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Imagepolitur auf Persisch

Von Arian Faal

Politik

Präsident Rohani und sein politischer Ziehvater Rafsanjani werben weiter um die Gunst des Westens.


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Präsident Rohani geht offen auf den Westen zu . . .

Teheran/Wien. Rund 150 Tage sind es nun bereits, dass der siebente iranische Präsident Hassan Rohani im Dienst ist. Seit seinem Amtsantritt hat sich eine Menge geändert in der Islamischen Republik. Unter dem Motto "Kooperation statt Konfrontation" wirbt die Führung um die Gunst des Westens. Erste Erfolge zeichnen sich ab: Der Iran wird aufgrund seiner groß angelegten Charmeoffensive, der massiven Einschränkung von Hasstiraden gegen Israel sowie einer dem Westen entgegenkommenderen Atompolitik international nicht mehr so geächtet wie noch unter Rohanis umstrittenem Vorgänger Mahmoud Ahmadinejad. Den Juden gratulierte der Präsident als Kontra-Geste zu Ahmadinejad sogar zu ihrem Neujahr per Twitter. Dieses Medium ist im Iran offiziell noch verboten, aber wer weiß, wie lange noch. Israels Staatschef Shimon Peres erwiderte die ausgestreckte Hand Rohanis mit dem Angebot eines Treffens, was der Iran strikt ablehnt. Israel und die "Zionisten" bleiben ein "rotes Tuch".

Anders schätzt die Lage der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu ein. Er bezeichnete Rohani als "Wolf im Schafspelz" und fordert eine harte Linie des Westens gegenüber Teheran. Dennoch: Alles in allem weht ein neuer Wind im Iran. 50 Delegationen und vier westliche Außenminister (darunter der italienische und der türkische), die die iranische Führung in den vergangenen Wochen in Teheran begrüßen konnte, sind der beste Beweis dafür. Sie alle überhäuften Rohani mit Lob für seinen Kurswechsel. In den kommenden Wochen werden dutzende weitere folgen. Auch Österreich will dem Iran 2014 auf höherer politischer und wirtschaftlicher Ebene die Ehre erweisen. Bundespräsident Heinz Fischer etwa meinte gegenüber der "Wiener Zeitung", dass das Vertrauen in den Iran seit dem Amtsantritt Rohanis gewachsen sei. Daher müsse und solle man ihm zuhören.

Die Frage, die sich viele Kritiker allerdings stellen, ist, ob Rohanis schönen Worten und einigen Ansätzen für einen Kurswechsel auch tatsächlich substanzielle Veränderungen folgen. Was ist mit dem "stillgelegten" Verhältnis zu London und Washington? Werden die Rufe "Marg bar Ingilis!" (Tod England!) und "Marg bar Amerika!" (Tod Amerika) bei den Freitagsgebeten bald der Vergangenheit angehören? Wird Rohani es schaffen, dass die britische und die amerikanische Botschaft 2014 wieder ihre Pforten in der iranischen Hauptstadt öffnen? Was unternimmt die Führung gegen die galoppierende Arbeitslosigkeit und Inflation?

Neue Zeiten brechen an

Wenn man in diesen Tagen einige iranische Medien liest, hat man überwiegend den Eindruck, dass der Kurswechsel des gemäßigten und pragmatischen Präsidenten in naher Zukunft noch mehr Früchte tragen wird. "Neue Zeiten brechen für die Islamische Republik an", "Bald werden die westlichen Sanktionen wieder aufgehoben", "Freut euch, Freiheit liegt in der iranischen Luft", "Rohani macht uns stolz auf dem internationalen Parkett" oder "Hoffentlich lässt man unseren Präsidenten Rohani arbeiten" ist in einigen reformorientierten und gemäßigten Blättern, die seit der Wahl des 65-jährigen Klerikers einen regen Zuspruch erleben, zu lesen.

Innenpolitisch interessiert die Perser neben dem Wunsch nach einem Wirtschaftsaufschwung besonders die von Rohani propagierte Lockerung der alltäglichen Zensur, die unter dem Deckmantel des Islam am liebsten so ziemlich alles verbieten will, was westlich ist.

"Was bisher passiert ist, ist nur ein kleiner Anfang. Schon sehr bald müssen wir die Türen zu Freiheit, zu den Rechten der Bürger und zu einem Alltag ohne Angst und Traurigkeit noch mehr öffnen. Das Volk muss wieder Vertrauen in die Politik gewinnen", stellte Rohanis politischer Ziehvater Ayatollah Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani klar. Rafsanjani ist aber Realist genug, um zu wissen, dass im Iran nichts von heute auf morgen geht. Er warnt immer wieder vor den Hardlinern und ihrem Einfluss auf den politischen und gesellschaftlichen Alltag. Er weiß auch, dass die Zahl der Hinrichtungen im schiitischen Golfstaat seit Juni stark zugenommen hat, und dass nach wie vor täglich hunderte Frauen von der Sittenbehörde verschleppt werden.

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Dennoch lassen Rohani und Rafsanjani nicht locker und fangen bei der Außenpolitik an: "Die Normalisierung der Beziehungen zum Westen und zu den arabischen Staaten hat oberste Priorität für uns", meinten sie unlängst gegenüber Journalisten. Um Europa kümmert sich Rohani selbst, beim regionalen Hauptrivalen Saudi-Arabien schickt er Rafsanjani, der ein enger Freund von König Abdullah ist, vor. 300 außenpolitische Termine haben Rohani und sein Außenminister Mohammad Javad Zarif in den vergangenen 150 Tagen bereits absolviert. Das Arbeitspensum für die kommenden sechs Monate ist ebenfalls intensiv. Eigene Spezialisten im Außenministerium sollen die Annäherung an die arabischen Golfstaaten und an Europa rasch vorantreiben. Außenpolitisch ist ein starker Wille und ein roter Faden hinter all den Taten Rohanis zu erkennen. Und was sind die innenpolitischen Ziele? Ein freier Zugang zu sozialen Netzwerken, ausländischen Medien und zum Internet, Pressefreiheit und Medienvielfalt im Iran, eine weitere Welle von Freilassungen politischer Gefangener und das Ende der Beschränkungen der Bürgerrechte durch die Revolutionsgarden (Pasdaran) und paramilitärischen Bassij-Milizen.

Segen von ganz oben

Das letzte Wort bei all den angesprochenen Themenfeldern hat im Iran der Oberste Geistliche Führer Ayatollah Seyed Ali Khamenei. Er bestimmt die Außen-, Sicherheits- und Atompolitik. Dass der Iran nun bereit ist, sein Atomprogramm herunterzufahren und seine Urananreicherung auf fünf Prozent zu beschränken, konnte der iranische Außenminister und Atomchefunterhändler Mohammad Javad Zarif dem Westen nur anbieten, weil Khamenei seinen Segen dazu erteilt hat. So soll die Lockerung der für den Iran so schmerzlichen Wirtschaftssanktionen erreicht werden. So selbstverständlich ist diese Vorgangsweise des 74-jährigen Khamenei nicht, wenn man bedenkt, dass er sich in den vergangenen acht Jahren fast immer auf die Seite der Revolutionsgarden, Hardliner und Ultrakonservativen rund um Ahmadinejad gestellt hat. Deren roter Faden war eine "No fear"-Politik, die den Iran an den Rand eines Wirtschaftskollapses und ins politische Abseits manövriert hat. Was die Zensur anbelangt, wurde das Wort "restriktiv" zum Credo. Das soll sich nun ändern. Dieser Schwenk Khameneis ist vor allem dem zweitmächtigsten Mann des Landes, Rafsanjani, zu verdanken. Er hatte die Freilassung von 100 politischen Gefangenen und die Lockerung der Zensur bei Khamenei erwirkt. Weitere Freilassungen sollen in den kommenden Wochen folgen.

"Schon seit jeher ist es ein Problem, wenn Staatsmänner sich die Latte sehr hoch ansetzen und dann natürlich unmöglich halten können, was sie alles versprochen haben. Bei Rohani, der vor seiner Wahl im Juni zugesichert hatte, die verriegelten Schlösser zu den Toren der Freiheit mit einer Bürgerrechtscharta zu öffnen, den Atomstreit binnen weniger Monate endgültig zu lösen, die Wirtschaftskrise zu beenden und sein Land aus der internationalen Isolation zu führen, ist der Rucksack an Aufgaben ebenfalls schwer", erklärt ein Politikwissenschafter im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Doch habe dieser einige Trümpfe in der Hand, die ihm diese schwierige Last erleichtern dürften, so der Experte weiter. Zum einen wäre da die Rückendeckung von Rafsanjani und Khamenei und zum anderen die iranische Bevölkerung. Einige Hardliner würden sich daher wundern, was die Regierung noch bewerkstelligen werde, ergänzt er. Für die kommenden Wochen gibt es jedenfalls eine große Aufgabenliste: Die Freilassung der beiden Oppositionsführer, Mir Hossein Moussavi und Mehdi Karroubi, die sich unter Hausarrest befinden, und die Bürgerrechtscharta, die den Alltag der Perser erleichtern soll, stehen dort ganz oben.

Kritischer sehen all diese Dinge erwartungsgemäß die iranischen Hardliner und die konservativen Medien. Der Kurswechsels des von der Bevölkerung als "Scheich der Hoffnung" bezeichneten Rohani sei "lächerlich". Es ist eine Gratwanderung für den Präsidenten, denn die Hardliner warten nur darauf, dass er einen Fehler macht. Dann werden sie sämtliche Brücken, die er mühevoll aufgebaut hat, mit einem Schlag zerstören. Solange er aber außenpolitische Erfolge - etwa die jüngste Zwischen-Lösung im Atomstreit - heimbringt und damit die Wirtschaft wieder aufatmen kann, wird ihn Ayatollah Khamenei unterstützen.