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Immer mehr kriegsmüde Christen kehren Heiligem Land den Rücken

Von Matt Spetalnick

Politik

Der 39-jährige Katholik Ihab Musselem wird weit weg sein, wenn die Kirchenglocken die Gläubigen zur Weihnachtsmesse auf dem Platz vor der Geburtskirche in Bethlehem rufen. Musselem ist dann schon nach Europa ausgewandert - als einer von immer mehr palästinensischen Christen, die die lähmende Blockade Israels und den zunehmenden moslemischen Fundamentalismus nicht mehr aushalten.


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Schon heute stellen die früher mehrheitlich wohlhabenden Christen nur noch eine winzige Minderheit in den von Israel besetzten Palästinensergebieten. Viele von ihnen blicken mittlerweile düster in ihre Zukunft und halten es für möglich, dass eines Tages die letzten Christen aus der Wiege des Christentums verschwunden sein werden. "Es tut zwar weh wegzugehen, aber es wäre noch schmerzhafter zu bleiben", sagt Musselem, dessen Familie seit Generationen in Bethlehem lebt.

Drei Jahren musste Musselem zuschauen, wie seine Baufirma dem Bankrott entgegen trieb. Das Geschäft mit den Touristen war die wirtschaftliche Grundlage für die Bewohner der Stadt. Zuletzt lebte Musselem mit seiner Frau und drei kleinen Kindern von Almosen der Kirche. Nun aber hat sich nach monatelangem Warten Musselems Weihnachtswunsch erfüllt: Er hat endlich ein Einreisevisum für die Europäische Union erhalten. Mit seiner Familie will er zunächst nach Griechenland fahren, dann weiter nach Schweden.

Auf einem Stuhl neben einem kleinen, geschmückten Weihnachtsbaum sitzt unterdessen Musselems Frau Mirwat und weint. Die Zeiten sind schwer für palästinensische Christen. Weniger als 50.000 von ihnen leben unter den 3,6 Millionen Palästinensern im Westjordanland und dem Gaza-Streifen. 1000 Christen, heißt es, kehrten dem Land jedes Jahr den Rücken. Auch das demografische Rennen verlieren die Christen mit ihren Kleinfamilien gegen die Moslems. Selbst in Bethlehem, das ursprünglich eine der größten christlichen Gemeinden war, sind Christen nicht länger in der Mehrheit.

"Wenn das so weiter geht, werden unsere Kirchen bald mehr Museen gleichen als Gotteshäusern", klagt der katholische Geistliche Amjad Sabbara. Viele Christen verlassen das Land aus reiner Verzweiflung. Bethlehem steht vor dem wirtschaftlichen Aus, und die Christen, die traditionell als Kunsthandwerker, Fremdenführer und Wirte arbeiten, sind davon besonders betroffen.

Zwar hält die israelische Besatzungsarmee Bethlehem derzeit nicht besetzt, aber die Stadt ist weiter zwischen Straßensperren und sich ausdehnenden jüdischen Siedlungen eingeklemmt. Auch die Spannungen zwischen Christen und Moslems sind in den vergangenen drei Jahren gewachsen. Vor allem Christen sind die Leidtragenden, seit Israel auch am Rande Bethlehems den großen Trennzaun baut und dafür Land enteignet, sagt Stadtverwalter Jamal Salman.

Zu den Missstimmigkeiten zwischen Christen und Moslems trägt auch bei, dass israelische Soldaten Christen nach Ansicht von moslemischen Palästinensern an Straßensperren bevorzugt behandeln. Außerdem werden die Christen beneidet, weil sie Verwandte im Ausland haben, die ihnen eine Flucht aus den besetzten Gebieten ermöglichen.

Ohne Aussicht auf ein Ende des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern beschleunigt sich der Exodus der Christen. "Es ist schwierig, weiter hier zu leben mit so wenig Hoffnung", sagt der 24-jährige Fremdenführer Rafael Shomali, der im kommenden Jahr Verwandten nach Boston oder Michigan folgen will.