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Immunabwehr der Raupen ausgenützt

Von Richard E. Schneider

Wissen
Die Raupe bewegt sich nur langsam vorwärts. Foto: MPI Jena

Schmetterlings-Larven bringen neue Perspektiven. | Eiweiße wirksam wie Antibiotikum. | Tübingen. In der Larve des kleinen Kohlspanners fanden Max-Planck-Ökologen aus Jena bisher unbekannte Peptide und Proteine. Einen Wirkstoff daraus setzen Giessener Agrarwissenschafter zur Verbesserung der Resistenz der Gerste gegen den Mehltau ein.


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Wenn die 4 bis 5 cm große Larve des Kohlspanners (trichoplusia ni) Kohl- und Salatblätter frisst, verschlingt sie auch die darauf befindlichen Schädlinge, pathogenen Pilze und Bakterien. Wenn diese sehr toxisch sind, kann sie daran zugrunde gehen. Jedenfalls aktiviert sie ihre körpereigene Abwehr gegen die zahlreich aufgenommenen Pathogene.

Kampf gegen Erreger

Sie bildet in ihrer Leibeshöhle verschiedene humorale Antworten aus ihren Körpersäften. Mit körpereigenen Proteinen und Enzymen bekämpft sie eingedrungene Erreger, kapselt diese ein und macht sie unschädlich, berichten Max-Planck-Wissenschafter um Heiko Vogel vom Institut für chemische Ökologie, Jena. Sie untersuchten im Rahmen einer Studie die Fressgewohnheiten der Raupe und fanden heraus, dass ihr diese Art der Verdauung und Bekämpfung von Schädlingen sehr abträglich ist.

Sie fütterten eine Larven-Gruppe mit sterilisierter, keimfreier Diätnahrung und eine Vergleichsgruppe mit Futter, das zahlreiche ungefährliche Bakterien wie E. coli oder Mikrococcus luteus enthielt. Es stellte sich heraus, dass die keimfrei ernährten Puppen des Schmetterlings größer wurden, ihre Verpuppungszeit kürzer war und ihre Immunabwehr deutlich weniger antibakterielle Proteine und Eiweiße produzierte als die anderen Larven, die ungesunde beziehungsweise unreine Nahrung erhielten. Somit reagiert die scheinbar unbeeindruckt alles auffressende Raupe durchaus auf bakterielle Feinde bei der Nahrungsaufnahme.

Sie versetzt ihr Immunsystem in Alarmzustand, fasst Studienleiter Vogel die Ergebnisse zusammen. Ihre körperliche Weiterentwicklung wird allerdings durch den permanenten Kraftaufwand ihres Körpers bei der Abwehr von Schädlingen und durch den häufigen Alarmzustand ihrer Immunabwehr beeinträchtigt.

Die jüngsten Erkenntnisse aus der Raupenforschung könnten für die Humanmedizin einen interessanten Ansatz zur Entwicklung von neuen Antibiotika bieten, sagte Vogel weiter.

Schnell reagierten Agrarwissenschafter der Uni Gießen. Sie identifizierten und isolierten die Gene der Kohlspanner-Larve, die die nun bekannten, antimikrobiell sehr wirksamen Peptide und Eiweiße herstellen. Im Labor-Experiment zeigten sich diese Peptide und Eiweiße ebenso wie die anderer untersuchter Insekten in ihrer Wirkung tatsächlich ähnlich stark wie Antibiotika, berichtet Agrarexperte Karl-Heinz Kogel von der Uni Gießen.

Krankheitsresistent

Im nächsten Arbeitsschritt transferierte er die Gene dieser Peptide und Eiweiße in das Genom der Gerste. Mit den eingeschleusten Genabschnitten konnte er sie resistent gegen Schädlinge wie Mehltau machen. Im Laborversuch gelang Karl-Heinz Kogel und Andreas Vilcinskas erstmals die Züchtung von krankheitsresistenter Gerste. Sie soll später auf dem Versuchsfeld der Universität ausgesät werden.

Die neuen Erkenntnisse aus der Immunabwehr der Kohlspanner-Raupe können nach Überzeugung von Vogel auch für die Immunologieforschung beim Menschen sowie die Schädlingsbekämpfung bei anderen Pflanzen genutzt werden. Der Kohlspanner-Schmetterling, der sich aus der gefräßigen Raupe entwickelt, frisst übrigens nicht mehr und fliegt nur noch kurze Zeit abends oder im Dunkeln, bis er tot zu Boden fällt.