikerin arbeitete, wurde infolge einer gescheiterten Privatisierung geschlossen, monatelang hatte der Arbeitgeber zuvor die Löhne einfach nicht gezahlt. Busuladzic, eine der Hauptfiguren der Protestbewegung, kandidierte bei den Wahlen für die multiethnische Kommunistische Partei. Mit Erfolg: Sie zog als Abgeordnete ins kantonale Parlament. "Wir haben einen langen Weg vor uns", stellt sie fest. Ähnlich sieht die Lage übrigens auch Federica Mogherini, die Außenbeauftragte der EU, die am vergangenen Montag zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Monaten nach Bosnien reiste, um die Politiker davon zu überzeugen, dass eine schnellere Annäherung an Europa und die dafür erforderlichen Reformen wichtiger sind, als ethnische Spaltungen.

Die Bilanz des Besuchs ist allerdings eher bescheiden: Zwar verpflichtete sich das neu gewählte Parlament dazu, das Stabilisierungsabkommen mit der EU zu implementieren. Doch die strukturellen Probleme bleiben. "Kein Weg führt daran vorbei, eine neue Verfassung ohne ethnische Kategorien zu schreiben", meint Deutschlehrer Feda Kazlagic. "Wir haben alle die gleichen sozialen Probleme und wir wollen fast alle abhauen. Vielleicht sollte das unsere neue Identität sein."