Wie viel Einfluss hat Österreich in der EU? Klare Worte zu Migration und Türkei werden in Brüssel nicht immer geschätzt.
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Wien/Brüssel. Wien war die Stadt der Spione. Während Orson Welles im Film "Der dritte Mann" in die Kanalisation hinabstieg, wurden in der Realität Agenten ausgetauscht, Geheimdienstberichte verschickt und empfangen, Kontakte über im Kalten Krieg undurchdringliche Grenzen hinweg geknüpft. Österreich war die Schnittstelle zwischen Ost und West, wo die - meist informellen - Kommunikationskanäle der zwei Machtblöcke des Kalten Krieges zusammenliefen.
In den 1980er Jahren kamen auch die Fußballstars aus dem Osten. Der aus der Tschechoslowakei geholte Mittelfeldspieler Antonin Panenka wechselte zu Rapid - und blieb in Wien, obwohl er Angebote aus Spanien und Belgien hatte. Tibor Nyilasi war zuerst ungarischer und dann, mit Austria Wien, österreichischer Torschützenkönig.
Etwas später bekam die Wirtschaft ihre Chancen in Osteuropa - und ergriff sie, ohne zu zögern. Österreichische Banken, Versicherungen, Baufirmen preschten in Polen, der Slowakei, Tschechien vor und erschlossen für sich äußerst profitable Märkte.
Es schien naheliegend, dass sich auch die Politik die Geografie zunutze machen könnte. Österreich, das 1995 Mitglied der Europäischen Gemeinschaft wurde, hätte seine Kontakte im Osten formalisieren und vertiefen und damit auch auf EU-Ebene zu einer Schnittstelle werden können - ob vor zwanzig Jahren oder nach 2004, als es nach der Osterweiterung der Union in deren Zentrum rückte.
Doch fiel das Land in Brüssel nicht unbedingt durch Aktivität in der Koalitionsbildung auf. Wie viele Menschen haben schon vom Austerlitz-Format gehört? Es ist eine lose Kooperation zwischen Österreich, Tschechien und der Slowakei. Denn die Aufnahme in eine andere, mittlerweile weit bekanntere Gruppe, wurde Österreich verwehrt: Die Visegrad-Vier, bestehend aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei, wollten untereinander bleiben. Die FPÖ kokettiert allerdings weiterhin mit einer Kooperation.
Schwach vernetzt
Aber auch wenn in der EU die Bündnisse nicht starr sind und sich oft nach den einzelnen Interessen richten und dementsprechend ändern können, sind Netzwerke hilfreich. Bei deren Bildung ist Österreich jedoch nicht herausragend. Die Denkfabrik ECFR (Europäischer Rat für Außenbeziehungen) hat eine Studie erstellt, die Auskunft gibt über Einflussnahme und Partnerschaften in der EU. Österreich findet sich dort in der Gruppe der "sieben Wohlhabenden", gemeinsam mit Schweden, Finnland und Dänemark sowie den drei Benelux-Staaten Belgien, Niederlande und Luxemburg.
Sie alle besitzen im Vergleich zu den anderen besondere wirtschaftliche Schlagkraft, und die Werte für ihr Pro-Kopf-Einkommen liegen sogar über jenen der "großen Sechs", die aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien und Polen bestehen. Doch platziert sich Österreich mit seinem Koalitionspotenzial nur im Mittelfeld, und von der Siebener-Gruppe haben etwa die Niederlande, Schweden und Belgien mehr Einfluss.
Vielleicht kommt das Land aber eben im Mittelfeld gut durch mit seinen Interessen. Auf diese Möglichkeit weist Stefan Lehne hin. Österreich befinde sich mittendrin, und das scheine in den meisten Fällen zu reichen, meint der EU-Experte und ehemalige österreichische Spitzendiplomat, der für die Denkfabrik Carnegie Europe tätig ist. Er ortet mehrere Faktoren für den geringen Grad der Vernetzung. "Zum einen gibt es in der EU geografische und politische Bündnisse wie die Benelux- oder Visegrad-Länder - und Österreich gehört nirgendwo dazu", sagt Lehne. Zum anderen führt er "die Komplexität der innerstaatlichen Abstimmungsprozesse" an. Bevor nämlich die Regierung in Wien zu einer Position findet, die sie in der EU vertritt, müssen sich oft genug nicht nur die Koalitionspartner einigen. In etlichen Fällen sind auch noch die Sozial- und andere Partner zu beachten.
Das führte schon vor einem knappen Vierteljahrhundert dazu, dass die österreichischen Delegationen, die zu den EU-Beitrittsverhandlungen nach Brüssel fuhren, zu den größten gehörten. Und auch heute macht es die Entscheidungsfindung nicht leichter. Dabei zählt ebenso deren Tempo: Wer schneller reagiert, am besten noch im Vorfeld eines Gesetzesentwurfes, der kann sich mehr einbringen. "Die Brüsseler Prozesse sind am besten zu beeinflussen, bevor ein Vorschlag der EU-Kommission auf den Tisch kommt", betont Lehne.
Bruch mit Deutschland
Lange Zeit galt Österreich als deutsch-affin; die Verhandlungspositionen der zwei Nachbarn liefen daher parallel zueinander. Ähnlich sind nämlich sowohl die Interessen als auch die rechtliche Lage - was die Zusammenarbeit bei den Debatten um die Harmonisierung von Gesetzen beispielsweise leichter macht.
Doch dann kam die Flüchtlingskrise. Und der Bruch mit der Position Deutschlands. Während in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel sich für die Aufnahme von Asylwerbern aussprach, organisierte in Wien Außenminister Sebastian Kurz ein Treffen mit Kollegen aus den Westbalkan- und ein paar anderen Ländern. Die Balkan-Route wurde geschlossen, und Deutschland war pikiert, weil Österreich einen eigenen Weg gewählt hat.
Kurz aber, der schon bei seinem Amtsantritt als jüngster Minister in Brüssel viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, hat dadurch sein Profil geschärft - auch, wenn dieses nicht von allen als positiv angesehen wurde. Klarer als andere Kollegen legte er ebenfalls seine Haltung zu einem möglichen EU-Beitritt der Türkei dar. Wie Bundeskanzler Christian Kern fordert Kurz einen Abbruch der Verhandlungen mit Ankara. Kern hat dies auch schon bei Gipfeltreffen thematisiert - doch hat Wien keine offene Unterstützung für seinen Wunsch erhalten.
So prononciert diese Positionen sind, so defensiv sind sie aber. Es geht dabei mehr um eine Verhinderung denn um ein Vorhaben, um etwas aufzubauen. Doch es gibt auch Beispiele für solch positive Initiativen. Finanzminister Hans Jörg Schelling hat trotz aller Widrigkeiten noch nicht den Vorsitz der Gruppe abgegeben, die an der Einführung von Steuern auf Finanztransaktionen arbeitet. Das Engagement Österreichs wird auch in diesem Bereich bemerkt - auch, wenn es bisher kaum zu greifbaren Erfolgen geführt hat.
Augenmerk auf Populisten
Andere Vorschläge wiederum werden weniger geschätzt und als "Zurufe von der Galerie" angesehen, wie Lehne es nennt. Das Pochen auf eine Schließung der Mittelmeer-Route etwa oder auf mehr militärisches Engagement in Libyen: Österreich hat hier wenig Expertise anzubieten und kann als neutrales Land auch kaum viel Verantwortung übernehmen.
Ernsthaft verfolgt wird in den EU-Institutionen aber die Nationalratswahl auf jeden Fall werden. Schon die zweite Runde der Bundespräsidentschaftswahl im Vorjahr, das Ringen zwischen einem grünen und einem freiheitlichen Kandidaten, erregte viel Aufmerksamkeit. Es war der erste Urnengang in einer Reihe von europäischen Voten, die ein Test für die Strahlkraft von Rechtspopulisten waren.
Wie die FPÖ bei der Nationalratswahl abschneidet, wird ebenfalls auf Interesse stoßen. Eines ist aber so gut wie fix. Sollten die Freiheitlichen Teil der nächsten Regierung in Wien werden, wird diese nicht ähnliche Konsequenzen zu fürchten haben wie die schwarz-blaue Koalition im Jahr 2000. Sanktionen der EU gegen Österreich wird es dieses Mal nicht geben.