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Albin Skoda war im buchstäblichen Wortsinn ein Burgtheaterkind. Er kam zwar nicht im Haus am Ring zur Welt, aber bereits im zarten Alter von neun Jahren, am 4. Oktober 1918, wurde Albin für die Darstellung von Kinderrollen mit einem Jahressalär von sechshundert Kronen in den Verband des k.k. Hofburgtheaters aufgenommen. Er gab sein Theaterdebüt als Philipp in Gerhard Hauptmanns "Der Biberpelz" und stellte dann sein Talent auch in anderen Rollen unter Beweis.
Initiator des doch ein wenig ungewöhnlichen Engagements war der Vater, der sich seinen großen Berufswunsch, Schauspieler zu werden, nicht erfüllen konnte. So manche Väter wollen sich dann in ihren Söhnen verwirklichen. Sie implantieren ihre Träume, Hoffnungen und Wünsche in die Köpfe und Seelen ihrer männlichen Nachkommen und fördern, je nach Geschick behutsam oder mit uneinsichtiger Verständnislosigkeit, ihr Wachstum. Das kann gut gehen oder auch schwere psychische Dauerschäden zur Folge haben.
Geerbte Theaterliebe
Bei den Skodas fiel das väterliche geistige Implantat auf einen äußerst fruchtbaren Boden. Die Vorliebe des Vaters für das Theater wuchs sich in seinem Sohn zur alles beherrschenden und verzehrenden Theaterleidenschaft aus. Aus dem Burgtheaterkind wurde in Mannesjahren ein strahlender Stern am deutschsprachigen Theaterhimmel.
Albin Skoda war nicht nur ein echtes Burgtheaterkind, er war auch ein echter Wiener. Am 29. September 1909 im Allgemeinen Krankenhaus zur Welt gekommen, wuchs der Sohn eines Cafetiers in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf. Nach dem Besuch der Volksschule in seinem Heimatbezirk auf der Wieden und einem Intermezzo im Internat bei den Schulbrüdern in Strebersdorf schickten ihn die Eltern, seinen musischen Neigungen und Talenten ganz und gar nicht angemessen, in eine Realschule. Aber selbst dort konnte er ab und zu bei festlichen Veranstaltungen seine ungewöhnliche schauspielerische Begabung unter Beweis stellen.
Über seine schulischen Leistungen verliert Oskar Maurus Fontana, sein Biograph, kein Sterbenswörtchen. Den naturwissenschaftlichen Fächern, so darf man annehmen, wird sein vordringliches Interesse wohl nicht gegolten haben. Die ganze Liebe des Realschülers gehörte dem Schauspiel und dem Theater.
Mit seinem Eintritt in die Schauspielklasse von Rudolf Beer an der Akademie für Musik und darstellende Kunst erfüllte sich dann für Albin Skoda ein lang gehegter Kindheits- und Jugendtraum. Beer war ein bedeutender Theaterfachmann, ein hervorragender Lehrer, Regisseur und Talente-Entdecker. Das bestätigen viele seiner später prominent gewordenen Schüler. Hans Jaray, der noble Grandseigneur und Publikumsliebling, urteilte so über ihn:
"Beer war durch und durch Theatermensch, ein bedeutender Theatermensch. Er hat eine ganze Schauspielergeneration auf die Beine gestellt und glänzende Schauspieler ans Haus geholt (Beer war von 1924 bis 1932 Direktor des Deutschen Volkstheaters). Für uns Junge hat er mehr getan als jeder andere. Er war ein Theaterpraktiker mit viel Humor und Sinn für ein unglaublich lebendiges Theater."
Und Karl Paryla schreibt in seinen Lebenserinnerungen: "Als er in der Staatlichen Schauspielschule erschien, war er für uns Junge, die wir dort von braven Lehrern akademische Theaterbildung erhielten, ein Gott, ein Deus ex machina (. . .) Er, der selbst ewig ein Jüngling blieb, war der zauberhafte Entdecker und Förderer von Talenten. Seine Schultätigkeit war eine unnachahmbare. Sie kam ursprunghaft aus seinem Wesen."
Auch dem jungen Skoda wies Beer den schauspielerischen Weg. Er wusste es ihm zu danken. Mit diesem handwerklichen Rüstzeug zusätzlich zu seiner immensen Begabung ausgestattet, verließ Albin Skoda die Schauspielklasse von Rudolf Beer und trat im Stadttheater St. Pölten sein erstes Engagement an.
Die nunmehrige niederösterreichische Landeshauptstadt war nur eine vorübergehende Theater-, aber seine wichtigste Lebensstation. Er lernte dort Margarethe Westermayer kennen, eine Kollegin, mit der er kurze Zeit später in Aussig den Bund der Ehe schloss. Sie schenkte ihm eine Tochter und begleitete ihn auf seiner abwechslungsreichen Reise durch ein auch von den politischen Zeitumständen geprägtes Dasein.
Zu viel Pathos
Nach St. Pölten und Aussig ging es nach Hamburg, wo der junge Mime in einigen Rollen, die heute kaum noch in einem Spielplan aufscheinen, durch "stimmliche Intensität, geistige Beherrschung des Wortes und ein Talent für die Gestaltung des Grotesken" die Kritiker beeindruckte. Gelegentlich, so meinten allerdings einige unter ihnen, läge in seiner darstellerischen Kraft jedoch etwas zu viel Pathos und Überspanntheit.
Skoda, der schon als junger Schauspieler höchste Anforderungen an sich stellte, nahm diese Kritik sehr ernst. "Immer mein alter Fehler - zu laut", notierte er am Rande der diesbezüglichen Kritik in seiner Sammlung von Theaterbesprechungen. Albin Skoda, und das zeichnete ihn aus, war selbstkritisch, er strebte nach Perfektion, nach vollkommener Harmonie von Wort und Gebärde. In den Jahrzehnten seiner künstlerischen Betätigung stellte er in ungezählten Rollen auf der Bühne, im Film und im Rundfunk, aber vor allem auch in seinen unvergesslichen Vortragsabenden seine virtuose Sprachbeherrschung überzeugend und glanzvoll unter Beweis.
In seiner nächsten Theatersta-tion, im Ensemble des Deutschen Theaters in Berlin (1934-1944), vollzog sich Albin Skodas Reifeprozess zur großen, überragenden Schauspielerpersönlichkeit. Die politische Situation hatte sich unterdessen vollkommen verändert. Die Nazis hatten mit brutaler Härte ihre diktatorische Herrschaft etabliert.
Das gleichgeschaltete Kulturleben unterstand nun dem Würgegriff des mächtigen Propagandaministers Joseph Goebbels. Gleichwohl gelang es dem 1934 mit der Direktion betrauten Heinz Hilpert, dem Deutschen Theater mit diplomatischem Geschick und starker Hand ein eigenständiges Profil zu geben.
Großes Repertoire
Hilpert war Albin Skodas zweiter großer Lehrmeister Er förderte mit einfühlsamer Konsequenz seine Entwicklung, ermunterte ihn zur Übernahme immer neuer Aufgaben und Verpflichtungen. Unter seiner Leitung spielte sich der unverwechselbare Schauspieler in diesem Jahrzehnt in die vorderste Reihe der männlichen Darsteller im deutschen Sprachraum.
Sein Repertoire war so umfangreich wie vielschichtig: Skoda glänzte in klassischen Rollen (Orest, Romeo, Don Carlos, Leander, Karl Moor) ebenso wie als "Armer Heinrich" in Gerhart Hauptmanns gleichnamigem Stück, als Marchbanks in Shaws "Candida" und als Dr. Rank in Ibsens "Nora".
Als mit 1. September 1944 im gesamten Reichsgebiet die Theater ihre Pforten schließen mussten, vertauschte Albin Skoda auf höheren Befehl die Bühne mit dem Podium. Er las als sogenannter "Wehrmachtsbetreuer" in Genesungsheimen und Lazaretten Sonette von Shakespeare, Schillerballaden, Gedichte von Rilke und Weinheber und ließ sein dankbares Publikum für ein paar Stunden den tristen Alltag vergessen. So blieb es ihm erspart, dem Nazi-Regime mit der Waffe in der Hand dienen zu müssen.
Nach Kriegsende schlug sich Albin Skoda mit seiner Familie in die österreichische Heimat durch, wo er bei einer befreundeten Schauspielkollegin vorübergehend Aufnahme fand. Anfang August 1945 stand er bereits wieder auf der Bühne. Im Salzburger Landestheater spielte er den Fritz Lobheimer in Schnitzlers "Liebelei".
Die ersehnte Rückkehr in seine Heimatstadt gelang dann trotz der widerwärtigen Zeitverhältnisse verhältnismäßig rasch. Im Hochhaus in der Herrengasse fand er eine ihm angemessene Wohnung, er wirkte in Rundfunksendungen und Filmen mit und gab Vorleseabende. In der Josefstadt hielt er in der Erstaufführung des "Guten Menschen von Sezuan" (Bertolt Brecht) seinen Einzug in das wiedererstandene Wiener Theaterleben.
Dann verpflichtete ihn Raoul Aslan an das Burgtheater. Am 25. September 1945 hielt Albin Skoda dort als Karl VII. in Schillers "Jungfrau von Orleans" sein von der Kritik freudig begrüßtes Debüt. Ein lange gehegter Wunsch, der Traum seines Lebens hatte sich erfüllt. Die Kritik war wohlwollend: Die "Wiener Zeitung" schrieb: "Ein wertvoller Gewinn ist Herr Skoda, der den schwachen König zu einem interessanten, sehr lebendigen Repräsentanten eines politischen Schicksals gestaltet. Ein sprachformender und ein klangreicher Sprecher".
Ehrgeiziger "Workaholic"
Aus dem wertvollen Gewinn wurde alsbald eine tragende Säule dieser großen, tradidionsreichen Bühne. Albin Skoda feierte einen Triumph nach dem anderen und begeisterte sein Publikum in ungezählten Rollen. Sein Hamlet ist genauso unvergessen wie sein Cyrano de Bergerac, sein Mephisto, sein Fiesco, sein Orest. Seine darstellerische Spannweite umfasste aber auch den Oberon in Shakespeares "Sommernachtstraum", den Higgins in Shaws "Pygmalion" sowie den Flottwell in Raimunds "Verschwender". Er hat alle seine Rollen mit geballter, durchgeistigter Kraft auf die Bühne gestellt, mit leidenschaftlicher Intensität und innerster Angespanntheit, er hat sich in ihnen verströmt.
Albin Skoda war ein ehrgeiziger Workaholic, der sich keine Ruhe gönnte, keine Entspannung. Diese Feststellung gilt auch für sein Privatleben. Er tat alles mit geballter Energie und vollem Krafteinsatz, stellte seine Frau einmal in einem Interview fest. Er war ein leidenschaftlicher Sammler von allen möglichen Dingen, ein ausgezeichneter Fotograf, und er fuhr gerne schnelle Autos.
Albin Skodas ruheloser Geist und sein Körper waren der Unbedingtheit seines Wollens auf Dauer nicht gewachsen. Nach einem vergnüglichen Sommerabend bei einem Heurigen in Sievering traf den Schlafenden in den Morgenstunden des 18. September 1961 ein Gehirnschlag. Des Bewusstseins und der Sprache beraubt, wurde er in eine Klinik eingeliefert, wo der Zweiundfünfzigjährige vier Tage später starb.
Der Leichnam des großen, unvergesslichen Schauspielers wurde am 29. September, an seinem Geburtstag, nach einem feierlichen Begräbnis in einem Ehrengrab (Gruppe 32C, Nr.23) auf dem Zentralfriedhof beigesetzt.
Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums und ist Autor zahlreicher historischer Bücher, u.a. "Der ungeliebte Staat. Österreich zwischen 1918 und 1938" und "Große Österreicher des 20. Jahrhunderts".