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Immer mehr "Gastarbeiter" in österreichischen Chefetagen

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Bei vielen heimischen Unternehmen steht ein Ausländer an der Spitze.


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In Österreichs Wirtschaft sind zahlreiche Spitzenpositionen mit Ausländern besetzt. Austrian Airlines sind das beste Beispiel: Als sich die Fluglinie noch im Staatsbesitz befand, wurde sie bereits von einem ausländischen Topmanager geführt, dem Dänen Vagn Sorensen. Nach dem Intermezzo samt Rauswurf des glücklos agierenden Alfred Ötsch zog der Deutsche Alfred Bierwirth in den AUA-Vorstand ein. Seit das Unternehmen der Lufthansa gehört, ist sein Cockpit noch internationaler besetzt: Zunächst wurde der gebürtige Franzose Thierry Antinori als Vorstandsvorsitzender designiert, doch der gab der AUA drei Tage vor seinem Dienstantritt im vergangenen März einen Korb, um bei Emirates an Bord zu gehen. Am 1. November landete sodann der 56-jährige Jaan Albrecht, sowohl mexikanischer als auch deutscher Staatsbürger, in der Spitzenposition der Fliegerfirma.

Der langjährige Boss von Star Alliance, der von der AUA schon mehrmals hofiert wurde, profitiert als Chief Executive Officer von der Tatsache, dass ausländische Topmanager in Österreich enorm gefragt sind - und das hat irgendwie Tradition: Mitte der Achtzigerjahre wurde zum Beispiel der Deutsche Ludwig von Bogdandy als Vorstandsdirektor nach Linz geholt, um an der Seite des aus Oberschlesien stammenden Auslandsösterreichers Herbert C. Lewinsky den schwer angeschlagenen Stahlkonzern Voest-Alpine aus seinem Mega-Schlamassel zu ziehen.

Der aristokratisch auftretende Stahlprofessor, der sich vor keinem Konflikt gescheut hatte und überall angeeckt war, konnte im Alpenland allerdings kaum Fuß fassen. Als Fremdkörper entpuppte sich etwas später auch sein Landsmann Rüdiger vorm Walde: Dieser brachte es im Sommer 2001 zur allgemeinen Überraschung zum ÖBB-Boss, um vier Jahre später mangels Erfolg wieder geschasst zu werden.

Dennoch stand internationales Flair in Chefetagen bei den einschlägigen Headhuntern stets hoch im Kurs - selbst wenn es bloß um gebürtige Österreicher wie in grauer Vorzeit Franz Geist oder zuletzt Peter Michaelis (beide ÖIAG) ging, die in der Fremde bereits Karriere gemacht hatten. Topmanagern mit ausländischem Pass, die nach Österreich übersiedeln, standen und stehen ebenfalls zahlreiche Türen offen - vor allem bei staatsnahen Unternehmen: Der bosnische Kroate Boris Nemsic etwa, der seit 1984 in Wien gelebt hatte, war ab 2000 General der Mobilkom Austria und ab Mai 2006 oberster Chef der Telekom Austria, bei der übrigens auch der Italiener Stefano Colombo als langjähriger Financial Officer diente. Nach zwei Jahren erhielt Nemsic das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik, im März 2009 verabschiedete er sich nach Russland, wo es ihn allerdings auch nicht lange hielt.

Speziell bei rot-weiß-roten Tochterfirmen internationaler Konzerne sind ausländische Spitzenmanager zumeist in der Rolle des Aufpassers gefragt - damit nichts passiert: So etwa fungiert der Deutsche Frank Hensel, der seit 2002 Billa-Vorstand war, als Vorstandschef von Rewe International. Er teilt sich die Agenden mit dem gebürtigen Polen Janusz Kulik und dem Niederösterreicher Franz Nebel. Die italienische Generali-Gruppe wiederum verlässt sich in Wien auf auf Luciano Cirinà, der Numero Uno im Fünfer-Vorstand ist, und auch französische Autokonzerne setzen bevorzugt auf Landsleute: Guillaume de Vulpian, 50, steht seit Mitte 2010 an der Spitze der Renault Österreich GmbH und kann sich mit seinem Marketingdirektor Nicolas Carbonell auf Französisch unterhalten. Ein zweites Beispiel: Ab
1. Jänner 2012 wird Laurent Louis Pernet, seit zweieinhalb Jahren Boss von Peugeot Austria, in Wien Generaldirektor der Marken Peugeot und Citroen sein.

Multi-Kulti ist in

Doch nicht immer müssen es aus Prinzip Landsmänner sein: Bei der Bawag etwa sind der aus London stammende CEO Byron Haynes sowie der deutsche CFO Andreas Arndt und der von der Barclays Bank kommende COO Sanjay Sharma als Vertrauens-personen des Eigentümers Cerberus tätig. Alle drei waren zuvor schon in etlichen Ländern stationiert. Sie wurden vom Bawag-Aufsichtsrat auserkoren, weil ihr Curriculum Vitae offenbar spannender beziehungsweise ihre Qualifikationen besser zu sein schienen als die jener Österreicher, die zu haben gewesen wären. Im achtköpfigen Vorstand der UniCredit-Tochter Bank Austria wiederum sitzen neben Generaldirektor Willibald Cernko die drei Italiener Gianni Franco Papa, Massimiliano Fossati und Francesco Giordano sowie der Deutsche Rainer Hauser.

Bei Nestlé Österreich spielt seit kurzem nicht etwa ein Schweizer die erste Geige, sondern der gebürtige Holländer Roland Kers, der erst seit 2003 bei Nestlé werkt und zuletzt als Geschäftsführer UK und Irland eingesetzt war. Auch bei Ikea Austria hat eine Niederländerin das Sagen: Die gelernte Pädagogin Giny Boer löste - aus Italien kommend, wo sie stellvertretende Landeschefin war - die Schwedin Helen Duphorn ab und übersiedelte mit Mann, Zwillingen und Hund nach Österreich. Ein weiterer Holländer, Steven Siemer, gehört als Finanzvorstand dem Achter-Führungsgremium von Heineken Österreich an, das unter der Leitung von Langzeit-Bier-Manager Markus Liebl steht.

Deutsche haben Vorrang

Die Dosierung beim Ausländeranteil ist ziemlich unterschiedlich: Während etwa im Vorstand von Siemens Österreich derzeit mit CFO Reinhard Pinzer bloß ein Deutscher vier Einheimischen gegenüber sitzt, bauen andere Unternehmen auf einen multinationalen Mix.

Zum Beispiel der Kunststoff-Produzent Borealis, der der IPIC in Abu Dhabi und der OMV gehört: Sein CEO, der 49-jährige Mark Garrett, kommt aus Australien, der Chief Financial Officer Daniel Shook hat einen US-Pass, Gerd Löbbert, Executive Vice President für Polyolefins, wurde in Deutschland geboren, und der Vierte im Bunde, Markku Korvenranta, ist finnischer Staatsbürger. Das Quartett, das durch den Österreicher Herbert Willerth komplettiert wird, liegt altersmäßig in der Bandbreite von 44 bis 55 Jahren. Jeder Einzelne hat eine international beachtliche Karriere geschafft, alle gelten als ausgemachte Experten, und Deutsch muss in den Vorstandsmeetings ja nicht unbedingt sein.

Bei börsennotierten Unternehmen gilt es ebenfalls als echt chic, auf zumindest einen Ausländer in der Chef-Riege verweisen zu können: Bei Semperit hat kürzlich der 50-jährige Deutsche Thomas Fahnemann das Kommando übernommen. Er werkt seit acht Jahren in führenden Positionen in Österreich und hat bereits die Lenzing AG sowie RHI als CEO durch stürmische Zeiten geführt.

Nicht nur gebürtige Deutsche - ein gutes Beispiel ist auch Umdasch-Boss Andreas J. Ludwig - haben in Österreich ausgezeichnete Karrierechancen, sondern auch Spitzenleute anderer Nationalitäten - selbst wenn ihre deutschen Sprachkenntnisse nicht immer perfekt sind: Bei der Ziegelfirma Wienerberger etwa ist der gebürtige Belgier Willy Van Riet für Finanzen zuständig, der Tscheche Martin Skopek ist seit Juli 2010 Vorstandsmitglied der Erste Group und wird sich künftig in Rumänien um die Banca Comerciala kümmern, und bei der ÖBB-Tochter Rail Cargo hat der Niederländer Erik Regter heuer als Vertriebs- und Marketingvorstand die Aufgabe übernommen, das Unternehmen aus der Sackgasse zu manövrieren. Als Quereinsteiger von der Verbund International gekommen, war er beruflich bereits in der Slowakei, Tschechien, im Baltikum und in Frankreich tätig.

Nicht bloß die Genannten - oft so wie der aus der Schweiz importierte Produktionsvorstand des Kranherstellers Palfinger, Martin Zehnder, exzellente Branchenkenner -, sondern viele andere Top-Gastarbeiter setzen alles daran, sich möglichst rasch zu assimilieren, Kontakte zu knüpfen und die Mentalität zu begreifen: Robert Chvátal etwa, bereits seit fast fünf Jahren Vorsitzender der Geschäftsführung von T-Mobile, hat sich in Wien bestens eingelebt. Nach Matura und Studium an der Prague School of Economics hat der heute 43-jährige Tscheche eine Blitzkarriere geschafft, die in Österreich den Höhepunkt fand.

Manchmal klappt es allerdings nicht: Der in Paris geborene norwegische Staatsbürger Henning E. Jensen etwa, seit Anfang 2010 Finanzer beim Feuerfestkonzern RHI, wurde heuer dessen CEO, warf aber nach wenigen Monaten wieder das Handtuch. Er machte dem 69-jährigen Ex-Voest-Chef Franz Struzl Platz, der nach einem beträchtlichen Verschleiß an ausländischen Vorstandsmitgliedern für Ruhe sorgen soll.