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Imagepflege für die Justiz

Von Matthias G. Bernold

Wirtschaft

Seit drei Jahren gibt es in Österreich die Diversion: Statt Gerichtsverfahren und Strafe wird die Anzeige unter bestimmten Bedingungen zurückgelegt. Rund 40.000 Verfahren werden Jahr für Jahr auf diese Weise abgewickelt - ebenso viele Fälle wie im traditionellen Gerichtsverfahren entschieden werden. Jetzt prüft eine Expertenrunde, wie die Diversion weiterentwickelt bzw. besser vermarktet werden kann.


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Es begann als harmloser Streit, wie er sich in österreichischen Autos tagtäglich ereignet. Vielleicht wollte er nicht nach dem Weg fragen und sie fand den Weg nicht im Stadtplan. Vielleicht war er für ihr Empfinden zu schnell unterwegs oder es ging überhaupt um irgendetwas anderes. Jedenfalls gerieten sich Herr Radek und Frau Karlikova in die Haare. Anfänglich nur verbal - irgendwann kippte die Situation: Der Mann schlug seiner (von ihm schwangeren) Lebensgefährtin mit der Rückseite der Faust die vier Schneidezähne des Unterkiefers aus.

Was als schwere Körperverletzung normaler Weise ein Fall für den Strafrichter ist, konnte mit Hilfe der Diversion, genauer mit Hilfe des Außergerichtlichen Tatausgleichs (ATA), anders gelöst werden. Mit Vorteilen für beide: Ohne langwieriges Strafverfahren kam Frau Karlikova an Schmerzengeld und Kostenersatz für die Zahnreparatur. Herr Radek verpflichtete sich zu einer monatlichen Teilzahlung, entschuldigte sich und ersparte sich die Vorstrafe. Sozialarbeiter Bernhard Höhnisch, der den Fall betreute, erklärt: "Im Regelfall kommen die Opfer in einem Strafverfahren ja nicht an ihr Geld. Schäden müssen erst langwierig im Zivilverfahren erstritten werden - doch auch ein Gerichtsurteil ist keine Garantie dafür, dass das Opfer an sein Geld kommt."

Struzl und Lombard

Was Höhnisch lobt ist die Urform der Diversion: Der ATA als Idealtypus der sozial-konstruktiven Maßnahme. Neben dem ATA können von der Behörde seit dem Jahr 2000 eine gemeinnützige Leistung, Probezeit oder Geldbuße verhängt werden. Letztere gilt zwar nicht als sozial konstruktiv, ist aber unkompliziert zu handhaben und bringt dem Staat Einnahmen - sie ist es auch, die das Gros der Diversionen ausmacht: Im Jahr 2003 entfielen von insgesamt rund 52.000 Diversionsanboten mehr als 27.000 auf die Geldbußen. Hauptanwendungsgebiete sind Ladendiebstähle sowie Verkehrsdelikte.

Freilich sind die Geldbußen nach geltender Rechtslage aber auch auf andere Deliktsformen anwendbar. Auf Wirtschaftsdelikte zum Beispiel. Und genau dies sorgte vergangenen Sommer für Aufregung, als Wirtschaftskapitäne in den Causae Struzl und Lombard mit Geldbußen davon kamen. Kurze Zeit später erhielt dann ein rumänischer Bub, der wegen gewerbsmäßigen Ladendiebstahls in U-Haft genommen und dort vergewaltigt worden war, kein Diversionsanbot. Diese gegensätzlichen Fälle nahm Justizminister Dieter Böhmdorfer zum Anlass, die Stimmigkeit strafrechtlicher Reaktionen zu überprüfen. Eine Expertenkommission unter Vorsitz von VfGH-Vizepräsidentin Brigitte Bierlein wurde eingesetzt - bis Ende Februar soll der Abschlussbericht vorliegen.

Erfolgsgeschichte

Keinen Zweifel lassen die Experten daran, dass die Geschichte der Diversion prinzipiell eine Erfolgsgeschichte ist. Auch wenn den genannten Fällen eine merkwürdige Optik innegewohnt habe. "Das sind aber absolute Ausreißer", die mit der Mehrzahl der Fälle nichts gemein hätten, betont Roland Miklau, Strafrechts-Legist im Justizministerium. Verbesserungswürdig sei allerdings die Öffentlichkeitsarbeit: "Die Erstellung einer Jahresbilanz wäre ebenso wichtig wie das offensive Herangehen an die Öffentlichkeit bei glamourösen Fällen."

Mehr Öffentlichkeit wünscht sich auch Strafrechtsprofessor Helmut Fuchs, der kritisiert, dass sich die Diversion im nicht-öffentlichen Vorverfahren, ohne Begründung und Rechtsmittel abspielt. Für News-Herausgeber Alfred Worm, der ebenfalls im Expertengremium sitzt, hat die Diversion bei allen Vorteilen den Charakter eines "privaten Pakts" zwischen Staatsanwalt und Beschuldigtem. Eine professionelle Medienarbeit sei unabdingbar: "Es muss auch möglich sein, gewisse Fälle ins Internet zu stellen".

Opferinteressen schützen

Was einigen Experten sauer aufstößt, ist der geringe Anteil an sozialkonstruktiven Maßnahmen an den Gesamtzahlen. "Es wird viel zu wenig darauf Bedacht genommen, dass das Verbrechensopfer zu seinem Schadenersatz kommt", bemängelt etwa Elisabeth Rech, die Strafrechtsreferentin der Rechtsanwaltskammer. Auch die Sozialarbeiter wünschen sich mehr ATA und gemeinnützige Leistungen - dies helfe die Rückfallsquoten zu senken. Staatsanwalt Walter Geyer wiederum betont, dass sozialkonstruktive Maßnahmen nicht allen Fallkonstellationen gerecht würden. "In 70 Prozent der Fälle gibt es keinen Schaden, bzw. der Schaden wird durch Versicherungsleistungen abgedeckt."

Einig sind sich die Fachleute beim Ruf nach einer verbesserten Dokumentation. Die Erstellung einer deliktsspezifischen Statistik sei anzustreben. "Drei Jahre sind eigentlich ein zu kurzer Zeitraum, um tiefgreifende Modifikationen vorzunehmen", findet Vorsitzende Bierlein, die sich dafür einsetzt, keine Deliktsart von vornherein von der Diversion auszuschließen.

Rechtsquelle und Statistik

Die Diversion ist in den §§ 90a ff der Strafprozessordnung geregelt. Vier sehr unterschiedliche Instrumente sind unter dem Begriff Diversion zusammengefasst: Geldbuße, gemeinnützige Leistung, Probezeit sowie außergerichtlicher Tatausgleich (ATA). Allen Instrumenten ist gemein, dass von der Verfolgung der strafbaren Handlung zurückgetreten wird, wenn der Beschuldigte das Diversionsanbot annimmt. Anwendungs-Voraussetzungen sind, dass der Sachverhalt hinreichend geklärt ist, dass die Tat nicht in die Zuständigkeit eines Schöffen- oder Geschworenengerichtes fällt, dass die Schuld des Verdächtigen nicht als schwer anzusehen ist und dass die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge hatte. Im Jahr 2003 wurden 51.926 Diversionsanbote gestellt, erfolgreich abgeschlossen wurden davon 42.357 Fälle. Ein Jahr davor waren es noch 53.860 Anbote und 44.312 erfolgreiche Abschlüsse gewesen. Das Gros der Anbote (27.435) entfiel im Jahr 2003 auf die Geldbußen, in 12.623 Fällen schlug der Staatsanwalt (oder seltener: der Richter) eine Probezeit mit oder ohne Auflagen vor. Der ATA, wo Täter und Opfer zusammen kommen, um gemeinsam die negativen Folgen der Straftat aus der Welt zu schaffen, wurde 2003 8.276 mal angeregt. Bevor die Diversion im Jahr 2000 ihren Weg ins allgemeine Strafrecht fand, wurde sie in Pilotprojekten und im Jugendstrafrecht erprobt. Die Zahl der Fälle, die diversionell abgewickelt werden, entspricht ungefähr der, die mit Gerichtsurteil enden.

Meinungen zur Zukunft der Diversion

Andreas Zembaty, Sozialarbeiter: "Dass es 40.000 Diversionsfälle jährlich gibt, ist ein großer Erfolg. Kritisch ist zu sehen, dass die Geldbußen die sozial konstruktiven Maßnahmen bei weitem übersteigen. Da ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten." Foto: privat

Helmut Fuchs, Strafrechtler: "Die bisherige Zeit, in der es die Diversion gibt, lässt sicher kein Resumee zu, das zu radikalen Änderungen führen könnte. Kritisch sehe ich, dass die Diversion als Instrument der Vereinfachung gesehen wird, was sicher nicht dem Ur-Gedanken entspricht. Ich würde mir detailliertere Statistiken wünschen, gegliedert nach Deliktsarten."

Roland Miklau, Strafrechts-Legist: "Die Diversion bringt allen etwas: Opfern, Justiz und den Verdächtigen. Grundsätzlich ist die gesetzliche Regelung in Ordnung. Nachholbedarf besteht bei der Öffentlichkeitsarbeit - gerade, was den Umgang mit glamourösen Fällen betrifft. " Foto: mgb

Walter Geyer, Staatsanwalt: "Ich halte die Anwendung der Diversion für sachgerecht. Bei Massendelikten (Ladendiebstählen, Autoverkehr) brauchen wir eine Massenantwort: die Geldbuße. Bei anderen Delikten bewähren sich sozial konstruktive Maßnahmen."