Ein Buch nimmt den Alltag der Imame in Mitteleuropa unter die Lupe. | Um Perspektiven des Islams in Europa geht es auch bei der Imamekonferenz. | Wien. Wie wird sich eine wachsende Zahl an Musilmen in Europas Gesellschaft eingliedern? Etliche Islam-Bücher zum Thema überfluten den Buchmarkt, doch nur wenige sind so realitätsnah wie der eben erschienene Band "Die Prediger des Islam" von Rauf Ceylan. Der an der Uni Osnabrück lehrende Religionswissenschaftler trat in jahrelanger Arbeit mit mehr als 250 in Deutschland wirkenden Imamen ins Gespräch, die er teils ausführlich und anonymisiert interviewte.
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Anschaulich ist der Einblick, den er in die deutsche Islam-Szene liefert, die sich in vielem auch auf Österreich übertragen lässt: In beiden Ländern prägt die aus türkischen Gastarbeitern entstandene Community die Moscheenlandschaft. Auch die Gebetshäuser leiten die gleichen türkischen Islam-Verbände.
Etwa 75 Prozent der Imame schätzt Ceylan als "traditionell-konservativ" ein. Gehorsam, Gottesfurcht und Patriotismus seien ihre Werte. Einige sind extra aus der Türkei eingereist, etwa Imame des größten Dachverbands Ditib (das österreichische Äquivalent ist Atib), die Angestellte des türkischen Staats sind. Manche erleiden einen Kulturschock: "In Deutschland ist nicht nur das Wetter kalt, sondern auch das soziale Klima", meint ein Imam. "Jeder lebt für sich allein."
Die fehlende Vertrautheit mit der hiesigen Gesellschaft erschwert auch den Umgang mit der eigenen Gemeinde: "Die Türken in Deutschland sind eingebildet, sehr verwöhnt." Hinzu kommt, dass der türkische Erziehungsstil keinen Anklang findet: "Das größte Problem, womit ich hier kämpfen muss, sind Autoritätsprobleme der Kinder", jammert ein Imam. "Sie erkennen mich nicht als Autorität an, ihr Verhalten gegenüber mir ist unverschämt. Die Schüler in der Türkei wissen, was Respekt bedeutet." Und dann gibt es noch die Sprache: "Leider beherrschen die jungen Leute weder das Türkische noch das Deutsche hundertprozentig. Nach meiner dritten Predigt bin ich mit dem Sprachniveau so weit runtergegangen, als würde ich vor Grundschulkindern sprechen."
Soziale Funktion
In der Türkei wird das gesamte Treiben in den Moscheen vom Staat geregelt. Anders in Deutschland und Österreich, wo schon in den 70er Jahren - vor Ditib - islamische Gruppierungen aktiv wurden, die in der Türkei in Opposition zum Staat stehen. Ihre Imame bilden sie entweder selbst aus, einige kommen ebenfalls aus dem Ausland. Bei ihnen steht das Einkommen des Imams auf wackligeren Beinen: "Die Personen in den Vorständen schätzen nicht den Wert des Imam", berichtet einer. "Wir werden unterbezahlt." Etliche Moscheen übernehmen heute auch soziale Funktionen. "Die Moscheen in der Türkei sind nur zum Gebet da, in Deutschland gibt es viel mehr Möglichkeiten", meint ein weiterer Imam.
Manche Imame haben ein theologisches Studium absolviert, andere sind Autodidakten oder wurden in Bildungszentren ausgebildet. Einige seien auch progressiv, daneben gibt es auch Dschihadisten. Kurzfristig hält Rauf Ceylan Weiterbildungskurse für sinnvoll, mittelfristig seien eigene Lehrstühle erforderlich.
Um Perspektiven des Islams in Europa geht es auch bei der Dritten Konferenz europäischer Imame und Seelsorgerinnen, die am Wochenende von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich organisiert wird. In- und ausländische Referenten befassen sich dort damit, wie sich Muslime "als lebendiger Teil Europas" positiv in die Gesellschaft einbringen können.