Zum Hauptinhalt springen

Impfstoff-Euphorie ist nicht Realwirtschaft

Wirtschaft

Die Hoffnung auf einen Impfstoff beflügelte die Aktienmärkte. In der Realwirtschaft kommt die Erholung etwas später an.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Hoffnung ist an den Aktienmärkten hoch im Kurs. Und diese beflügelt gerade die Kurse zahlreicher Unternehmen, die stark unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie leiden. Am Montag verkündeten die Pharmaunternehmen Biontech und Pfizer, dass ihr Covid-19-Impfstoff in bisherigen Studien eine Wirksamkeit von 90 Prozent zeigt. So weit war bisher noch niemand in der Impfstoff-Forschung gekommen. Dementsprechend euphorisch wurde diese Nachricht an den Märkten aufgenommen.

Die Aktien des heimischen Caterers Do&Co sind am Montagnachmittag an der Wiener Börse um mehr als 38 Prozent nach oben geschossen. Der heimische Aktienindex ATX legte um 7,4 Prozent zu. MSC Cruises, der Kreuzfahrtenanbieter, Lufthansa, OMV - alles Unternehmen, die durch Covid-19 unter Druck geraten waren und Verluste verbuchen mussten - machten am Mittwoch allein ob der Ankündigung am Aktienmarkt einiges wieder wett.

"4 bis 5 Prozent"

"Ein wirksamer und nebenwirkungsarmer Impfstoff ändert alles", sagte der aus Österreich stammende Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayer, gegenüber Reuters. "Wenn damit zunächst die Risikopersonen wirklich effektiv geschützt werden können, könnte man in vielen Bereichen des sozialen Konsums wie zum Beispiel im Kulturbereich, der Gastronomie oder dem Beherbergungsgewerbe zur Situation im Sommer zurückkehren", so der Experte. Sobald die deutsche Bevölkerung zu 50 bis 60 Prozent durchgeimpft sei, wären wohl gar keine Einschränkungen mehr notwendig.

Das IfW rechnet mit einer Erholung der deutschen Wirtschaft ab Frühjahr 2021. Ein zugelassener Impfstoff könnte die Erholung deutlich beschleunigen. Felbermayer geht von 4 bis 5 Prozent BIP-Zuwachs in Deutschland aus. Ähnliches gilt wohl auch für Österreich. "Die Voraussetzung ist, dass der Impfstoff auch tatsächlich für viele hunderte Millionen Menschen weltweit produziert und verabreicht werden kann."

Während angeschlagene Branchen regelrechte Höhenflüge am Montag verzeichneten, erlitten die bisherigen Gewinner der Corona-Krise einen Dämpfer. Bei Zoom, Amazon und anderen digitalen Unternehmen fielen die Aktienkurse. Diese hatten aufgrund von Homeoffice, einem Anstieg des Online-Handels und mehr Telekommunikation in den letzten Monaten kräftig zugelegt. Die Erwartungen, dass das öffentliche Leben, Reisen und der Konsum wieder anspringen, gehen wohl auch mit der Erwartung einher, dass das digitale Leben wieder etwas abnimmt. Die kurzfristige Bewegung an den Börsen ist allerdings kein sehr genaues Abbild der Realwirtschaft.

Kursbereinigung an der Börse

Zum einen wird es noch länger dauern, bis der Impfstoff tatsächlich zugelassen wird und in großen Mengen verfügbar ist. Und dann wird wohl noch mehr Zeit vergehen, bis die von Felbermayer angesprochene Durchimpfungsrate von 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung erreicht ist. Bis die Infektionszahlen nicht unter Kontrolle gebracht sind, ist eine Rückkehr zur Vor-Corona-Normalität aber nicht möglich. Außerdem erwarten Ökonomen, dass viele Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung unumkehrbar sind.

"Die Bewegung an den Börsen bildet die Hoffnung auf baldige Erholung ab", erklärt der Wifo-Ökonom Atanas Pekanov im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Nicht mehr, und nicht weniger. Trotz verfügbarem Impfstoff wird sich die Realwirtschaft wohl nicht so schnell von den weltweiten Einbrüchen erholen. Der Ökonom geht davon aus, dass das soziale Leben, wie wir es vor Corona kannten, wohl erst im kommenden Sommer wieder anlaufen wird.

Was die Aktienkurse betrifft, werde es in den kommenden Wochen auch wieder Bereinigungen nach unten geben. Anderseits waren viele Titel, etwa im digitalen Bereich, Corona-bedingt deutlich überbewertet. Dass deren Kurse jetzt fallen, könne man auch als "Kurs-Korrektur" betrachten. Was von Corona bleibt, "entscheiden zu einem großen Teil auch die internationalen Unternehmen. Es muss sich noch zeigen, ob sie ihren Mitarbeitern weiterhin die Möglichkeit geben, von zu Hause aus zu arbeiten und ihre Prozesse langfristig dahingehend adaptieren", meint Pekanov. Übrigens: "Wenn wir tatsächlich bald einen wirksamen Impfstoff haben, erscheint der aktuelle Lockdown noch sinnvoller. Denn so retten wir möglichst viele Leben und haben dank des Impfstoffs die Hoffnung, dass wir uns schnell wirtschaftlich erholen können."(del)