Jüngste Analysen zeigen: Eine Art, doch viele Genome. | Erkenntnisse für Nutzpflanzenzucht von Vorteil. | Tübingen. Immer weiter relativieren Genetiker die Bedeutung des Genoms zugunsten der Umweltfaktoren. Wissenschaftler der Max-Planck-Institute für Entwicklungsbiologie und Biologische Kybernetik, Tübingen, unter Teamchef Detlef Weigel, dem Salk-Institute, La Jolla, Kalifornien, sowie weiterer US-Institute kamen bei der Analyse der 120 Millionen DNA-Bausteine der weltweit vorkommenden Ackerschmalwand - Arabidopsis thaliana - zu überraschenden Erkenntnissen: Diese eine Pflanzenart hat viele Genome.
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"Das Genom gibt es nicht", urteilt Weigel, seit sein Team bei dem in der Wissenschaft berühmten, meist jedoch unbeachteten Gras eine Vielzahl genetischer Variationen, Defekte und Auslassungen fand. Dies zeigt, dass bei diesem mit 120 Millionen DNA-Bausteinen sehr kleinen Genom - das Humangenom mit rund 3.000.000.000 Basen ist 24 Mal größer - eine immense Variabilität gegeben ist und von genetischer Einheitlichkeit nicht die Rede sein kann. Anders gesagt: Mit der Analyse eines einzigen Genoms der Pflanze hat man längst noch nicht die Art verstanden, zu der es gehört.
Gen-Variabilität
Weshalb dies so ist, erläutert der Molekularbiologe: Knapp zehn Prozent des Genoms der Arabidopsis sind praktisch entbehrlich, sie haben keinerlei Funktion. Weiters ist mindestens einer von 180 Buchstaben ihrer DNA variabel, in Ziffern sind dies 666.666 Bausteine. Vier Prozent des Referenzgenoms - einer Laborzüchtung der Pflanze - sind in den Wildtypen verschwunden oder extrem verändert und schließlich wies fast jedes weitere zehnte Gen in mindestens einer der 19 untersuchten Wildtypen so starke Defekte auf, dass es nicht normal funktionieren kann.
Die Ackerschmalwand kommt in fast allen Gegenden der Erde vor, am Polarkreis, in den Subtropen, in Afrika, Europa und Asien. Freilich ist ihr Aussehen erheblich verändert, sie wächst je nach Umgebung deutlich größer oder kleiner, hat zum Teil dunklere Blätter und sogar eine andere Art der Verzweigung. Diesem unterschiedlichen Aussehen entspricht ihre enorme genetische Variabilität. Sie betrifft vor allem diejenigen Gene, die mit der Umwelt der Pflanze direkt zu tun haben, d. h. mit der Abwehr von Schädlingen und Infektionen.
Deutlich weniger variantenreich sind dagegen die Gene, die nach innen wirken, also etwa für die Proteinherstellung oder Genregulierung verantwortlich sind. Molekularbiologe Weigel hält die genetische Variabilität für eine Vorbedingung, dass diese Pflanze an klimatisch so unterschiedlichen Orten gedeihen kann.
Umwelt-Anpassung
Mit den neuen, auf umfassenden Gen-Material-Analysen beruhenden Erkenntnissen möchten die Forscher aufzeigen, "wie man Nutzpflanzen züchten kann, die besonders gut an wechselnde Wachstumsbedingungen angepasst sind." Dies auch im Hinblick auf die zu erwartenden klimatischen Veränderungen. Gemeinsam mit dem Internationalen Reisforschungsinstitut in Manila, Philippinen, sollen 20 verschiedene Reissorten in gleicher Weise wie die Ackerschmalwand analysiert werden.
Auch wollen die Max-Planck-Wissenschaftler das Erbgut von weiteren 1001 Arabidopsis-Sorten analysieren - mit dem neuen Sequenziergerät in Tübingen kann das jeweils innerhalb weniger Tage durchgeführt werden. Anhand der neuen Analysen wird die Variabilität der Pflanze noch besser verstanden werden.