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Immobilienblase an der Isar

Von Alexander Dworzak aus Bayern

Politik

In München wird der Denkmalschutz ignoriert, die Preise für Miete und Kauf haben sich rapide erhöht.


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München. Was gerettet werden konnte, ist abgedeckt. Der historische Keller ist teilweise erhalten, aber an der Oberfläche blieb praktisch nichts übrig. Binnen zehn Minuten wurde das sogenannte Uhrmacherhaus demoliert. Ein Stück Stadtgeschichte ist seit 1. September 2017 unwiederbringlich verloren. "Bereits tags zuvor ist der Bagger gekommen, Anrainer konnten noch das Schlimmste verhindern. Keine 24 Stunden später, am helllichten Tag, demolierten sie das Haus", erzählt Angelika Luible.

Die Innenarchitektin entstammt einer alteingesessenen Obergiesinger Familie. In dem traditionellen Arbeiterviertel befand sich das Uhrmacherhaus, es war Teil der Feldmüllersiedlung - "Münchens ältester noch erhaltenen Arbeitersiedlung", betont Luible. Zwischen 1830 und 1860 wurden die kleinen Handwerkerhäuser erbaut. Sie befinden sich unter Denkmalschutz. Umso unverständlicher, dass das Uhrmacherhaus dennoch zerstört wurde - gleichzeitig sinnbildhaft für einen Immobilienmarkt, der aus den Fugen geraten ist.

Zuzug, Anleger, Niedrigzinsen

München wächst, und die Preise steigen ins Unermessliche. Knapp 200.000 Einwohner sind in den vergangenen zehn Jahren zugezogen, 1,5 Millionen Menschen leben mittlerweile in der bayerischen Metropole. Studierende kamen ebenso in die Universitätsstadt wie - vor allem junge - Berufstätige. In München brummt das Dienstleistungsgewerbe, und auch die DAX-Konzerne Allianz und Munich Re haben hier ihren Hauptsitz. In der Industrie sind BMW, Linde und Siemens die führenden Vertreter, die Nachfrage nach Facharbeitern ist enorm.

Neben dem Eigenbedarf treiben Anleger aus Deutschland und dem Ausland die Preise in die Höhe. Die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank macht es möglich.

8250 Euro pro Quadratmeter kostet eine Neubauwohnung. Doch das ist lediglich ein Durchschnittswert. In zentralen Stadtteilen sind Neubauten nicht unter 10.000 Euro/m² erhältlich. Für Eigentumswohnungen haben sich die Preise binnen zehn Jahren verdoppelt. Zweieinhalb Mal so viel ist für Einfamilienhäuser zu zahlen, allerdings im Vergleich zu 1995. Und die Mietpreise haben um 80 Prozent zugelegt. In jenem Zeitraum stieg das verfügbare Einkommen der Münchner aber nur um 46 Prozent, errechnete das IVD-Institut.

Auch in Obergiesing verändern sich Ortsbild und Bevölkerung: "Giesing war ein Scherbenviertel", erinnert sich Angelika Luible, die sich beim Bündnis "Heimat Giesing" engagiert; monatlich hält es vor der Ruine des Uhrmacherhauses Mahnwachen ab. "Neben Einheimischen wohnten ab den 1970ern griechische und türkische Arbeiter hier." Den Billigfrisör, den vor allem Migranten frequentieren, gibt es auf der Tegernseer Landstraße heute genauso wie den Biobäcker für die zahlungskräftige Klientel. Um die Ecke des ehemaligen Uhrmacherhauses hat sich ein veganes Bistro einquartiert. Dort sitzen alternativ-teuer gekleidete Mütter um die 30 bei Biolimonade.

Bei solch einer Marktlage klingt es verlockend, historische Gebäude einfach abzutragen. Denn wo nichts ist, darf sich der Bauherr beim Neubau an der Höhe der Nachbarhäuser orientieren. Der Eigentümer des Uhrmacherhauses, Andreas S., sieht sich jedoch selbst als Opfer. Er verweist auf ein Versehen des Bauarbeiters und der Baufirma CSH. Herr S. zeige "weder Reue noch Einsicht", sagte der Chef der Lokalbaukommission, Cornelius Mager, der "Süddeutschen Zeitung". Die CSH existiert nicht mehr.

Gegen die Verfügung, das Haus wieder in originaler Größe aufzubauen, klagt S. Ein jahrelanger Rechtsstreit bahnt sich an. Politiker aller Parteien, allen voran Bürgermeister Dieter Reiter (SPD), befürworten derweil den Wiederaufbau.

Der Stadt fehlt es nicht nur im Falle von Andreas S. an Durchgriffsmöglichkeiten. "Im Vergleich mit Wien hat München viel weniger kommunale Wohnungen und auch weniger Ausweichflächen", sagt Ingrid Breckner, Professorin für Stadt- und Regionalsoziologie an der HafenCity Universität Hamburg. Geringverdiener können sich zwar um eine Sozialwohnung bewerben. Aber die Nachfrage übersteigt das Angebot bei Weitem.

Verschärfend kommt hinzu, dass die Anzahl der Sozialwohnungen rapide gesunken ist. Zwar erhalten die Bauherren günstige Darlehen vom Staat, die preiswerten Mieten sind aber zeitlich begrenzt. Hatte München 1990 noch 112.000 Sozialwohnungen, sind es nunmehr lediglich 43.000.

Bereits in den 1990ern machten Wohnungszuschüsse mehr als 50 Prozent des Sozialhaushalts aus, sagt Ingrid Breckner. "Das sind langfristige Belastungen, die andere Bereiche lähmen." Sie empfiehlt daher, München und Bayern sollten verstärkt Grundstücke erwerben, um mehr Steuerungsmöglichkeiten zu haben. Das Problem: Alleine von 1950 bis 2015 sind Münchens Baulandpreise um 34.000 Prozent gestiegen.

Am privaten Mietwohnungsmarkt können Altmieter legal vertrieben werden. Eigentümer, die Fenster umtauschen, Balkone errichten oder einen Aufzug einbauen, können über die Modernisierungsumlage elf Prozent der Kosten abwälzen. Und das nicht nur zeitlich beschränkt. Nach neun Jahren hat der Mieter 99 Prozent abbezahlt. Dass die Miete danach wieder sinkt, davon kann der Bewohner nur träumen.

Gegensteuern und Anheizen

10.000 Personen demonstrierten unter dem Motto "Ausspekuliert" in München für die Abschaffung der Modernisierungsumlage. Die Bundesregierung einigte sich bei einem Wohnungsgipfel im September, dass die Umlage von elf auf acht Prozent reduziert werden soll. Bis 2021 sollen deutschlandweit 100.000 Sozialwohnungen entstehen. Andererseits erhalten Familien bei Wohnungs- oder Hauskauf pro Kind 12.000 Euro binnen zehn Jahren - ein Zuschuss für Personen, die sich ohnehin Eigentum leisten können.

Zwar wird in München so viel gebaut wie zuletzt in den 1980ern, doch nicht für Klein- und Mittelverdiener. Die in Bayern noch alleine regierende CSU hat eine staatliche Wohnungsbaugesellschaft gegründet. Bis 2025 sollen 10.000 günstige Wohnungen gebaut werden. Vor der Landtagswahl am Sonntag spricht sich die CSU vor allem für Eigenheimförderungen aus, Grüne und SPD wollen den Sozialbau ankurbeln.

Immer wieder ist die Rede, die Kaufpreise in München seien um 30 Prozent zu hoch. Ebenso vom Platzen der Immobilienblase. Wann das passiert, kann niemand sagen. Die meisten Abstürze passieren plötzlich. Wie der Abriss des Uhrmacherhauses.