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Fortschrittspessimismus ist ziemlich populär. Das Schwarzmalen düsterer Zerrbilder der Digitalisierung sowieso. Das vollmundige Schlagwort dazu heißt "Digital Detox" - digitales Entgiften. Soziale Medien ausschalten, Newsletter und Benachrichtigungen über Breaking News abbestellen, lautet die Therapie. Oft bleibt vom digitalen Heilfasten nur ein Lippenbekenntnis, der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier.
Ein Journalist der "New York Times" hat Anfang des Jahres den Online-Stecker gezogen, sich drei Print-Abos bestellt und nun über die Erfahrungen der vergangenen zwei Monate geschrieben. "Es hat mein Leben verändert" - lautet sein Resümee. Er sei breiter informiert, erspare sich aufgeregte Spekulationen und Vorverurteilungen auf dem Weg zu den Fakten. Er habe eine Handvoll Bücher gelesen und glaubt, jetzt ein aufmerksamerer Ehemann und Vater zu sein. "Das echte Leben ist langsam", so sein Fazit. Es braucht Zeit und Expertise, schreibt er, um zu verstehen, was geschehen ist und wie es in ein größeres Ganzes passt. "Technologie hingegen ist schnell" und "liefert Nachrichten schneller, als wir ihnen Sinn verleihen können. Das gibt Spekulationen und Falschmeldungen Platz, um diesen Spalt zu füllen."
Mit dieser Erkenntnis ist Farhad Manjoo nicht alleine. Seine Analyse gilt wohl auch für die Technik selbst. Es wird Zeit brauchen, bis wir etwa Sozialen Medien ihren Platz im größeren Ganzen zugewiesen haben werden. Um nicht Gefahr zu laufen, vor lauter Nix-versäumen-Wollen gar nichts mehr mitzubekommen.