In Polen ringen die beiden größten Parteien um die Regierungsmacht. Zwei Wochen vor der Parlamentswahl spielen Ängste in den Kampagnen eine wesentliche Rolle.
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Warschau. Die Wachleute waren nicht zum Schutz da. Als sich hunderte uniformierte Polizisten, Gefängnisaufseher, Feuerwehrmänner vor dem Parlamentsgebäude in Warschau versammelten, ging es ihnen nicht um die Sicherheit der darin tagenden Abgeordneten. Vielmehr forderten sie bessere Arbeitsbedingungen und höheren Lohn - und verliehen diesen Wünschen mit Sirenengeheul und Trompetenstößen Ausdruckskraft. Pfiffe kamen hinzu, als eine Abordnung vom Treffen mit der Sejm-Marschallin berichtete. Sie werde die Petition sogar lesen, habe Parlamentspräsidentin Malgorzata Kidawa-Blonska gesagt. Doch in dieser Legislaturperiode gebe es sowieso keine Chance auf Verbesserungen mehr.
Es war die letzte Sitzung der Volksvertretung in ihrer aktuellen Form; am Sonntag in zwei Wochen wählen die Polen ein neues Parlament. Ob die regierende Bürgerplattform (PO), der Kidawa-Blonska angehört, danach wieder ein Kabinett rund um Premierministerin Ewa Kopacz bilden wird, ist dabei mehr als ungewiss. Denn nicht nur demonstrierende Polizisten und Feuerwehrmänner werfen der Koalition aus PO und der Bauernpartei PSL vor, Versprechen nicht eingehalten zu haben. Auch zahlreiche andere Berufsgruppen, von Krankenschwestern über Bergarbeiter bis hin zu Tierärzten, protestierten schon gegen Gehälter, die gerade einmal das Überleben sichern. Nicht viel mehr als 400 Euro brutto beträgt das polnische Mindesteinkommen.
Zu wenig, finden sowohl linke Gruppierungen als auch die größte Oppositionspartei, Recht und Gerechtigkeit (PiS). Die national-konservative Fraktion von Jaroslaw Kaczynski bereitet sich schon darauf vor, die Macht im Staat zu übernehmen. Ihr Vertreter Andrzej Duda hat erst im Mai die Präsidentenwahl gewonnen, nun strebt PiS den Sieg auch beim nächsten Urnengang an.
Laut Meinungsumfragen scheint der Erfolg so gut wie gesichert. Zwar waren die Prognosen in Polen schon mehrmals falsch, zuletzt im Mai, als der damalige Amtsinhaber Bronislaw Komorowski bis zum Tag des Votums als Favorit galt. Doch weisen nun konstant etliche Schätzungen auf einen deutlichen Vorsprung von PiS hin. Mehr als zehn Prozentpunkte hinkt die Bürgerplattform hinterher, der etwas mehr als ein Viertel der Wähler ihre Stimme geben würden.
Das unbekannte Fremde
Die ebenfalls konservative, aber weltanschaulich und wirtschaftlich liberalere Regierungspartei konzentriert sich daher auf den Zweikampf mit Kaczynskis Gruppierung. Im jüngsten Wahlkampf-Spot stellt sie denn auch zwei Visionen von Polen gegenüber. Die helle Version, repräsentiert von der PO, ist reformorientiert und offen, der Fokus liegt auf dem Ausbau der Infrastruktur und von Bildungseinrichtungen, der Erhöhung des Lebensstandards. Die dunkle Seite aber ist rückwärtsgewandt, nationalistisch, feindlich eingestellt gegenüber Neuerungen und Andersdenkenden. Die Polen werden die Wahl zwischen diesen zwei Entwicklungen haben, erklärte Marcin Kierwinski, Kabinettschef von Ministerpräsidentin Kopacz, bei einer Pressekonferenz.
Für Stanislaw Karczewski ist diese Polarisierung nichts Neues. Der Vizevorsitzende des Senats, der zweiten Kammer des Parlaments, ist Wahlkampfleiter der oppositionellen PiS. "Ängste vor PiS zu schüren, war und ist ein ständiges Element in der Kampagne der PO", sagt er der "Wiener Zeitung". Seiner Fraktion gehe es aber darum, sich für eine Verbesserung der Lebensumstände der Polen einzusetzen.
Ängste spielen jedoch auch im PiS-Wahlkampf eine Rolle. Sie sind nämlich wesentlicher Teil einer Debatte, die europaweit geführt wird und ihren Platz nun auch in der polnischen Innenpolitik hat: Flüchtlinge. Deren Aufnahme widersetzt sich Kaczynskis Gruppierung; Warnungen vor Terroristen, vor Gefahren für die Religion und Kultur drängten Premier Kopacz dazu, ihre Landsleute zu beruhigen, dass sie in einem sicheren Land leben und sich nicht zu fürchten brauchen. Doch auch wenn die Regierung in Warschau sich weiterhin gegen die Fixierung eines Schlüssels zur Verteilung von Asylwerbern in der EU ausspricht, hat sie sich bereit erklärt, mehrere tausende Schutzsuchende aufzunehmen. Darauf, ob sie diese Entscheidung wieder zurücknehmen möchten, falls sie die PO ablösen, wollen sich PiS-Politiker nicht festlegen lassen.
Die Sorgen in der Bevölkerung seien aber real, betont Aleksander Smolar, Vorsitzender der Stefan Batory-Stiftung in Warschau. "Die Länder Osteuropas haben keine koloniale Vergangenheit, sie kannten das Andere nicht", meint der Politologe. In Polen hätte es zwar Juden gegeben, doch seien sie ebenfalls als Einheimische betrachtet worden. Auch Ukrainer oder Weißrussen gaben keinen Grund zur Angst. Doch die Fremdheit des in Polen unbekannten Islam sorge für Unbehagen in der Gesellschaft, die nach dem Zweiten Weltkrieg, nach den Ermordungen und Vertreibungen, zu einer neuen Homogenität gezwungen war. Das Fremde löse in ihnen Angst aus - was menschlich sei. "Die Überwindung dessen ist ein langer Prozess, überhaupt wenn populistische Politiker die Befürchtungen noch schüren", erklärt Smolar.