Nach den jüngsten Ausschreitungen in Hongkong mit dutzenden Verletzten und Verhafteten scheint die Situation zwischen den prodemokratischen Demonstranten und der Regierung endgültig festgefahren.
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Peking/Hongkong. Es waren eigentümlich widersprüchliche Bilder, die Anfang Oktober aus Hongkong um die Welt gingen. Vor knapp zwei Monaten krachten die Sicherheitskräfte erstmals mit jenen Protestierenden und Studentenvereinigungen zusammen, die mehrheitlich unter dem Banner von "Occupy Central" für freie Wahlen des Verwaltungschefs 2017 auf die Straße gingen. Damals setzten die Polizisten einerseits neben roher Gewalt auf den Einsatz von Pfefferspray und Tränengas, wogegen sich die meist jugendlichen Demonstranten mit nicht viel mehr als bunten Schirmen wehrten.
Diese merkwürdige Kombination hat der Bewegung bald den Namen "Regenschirm-Revolution" eingebracht, die sich einem friedlichen Protest verschrieben hat. Doch mittlerweile haben beide Seiten aufgerüstet: Seitdem die Proteste vergangene Woche erneut aufgeflammt sind, setzen sich die Demonstranten nicht länger nur mit Schirmen zur Wehr, sondern tragen Bauhelme, Atemschutzmasken und Schienbeinschützer. Spätestens mit der jüngsten Eskalation am Wochenende ist die Atmosphäre aufgeheizt, und der Ton wird wieder rauer.
Fünf Nächte in Folge ist es nun in der Sonderverwaltungszone zu Ausschreitungen gekommen. Es begann damit, dass ein Gericht die Räumung aller Straßenbarrikaden angeordnet hatte, mit denen die Verbände um "Occupy Central" die Hauptstraßen des Stadtteils Mong Kok lahmlegen wollten, um die Wirtschaft zu blockieren. Sah es zunächst danach aus, als würden die Studenten das Entfernen ihrer Sperren akzeptieren, kippte die Stimmung rasch um und entlud sich teilweise in Aggressionen.
Vorübergehend wurde mit dem 18-jährigen Studenten Joshua Wong auch eine der Symbolfiguren der Bewegung festgenommen; ihm haben die Behörden mittlerweile den Zutritt zu den Brennpunkten untersagt. In der Nacht von Sonntag auf Montag eskalierte die Lage endgültig, als bei schweren Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstranten 40 Menschen verletzt und 32 Personen verhaftet wurden.
Nach Angaben der Behörden mussten dabei auch vier Polizisten ins Krankenhaus gebracht werden. Ziel der Proteste war eine erneute Blockade des Regierungssitzes; kurzfristig legten die Demonstranten eine wichtige Hauptstraße in der Innenstadt lahm, bis die Polizei mit Pfefferspray und Schlagstöcken konterte.
Der Regierungschef reagiert immer dünnhäutiger
Die Zugangsstraßen zum Verwaltungsbezirk sind mittlerweile wieder frei, doch mit den jüngsten Aktionen haben sich beide Seiten weiter in die Sackgasse manövriert. Der unbeliebte Regierungschef von Hongkong Leung Chun Ying hat sich dabei bisher unbeweglich gezeigt und am Plan der Führung in Peking festgehalten, zu den Wahlen 2017 nur handverlesene Kandidaten der Zentralregierung zuzulassen.
Nun reagiert der bisher ohnehin glücklos agierende ehemalige Immobilienmakler auch noch zunehmend dünnhäutig auf die Proteste: "Geht nach Hause. Wir wollen beim Räumen der Straßen keine Leute verhaften, denn sie bekommen eine Anzeige, was ihre Studien- und Berufschancen schmälern wird", warnte Leung die protestierenden Studenten. Er habe nun endgültig keine Geduld mehr, und künftig werde die Polizei mit "entschlossenem Handeln" einschreiten, sollte es erneut zu Aktionen der Aktivisten kommen: "Verwechselt Toleranz nicht mit Unfähigkeit - und glaubt nicht, dass die Polizei schwach wäre."
Unterdotiert ist die Polizei allemal - mit nicht einmal 30.000 Mann bei einer Bevölkerung von acht Millionen Menschen. Doch längst ist auch die Demokratiebewegung selbst geschwächt. Waren es zu Beginn noch 200.000 Personen, die begleitet von sichtbarer Sympathie der Bevölkerung, auf die Straße gingen, hat die Unterstützung in den vergangenen Wochen deutlich nachgelassen - nicht zuletzt deshalb, weil die Blockaden mittlerweile wirtschaftliche Folgen für Hongkong haben.
Viele der zumeist jugendlichen Demonstranten wirkten nach den wochenlangen Protesten merklich angespannt und erschöpft. Einer von ihnen ist beispielsweise Alex Chow Yong-kang, der Sekretär des Hongkonger Studentenbundes. Er nannte die erneute Besetzung des Regierungsviertels zunächst trotzig einen Erfolg, musste jedoch im Verlauf des Montags eingestehen, einen "Fehler" gemacht zu haben: "Es wird immer schwieriger für uns, wie wir weitermachen sollen. Wir glauben, dass unsere Besetzungen in einem gewissen Rahmen große Kraft haben, aber wir haben die Stärke der politischen Macht dieser Regierung unterschätzt", sagte der 24-Jährige.
Die Staatsführung in Peking spielt auf Zeit
Die Situation ist verfahren: Peking und die Hongkonger Führung spielen auf Zeit, und die inhomogene Protestbewegung tut sich schwer damit, eine kohärente Gegenstrategie zu verfolgen. Mehr und mehr fühlen sich die Studenten auch von der älteren Generation im Stich gelassen, die überwiegend konservativ eingestellt ist und sich damit zufrieden gibt, ungestört ihre Geschäfte betreiben zu können - politische Mitbestimmung ist für sie sekundär. Doch die Jüngeren sorgen sich um die Zukunft der Stadt und wollen laut Alex Chow um sie kämpfen: "Auch wenn uns zum Schutz unserer Rechte nur der Regenschirm bleibt."