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Impfen in den USA: Ein Anrennen gegen die große Wand

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Zuerst sind die USA den Europäern beim Impfen davongeeilt, doch trotz reichlich vorhandener Vakzine stockt nun die Immunisierungsrate.


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So leicht kann’s gehen und das auch schon wieder seit Monaten. Wer sich heute in den USA gegen Covid-19 impfen lassen möchte, kann das mittlerweile praktisch überall tun. In Einkaufszentren, Apotheken, Supermärkten, am Arbeitsplatz, ja teilweise sogar vor dem Betreten des Uni-Hörsaals, im Fitnessstudio und in der U-Bahn: Der Überfluss an Vakzinen macht es möglich. Die Dringlichkeit, Amerika von hinten bis vorne durchzuimpfen, ergibt sich allein aus der Zahl von US-Bürgern, die seit Februar 2020 als Folge einer Ansteckung mit dem Virus zu Tode kamen. Laut dem Center for Disease Control (CDC), der Bundesgesundheitsagentur, sind das bisher knapp mehr als 600.000 Opfer.

Wie viele genau an den Langzeitfolgen einer Ansteckung leiden - und vielleicht den Rest ihres Lebens leiden werden - steht noch nicht fest. Entsprechend hatte die im Februar angelobte Administration von Präsident Joe Biden alles daran gesetzt, die Impfstoffe so schnell unter die Leute zu bringen wie irgend möglich. Von wenigen Ausnahmen abgesehen - da eine Pharmafirma, die wochenlang verunreinigte Dosen vertrieb, dort ein so eitler wie inkompetenter Bundesstaatsgouverneur, der die Wirksamkeit der Präparate anzweifelte - funktionierte der Plan bis vor kurzem geradezu vorbildlich.

Im Vergleich zu Europa stieg die Impfrate in den USA im ersten Halbjahr 2021 sprunghaft an. Täglich wurden mehrere Millionen Dosen verabreicht. Was nichts daran ändert, dass der Plafond langsam, aber sicher erreicht scheint. Am 4. Juli feiern die Amerikaner traditionell ihren Unabhängigkeitstag, und laut der von Biden gesetzten Vorgabe sollen dann 70 Prozent der Bevölkerung (ohne Kleinkinder) gegen die schwersten Folgen der durch das Virus ausgelösten Krankheit immunisiert sein. Mindestens einen Stich der zwei Dosen beanspruchenden Vakzine von Pfizer und Moderna oder einen von Johnson&Johnson sollen dann mehr als zwei Drittel der Amerikaner erhalten haben. Dieses Ziel gerät indes zunehmend außer Reichweite.

Lotto-Millionen und Gratis-Ticket

Seit Mitte April verzeichnen die amerikanischen Gesundheitsbehörden einen signifikanten Einbruch bei der Zahl der Impfwilligen. Tenor: Das Reservoir an jenen, die sich bei der erstbesten Gelegenheit impfen lassen wollten, sei nunmehr erschöpft. Nun gelte es, jene zu erreichen, die der Impfung skeptisch gegenüber stehen beziehungsweise andere Gründe haben, das Angebot zur Immunisierung nicht wahrzunehmen - wie etwa viele der rund zwölf Millionen Undokumentierten, die aus Angst vor den Einwanderungsbehörden jedwede Registrierung scheuen.

Die Maßnahmen, dem Trend entgegen zu wirken, variieren von Bundesstaat zu Bundesstaat. In Kalifornien, wo mittlerweile knapp die Hälfte der Bevölkerung vollständig durchgeimpft ist, gibt es mittlerweile eine eigens eingeführte "Impflotterie", bei der man von 50 bis zu einer Million Dollar gewinnen kann, wenn man sich stechen lässt. Auch Ohio, Maryland, Colorado und New York haben eigene Covid-Lotterien eingerichtet. Zu staatlichen gesellen sich mittlerweile so zahlreiche wie innovative Initiativen aus dem Privatsektor.

Populäre Fahrdienstanbieter wie Uber und Lyft fahren Leute gratis zu designierten Impfzentren, die Major League Baseball (MLB) bietet Gratis-Tickets für ihre Juni-Spiele an, und Supermarkt-Ketten wie Safeway und Target werben für die Impfung, indem sie bei Vorlegen eines Nachweises Preisnachlässe für Einkäufe gewähren. Dem regionalen Impf-Gefälle, das sich in den USA in den vergangenen Monaten aufgetan hat, können sie trotzdem nur eingeschränkt beikommen. Die Problemzonen sind die üblichen Verdächtigen: der Süden und der Mittlere Westen des Landes. Nicht zufällig hinken jene Bundesstaaten in puncto Impfwilligkeit nach, in denen die Republikanische Partei das Sagen hat und deren Bewohner bei der Präsidentschaftswahl 2020 in überproportionalem Ausmaß Donald Trump ihre Stimmen gaben.

Seit Ausbruch der Pandemie bekommen und bekamen jene Amerikaner, die "den Linken" und "den Liberalen" - beziehungsweise denen, die sie dafür halten - von jeher Misstrauen entgegenbringen, von den Medien, die ihre Vorurteile bedienen, 24 Stunden am Tag wahlweise folgende Botschaften vorgesetzt: Covid-19 sei harmlos, nicht schlimmer als die gemeine Sommergrippe; eine Impfung gehe mit unabschätzbaren Gesundheitsrisiken einher; die Pandemie sei eine Erfindung der Demokraten, die mit den Chinesen gemeinsame Sache machten, um Amerika zu schwächen, wenn nicht gar zu zerstören; das Coronavirus sei mit im normalen Apothekenhandel erhältlichen Medikamenten behandelbar; und überhaupt handle es sich bei ihm um eine gezielte Strategie sogenannter globaler Eliten, um die verfassungsmäßig garantierten, individuellen Freiheiten einzuschränken.

Langfristig sind die gesundheitlichen Folgen dieser Gehirnwäsche noch nicht abschätzbar. Die Tatsache, dass trotz eines massiven Rückgangs an Ansteckungen immer noch jede Woche tausende Amerikaner an den Folgen des Coronavirus sterben, spricht indes für sich. Seit dem obersten Verbreiter derartiger Verschwörungstheorien das Megafon abgestellt wurde - Twitter hat Donald Trump lebenslang von seiner Plattform gebannt, Facebook für mindestens die nächsten zwei Jahre -, ist es mit dem alles in Frage stellenden Dauerfeuer von oberster Stelle zwar vorbei, aber der Nachhall ist bis heute ungebrochen vernehmbar.

Die Trumps sind schon gegen Covid geimpft

Die Tonlage geben diesbezüglich nach wie vor Fox News und seine Satelliten vor. Nach einer kurzen Schwächephase, die der Angelobung Bidens folgte, hat der oft am ultrarechten Rand anstreifende Medienkonzern der Familie Murdoch die Nummer eins als populärster Kabelsender zurückerobert und erreicht mehr Zuschauer denn je. Weil der Rest der unter Trump teils zu beachtlicher Größe herangeblühten Fox-News-Epigonen wie das One America News Network, Newsmax und die zur Mediengruppe Sinclair gehörenden Lokalsender nachziehen beziehungsweise den von Starmoderatoren wie Tucker Carlson zur Primetime verbreiteten Corona-Relativierungen gar noch zu überbieten trachten, sind Umfragen zufolge heute mindestens ein Viertel der US-Bürger davon überzeugt, dass eine Covid-Impfung "unamerikanisch" sei und für sie deshalb nicht in Frage kommt. Dass sich die vorgeblichen Vertreter ihrer politischen Interessen, allen voran alle Mitglieder der Familie Trump und die Führung der Republikaner im Kongress längst alle impfen haben lassen, tut dem keinen Abbruch.