Österreichs erstes Partikeltherapiezentrum stellt künftig eine Option zur herkömmlichen Strahlentherapie dar.
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Wiener Neustadt. Tumorzellen haben für gewöhnlich eine viel schlechtere Reparaturfähigkeit für DNA-Schäden als normale Zellen. Diese Tatsache wird bei der Strahlentherapie ausgenutzt, die im vergangenen Jahrhundert weitreichende Fortschritte erfahren hat. So war es Ende des 19. Jahrhunderts die kurz zuvor entdeckte Röntgenstrahlung, die nach und nach bis zu den heutigen Behandlungsansätzen geführt hat. Aktuell reicht die Bandbreite bis hin zu den gegen Krebs zum Einsatz kommenden Kohlenstoffionen. Die Fortschritte haben auch mit sich gebracht, dass heutzutage Tumoren nicht nur genauer lokalisiert werden können, sondern auch präziser bestrahlt. Das ist für den Patienten von Vorteil. Denn die Kunst liegt darin, dem Tumor eine möglichst hohe Dosis an Strahlung zu verpassen, während das umliegende Gewebe möglichst geschont werden soll, um die damit verbundenen Nebenwirkungen - von Hautrötungen über Schleimhautschäden bis hin zu Infertilität bei Bestrahlungen im Beckenbereich - geringer zu halten.
Hochdosis in der Krebszelle und weniger Nebenwirkungen
Zellschäden sind nur in den Krebszellen selbst erwünscht. Bei der Strahlentherapie wird allerdings auch der Erbsubstanz im gesunden Gewebe teils erheblicher Schaden zugefügt. In der DNA kommt es zu Strangbrüchen, Basenveränderungen und falschen Verknüpfungen. Das zelleigene Reparatursystem kann zwar viele dieser Fehler wieder ausmerzen, aber nicht immer alle.
Mit der Partikeltherapie, wie sie gegen Jahresende erstmals in Österreich zum Einsatz kommen soll, könne das Risiko für akute und späte Reaktionen als Folge der Therapie geringer gehalten werden, betont der medizinische Leiter des Krebstherapiezentrums Medaustron in Wiener Neustadt, Eugen Hug, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Während die herkömmliche Strahlentherapie auf Gamma-, Röntgen- oder Elektronenstrahlen basiert, sind es in Österreichs einzigartiger Anlage Protonen und Kohlenstoffionen, die künftig auf ausgewählte Krebspatienten treffen sollen. Als Ausgangsbasis für die Protonenstrahlung dient Wasserstoffgas - für die Kohlenstoffionen ein CO2-Gemisch -, das mit zwei Drittel Lichtgeschwindigkeit durch einen Teilchenbeschleuniger flitzt, um im Behandlungsraum als gebündelter Strahl auf den Tumor zu zielen. Die Besonderheit liegt in einer besonders hohen Dosiskonzentration in den Krebszellen selbst. Bei den Protonen kann die Energie nämlich derart bestimmt werden, "dass diese Strahlung in den Körper eindringt, bis zum Tumor geht und dort praktisch explosionsartig alle Energie abgibt", schildert Hug die Bragg Peak genannte Energieentladung. Unmittelbar nach diesem Vorgang fällt die Strahlung an Ort und Stelle auf null ab. Das hinter dem Tumor liegende Gewebe bekommt somit keine Strahlendosis mehr ab und bleibt geschont. Im Vergleich dazu geht die Röntgenstrahlung durch den Körper hindurch und verursacht damit Schäden vor, im und nach dem Tumorherd.
Die in einigen Ländern bereits lange etablierte Therapiemethode verspricht nicht nur weniger Nebenwirkungen, sondern auch bessere Heilungschancen bei bestimmten Tumorarten, schildert der seit mehr als 20 Jahren in der Partikeltherapie tätige Wissenschafter. Der Fokus liege bei Krebsarten, die mit herkömmlichen Methoden nur schwer behandelbar sind. So etwa aggressive Tumoren an der Schädelbasis oder entlang des Rückenmarks. Auch Kinder würden von der Therapie besonders profitieren, so Hug. In den USA sei das Indikationsspektrum bereits bis hin zu Pankreas-, Lungen-, Brust- oder Prostatakrebs hin ausgeweitet worden.
Ein zusätzliches Werkzeugfür die Radioonkologie
In Medaustron sollen jene Patienten ausgewählt werden, die "den größten Vorteil von der Therapie davontragen". Im Vollbetrieb können 1000 Patienten pro Jahr behandelt werden. Als Konkurrenz für die herkömmliche Radioonkologie sieht sich Hug nicht. "Wir sehen uns als komplementär, also ergänzend, und wollen den Kollegen von der Radioonkologie ein zusätzliches Werkzeug in die Hand geben. Wir sind evolutionär ein weiterer Schritt."
Schon innerhalb der Strahlentherapie gibt es mittlerweile weiterentwickelte Subspezialisationen wie das sogenannte Gamma-Knife oder die Brachytherapie, bei der etwa kleine radioaktive Kapseln direkt im Tumor platziert werden. Die Wirkung der Strahlenquelle reduziert sich damit auf ein abgegrenztes Areal.
Welche Therapie bei einem Krebspatienten zum Einsatz kommt, wird in den Spitälern individuell in interdisziplinär besetzten Tumorboards besprochen. Sobald Medaustron in Betrieb ist, wird die Partikeltherapie in diesen Expertensitzungen als zusätzliche Option für die Patienten aufgenommen, sagt auch Karin Dieckmann, Leiterin der Uniklinik für Strahlentherapie, zur "Wiener Zeitung". "Wir werden sicherlich im Tumorboard die unterschiedlichen Optionen abwägen und dann den richtigen Patienten hoffentlich auch zu Medaustron schicken." Wobei Kinder mit soliden Tumoren bei der Partikeltherapie "eine große Rolle spielen werden, weil man gesundes Gewebe schonen kann", betont die Strahlentherapeutin. Voraussetzung sei immer die richtige Indikation. "Medaustron wird in der heimischen Onkologielandschaft seinen Platz haben. Im Sinne der Patienten sollen Kooperationen stattfinden", um individuell die optimale Therapieform auswählen zu können.
Derzeit muss das von Bund, Land Niederösterreich und Wiener Neustadt getragene Medaustron, um eröffnen zu können, noch einen EU-Zertifizierungsprozess absolvieren. Parallel dazu finden in der Anlage noch Feintunings statt, um die Geräte perfekt auf den ersten Patienten vorzubereiten. Ob die Therapie von den Krankenkassen künftig übernommen wird, wird derzeit noch ausverhandelt. Hug sieht einer Einigung noch vor Eröffnung positiv entgegen. "Wir werden bestimmt mit Patienten beginnen, bei denen die Indikation für die Partikeltherapie unumstritten ist und gehen davon aus, dass selbst wenn ein Kassenvertrag noch nicht unterschriftsreif ist, dies dem Patienten ermöglicht wird."