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Wien beklagt geringere Lieferungen und adaptiert seinen Impfplan - vermutlich nicht zum letzten Mal.
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AstraZeneca ist der Problembär unter den Corona-Impfstoffen. Am Dienstag stoppte Deutschland die Impfung mit AstraZeneca von Personen unter 60 Jahren aufgrund von spezifischen, seltenen Nebenwirkungen (Sinusvenenthrombosen). In Österreich tagte das Nationale Impfgremium am Mittwochabend. Vorerst bleibt die Impfempfehlung für alle Personengruppen aufrecht. Das Impfgremium verwies in einer Stellungnahme auf laufende Evaluierungen bei der EU-Arzneimittelbehörde EMA.
Das größte Problem dieses Impfstoffes bleibt derzeit aber, dass es zu wenig von ihm gibt. Zwar hat Österreich sechs Millionen Dosen bestellt und wie die meisten EU-Länder das volle Kontingent in Anspruch genommen, doch die geplanten Lieferungen wurden vom britisch-schwedischen Konzern mehrmals nach unten korrigiert. Zwischen der EU und dem Unternehmen tobt seit Wochen ein Streit. Auf die Impfpläne in Österreich hat dies nun Auswirkungen.
Die Stadt Wien adaptierte am Mittwoch ihr vor Monaten ausgegebenes Ziel, bis Ende Juni 70 Prozent der Bevölkerung zumindest die erste Impfung anbieten zu können. "Es sieht im Augenblick nach 60 Prozent aus", sagt Stadtrat Peter Hacker (SPÖ). "Es ist weniger als erwartet."
Für April sind nur 87.000 Impfdosen von AstraZeneca für Wien angekündigt, weniger als im März. Und auch in den restlichen Monaten des zweiten Quartals steigt die Menge nur auf 106.000 Impfungen. Doch gerade im Mai müssen auch viele Zweitstiche gesetzt werden.
Ein Blick auf die Demografie Wiens zeigt aber, dass selbst eine Entscheidung wie in Deutschland keine unmittelbaren Folgen haben müsste. In Wien leben 418.201 Personen über 60 Jahren, nicht einmal 100.000 von ihnen haben bisher zumindest die erste Impfung erhalten. Also selbst eine Restriktion, den Impfstoff nur mehr älteren Personen zu verabreichen, die nach derzeitigem Wissenstand nicht von der seltenen Nebenwirkung betroffenen sind, müsste nicht dazu führen, dass Impfstoff liegen bleibt.
Hacker nannte den Impfstoff von Biontech/Pfizer den "stabilen Faktor", denn anders als bei AstraZeneca und bei Moderna kämen hier die Lieferungen verlässlich. Zwar hatte auch dieses Unternehmen, das als Erstes eine Zulassung in der EU erhielt, anfangs Produktions- und Lieferprobleme, doch diese dürften nachhaltig gelöst worden sein. Es gibt sogar Hoffnung, dass es im Sommer erneut vorgezogene Lieferungen gibt. Insgesamt hat Österreich elf Millionen Dosen dieses Herstellers bestellt, gemeinsam mit dem zweiten mRNA-Impfstofferzeuger Moderna könnte man damit die gesamte Bevölkerung impfen. Doch angesichts des problematischen Infektionsgeschehens ist die Impfaktion auch ein Wettlauf geworden. Es geht um das Wann.
Eine Meldung über eine Sinusvenenthrombose
Egal, wie sich das Thema AstraZeneca weiter behandelt wird, verkomplizieren die entdeckten Nebenwirkungen die Sache jedenfalls. Bei der Zulassung im Jänner waren ausgerechnet Ältere ausgenommen, da die Daten für diese Gruppe noch nicht ausreichend waren. Andere Personengruppen, etwa Lehrerinnen und Lehrer, wurden vorgezogen. Gibt es bald bei AstraZeneca wieder eine Altersbeschränkung, diesmal aber für Jüngere, vereinfacht das die Planungen der Länder nicht. Zumal gerade AstraZeneca ein Impfstoff ist, der auch bei Impfungen in Betrieben eingesetzt werden könnte, während die speziellen Lagerbedingungen bei Biontech/Pfizer dies erschweren.
In Österreich ist laut dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (Basg) bis 26. März ein Fall einer Sinusvenenthrombose gemeldet worden, wobei ein Zusammenhang mit der Impfung noch in Abklärung ist. Zu berücksichtigen ist aber, dass ein Nicht-Impfen auch ein Risiko darstellt, und zwar ein weit größeres, wie die Leiterin des Impfgremiums, Ursula Wiedermann-Schmidt, in der "ZiB2" sagte. Derzeit würden pro Woche vier bis sechs Personen an Covid-19 unter 60 Jahren sterben, sie plädiert daher für ein Weiterimpfen.
Eine allgemeine Risiko-Nutzen-Rechnung spricht also auch bei dieser Personengruppe und trotz der Nebenwirkungen für eine Impfung. Das individuelle Risiko-Nutzen-Verhältnis kann davon aber abweichen. Bei einer jungen Frau, die weder durch die Arbeit, durch etwaige Kinder, noch durch ihr Verhalten exponiert ist, könnte bei der Gegenüberstellung von Risiko und Nutzen zu einem anderen Ergebnis gelangen.
Fragen werden sich jedenfalls ergeben. Was tun, wenn bereits mit AstraZeneca Geimpfte die zweite Dosis verweigern? Oder die Anzahl jener deutlich zunimmt, die AstraZeneca ablehnen? Und, sollte die Abgabe von AstraZeneca eingeschränkt werden, wie geht man bei jenen vor, die das geringe Risiko der Nebenwirkung einzugehen bereit sind? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte nach der Entscheidung in Deutschland, dass all jene, "die sich trauen", die Möglichkeit zu einer Impfung mit AstraZeneca bekommen sollten. Die Verantwortung über diese Entscheidung würde damit individualisiert.
So oder so sind die jüngsten Entwicklungen ein Rückschlag für AstraZeneca und auch für die nationalen Impfpläne. Dabei hatten sich etliche der negativen Schlagzeilen zuletzt in Wohlgefallen aufgelöst. Die Wirksamkeit ist höher als gedacht, auch bei Älteren, und auch beim vermuteten geringeren Schutz gegen Virusvarianten ist längst nicht das letzte Wort gesprochen.
Auf längere Sicht scheint, auch aufgrund der häufigen, starken und unangenehmen, wenn auch ungefährlichen Impfreaktionen, der Impfstoff von AstraZeneca wenig Zukunft zu haben. Obwohl er grundsätzlich ein guter Impfstoff ist, wie viele Expertinnen und Experten auch betonen. Und weshalb mehr Impfstoff von AstraZeneca in der unmittelbaren Zukunft bitter nötig wäre.
Update: Das Nationale Impfgremium entschied, vorerst alle Altersgruppen mit AstraZeneca weiterzuimpfen.