Aus der kleinen Minderheit der Banater Bulgaren nach Wien.
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Wien. Viele Sprachen, viele Völker - beides begleitet Marija Vasilcin ein Leben lang, und auch, dass sie immer wieder neue Sprachen lernen muss. "Als ich ein Kind war, sprachen mein Vater bulgarisch, meine Mutter ungarisch und meine Freunde serbisch mit mir. Wenn aber meine Großeltern etwas vor uns Kindern zu verbergen hatten, dann sprachen sie deutsch. Vielleicht, weil ich die einzige geheime Sprache meiner Kindheit lernen wollte, kam ich nach Wien", erzählt sie lächelnd in ihrer nagelneuen Ordination für Zahnmedizin im 22. Wiener Gemeindebezirk. Vasilcin gehört der kleinen Minderheit der Banater Bulgaren- auch Paulikianer genannt - an.
Die Banater Bulgaren übersiedelten im 18. Jahrhundert, auf der Suche nach einem besseren Leben, von den bulgarischen Ländern an den Grenzen des Osmanischen Reiches in die damals zu Österreich-Ungarn gehörende Vojvodina. Sie übernahmen den Katholizismus, dafür erlaubte ihnen Kaiserin Maria Theresia, ein kleines Stück Land in Besitz zu nehmen. Heute leben im serbischen Banat nach offiziellen Daten um die 3000 Banater Bulgaren. Gemeinsam mit Serben, Ungarn, Slowaken, Rumänen, Deutschen und Roma bilden sie seit Jahrzehnten das bunte ethnische Mischung in Pancevo, der Geburtsstadt von Vasilcin.
"Als ich nach Wien kam, war Multikulturalismus nichts Neues für mich", erzählt die junge Zahnärztin. "Schon in meiner Kindheit, zu jugoslawischen Zeiten, sprachen alle um mich herum verschiedene Sprachen." Um Zahnmedizin zu studieren, fuhr Vasilcin in das Herkunftsland ihrer Vorfahren, nach Bulgarien - "die Qualität des Studiums war nicht schlechter als in Österreich". In der bulgarischen Stadt Plovdiv war Vasilcin die erste Studentin aus der Vojvodina. Die Sprache ihrer Urgroßeltern musste sie praktisch neu lernen.
In Pancevo bekam Marija Vasilcin eine Stelle als Zahnärztin in einer Poliklinik. "Die Wunden des Krieges waren in Serbien noch nicht geheilt, Armut herrschte überall", erzählt sie. Ihr fehlte das Nötigste, um ihre Patienten zu behandeln. "Sie dachten, ich bin zu jung und will nicht arbeiten. In Wirklichkeit wollte ich so gerne arbeiten, hatte aber nicht die Möglichkeit dazu."
Wieder bei null beginnen
Ein in Österreich lebender bulgarischer Arzt riet Vasilcin, nach Wien zu kommen. Der Anfang war schwer: Schon wieder musste Vasilcin bei null anfangen. Sie konnte nicht Deutsch, als Nicht-EU-Bürgerin hatte sie keinen Anspruch auf Arbeitserlaubnis. Mit vielen Jobs hielt sie sich über Wasser, bis sie die Sprache gut genug beherrschte, um als Zahnarztassistentin zu arbeiten. Als studierte Zahnärztin wollte sie zunächst keiner anstellen: "Alle wussten: Sobald ich die Möglichkeit dazu habe, gründe ich eine eigene Ordination." Bei Johannes Klimscha, einem Gründer der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie, assistierte sie schließlich. Seit zwei Monaten hat Vasilcin ihre eigene Praxis.
Geschafft hat sie das alles mit "sehr viel Arbeit", betont Vasilcin und lächelt wieder. "Auch Ausländer kommen gerne zu mir, weil ich sie oft in ihrer Sprache ansprechen kann. Dann sind sie viel relaxter, wenn sie sich auf dem Zahnarztsessel setzen."
Nicht nur Vasilcins Berufsalltag bleibt multikulturell. Gerne trifft sie sich mit ihren Freunden aus Serbien, Bulgarien, Österreich. Ihr Verlobter, ein waschechter Österreicher, mag es nicht, wenn alle in seiner Anwesenheit in ihrer Muttersprache sprechen, obwohl sie Deutsch können. "Ich verstehe ihn. Wir sind eigentlich in Österreich."
Wichtiger als anderen Migranten ist Vasilcin ihre Familie: Sie telefoniert täglich mit ihrem Bruder in England, zweimal pro Tag mit der Mutter. "Diesen Familienbezug pflege ich weiter. Es ist balkanesisch, ja, das gibt mir Kraft. Ich träume aber nicht davon, eines Tages wieder nach Pancevo zu ziehen. Das ist vorbei. Ich bin 100 Prozent integriert."