Europas Finanzmärkte befinden sich auf Fusionskurs. Die bevorstehende Währungsunion hat nicht nur bei den Unternehmen den Drang nach europaweiten Zusammenschlüssen verstärkt. Auch für die | Finanzmärkte gilt zunehmend die Devise: "big is beautiful."
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Je mehr Aktien, Optionen und andere Derivative an einem Markt gehandelt werden können, desto größer wird das Interesse der Anleger. Die Möglichkeit eines einzigen europäischen Aktienmarktes läßt
Händler von der Zukunft schwärmen: "Das bedeutet größere Liquidität und Transparenz, niedrigere Transaktionskosten und alles in allem einen effizienteren Markt," sagt ein Londoner Börsianer.
Allzu ferne Zunkunftsmusik ist das nicht mehr: In Paris berieten die Chefs der acht Börsen in Amsterdam, Brüssel, Frankfurt, London, Madrid, Mailand, Paris und Zürich grundsätzlich über die Schaffung
eines pan-europäischen Aktienmarktes. Die einst rivalisierenden Börsen in London und Frankfurt besiegelten schon im Juli eine Allianz, die pünktlich zum Eurostart am 4. Jänner 1999 beginnen soll.
Dann können Marktteilnehmer an beiden Börsen ohne zusätzliche Kosten mehr als 300 Aktien handeln.
Für Jörg Franke, Vorstandsmitglied der Deutschen Börse AG und Chef des deutsch-schweizer Derivativenmarktes Eurex, ist der Zusammenschluß der Kapitalmärkte ein Muß. "Die Anleger wollen nicht x-mal
bezahlen, um an x Börsen zu handeln und x Aktienindizes im Blick zu behalten", sagt Franke. Mit Eurex gibt er den Trend selbst vor. 1997 schlossen sich die Deutsche Terminbörse (DTB) und der Züricher
Derivativenmarkt Soffex zur Eurex zusammen. Im Handelsvolumen des Bund-Futures auf deutsche Staatsanleihen hat Eurex die zuvor führende Londoner Terminbörse Liffe bereits überholt.
Der Euro, der elf nationale Währungen zusammenfaßt und damit das Umrechnungschaos vermindert, ist nach der Ansicht der Experten die treibende Kraft hinter dem Fusionstrend. Mit der neuen Währung ist
das Nebeneinander von rund 30 Kassamärkten und zwei Dutzend Derivativen-Börsen in Europa völlig überflüssig. Ein einziger, nach internationalen Standards arbeitender Markt sei viel effizienter, sagt
auch Rolf Breuer, Vorstandssprecher der Deutschen Bank und Aufsichtsrat der Deutschen Börse AG.
Eine weiteres Zugpferd ist der Computerhandel, der das Parkett als physischen Marktplatz allmählich ablöst. Mit den neuen Technologien können immer mehr Transaktionen immer schneller, effizienter und
transparenter abgewickelt werden. Für einen einheitlichen Aktienmarkt müßten sich die Börsenchefs jedoch auf ein einheitliches Handelssystem einigen. Das kann sich nach Ansicht der Analysten als hohe
Hürde erweisen, denn die verschiedenen Handelssysteme haben die Börsen vielGeld gekostet.
Viele Händler favorisieren das deutsche Xetra-Handeslsystem. "Das ist das beste System, das schnellste, effizienteste und auch schon das, was am weitesten verbreitet ist," sagt Stefan Müller von der
Dresdner Bank. Ein Frankfurter Händler stimmt dem zu: "Wir erwarten ein einheitliches Handelssystem so um das Jahr 2000, wahrscheinlich wird es Xetra."
Mit einer einheitlichen Währung und einheitlichen Handelssystemen müssen sich die Organisatoren einer Eurobörse eigentlich nur noch über die Öffungszeiten einigen. Doch Schwierigkeiten ergeben sich
auch aus den von Land zu Land verschiedenen Handelsgesetzen und Steuerregelungen. Hier muß nach der Ansicht von Experten eine Harmonisierung erfolgen, soll der pan-europäische Aktienmarkt
funktionieren.
Die Börsenfusionen werden nach Einschätzung der Experten nicht an den Grenzen Europas enden. "Ein weiterer Schritt wäre eine Allianz mit den Amerikanern," sagte Müller. Die elektronische US-Börse
Nasdaq hat sich an einer Kooperation mit den europäischen Aktienmärkten schon interessiert gezeigt.reuters