Dass das Europäische Parlament die Immunität des Abgeordneten Hans-Peter Martin aufgehoben hat, kam für diesen nicht wirklich überraschend.
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Bereits am 10. März 2008 teilte Hans-Peter Martin, österreichischer Abgeordnete zum Europäischen Parlament (EP), der Austria Presse Agentur mit, dass er in Kürze mit der Aufhebung seiner Immunität durch das EP rechne. Der Hintergrund: Das Wiener Landesgericht für Strafsachen hatte ein Auslieferungsbegehren gestellt.
Am 12. März war es dann soweit. Das Plenum des EP sprach sich gemäß Artikel 7 Ziffer 8 seiner Geschäftsordnung mehrheitlich für eine Aufhebung von Martins Immunität aus und folgte damit der beinahe einstimmig ergangenen Empfehlung seines Rechtsausschusses.
Der Stein des Anstoßes
Gegen Martin liefen bereits seit Ende 2004 Ermittlungen seitens der Betrugsbekämpfungsbehörde der EU (Olaf), die zu einer Rückforderung von Sekretariatszulagen in der Höhe von mehr als 160.000 Euro durch das EP führten. Dementsprechend erhielt Martin auch vom EP seit Anfang September 2007 keine Zulagen mehr ausbezahlt. Es war aber nicht dieser Umstand, der konkret zur Aufhebung der Immunität Martins Anlass gegeben hat. Schließlich wurde die Lage ja intern bereinigt und führte daher nicht zu einer Auslieferung Martins an eine mitgliedstaatliche Justiz, was überhaupt erst die Immunitätsfrage aufgeworfen hätte. Stein des Anstoßes war eine Privatanklage vor einem österreichischen Strafgericht.
Eingebracht wurde diese vor dem Wiener Straflandesgericht durch den jetzigen Finanzstaatssekretär Christoph Matznetter, der früher in der Wiener Steuerberatungskanzlei Merkur Treuhand gearbeitet und dabei als Steuerberater Martins fungiert hatte. Martin hatte behauptet, er wäre bei der Abrechnung seiner Sekretariatszulage durch die Kanzlei falsch beraten worden, was zu einem Abrechnungsfehler in Höhe von mehr als 7000 Euro geführt hätte. Da er diesen Vorwurf mehrfach in der Öffentlichkeit erhoben hatte, klagte ihn Matznetter wegen Kreditschädigung gemäß Paragraf 152 Strafgesetzbuch.
Die Berichterstatterin des Rechtsausschusses des EP konnte diesbezüglich allerdings keinen Zusammenhang zwischen der gegen Martin erhobenen Privatanklage und seiner politischen Tätigkeit als Mandatar erkennen und schlug dem EP dementsprechend die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten vor. Sie sah darin lediglich einen Streit zwischen einem Abgeordneten und seiner Steuerberatungskanzlei. Martin, der sich als Aufdecker von finanziellen Unregelmäßigkeiten im EP einen Namen gemacht hatte, sah darin hingegen nicht nur einen engen Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit, sondern sogar ein "abgekartetes Spiel" und sprach von "Rufmord".
Martin ist kein Einzelfall
In der laufenden Legislaturperiode des EP (2004-2009) wurden 29 Anträge auf Aufhebung der Immunität von Abgeordneten des EP gestellt, wovon 19 stattgegeben und 10 abgelehnt wurden. Darunter befanden sich auch drei weitere österreichische Parlamentarier. Während die Immunität von Johannes Voggenhuber (Grüne) und Peter Sichrovsky (FPÖ) wegen Ehrenbeleidigungsklagen 2001 nicht aufgehoben wurde, wurde sie bei Hans Kronberger (FPÖ) wegen eines Verkehrsunfalles mit Leichtverletzten 1998 sehr wohl aufgehoben.
Neben dem Antrag auf Aufhebung der Immunität durch eine mitgliedstaatliche Behörde kann es gemäß der Geschäftsordnung des EP auch zu einem Antrag eines (ehemaligen) Abgeordneten des EP auf Schutz der Immunität kommen. In diesem Fall prüft der Rechtsausschuss vor allem, inwieweit es zu einer Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Abgeordneten bei der An- oder Abreise zum beziehungsweise vom Tagungsort des EP gekommen ist.